Abschiedsrede des Wuppertaler Intendanten Christian von Treskow für das Schauspielhaus
Das allertraurigste Gewerbe
Wuppertal, 30. Juni 2013
Liebes Publikum,
heute jährt sich zum vierten Mal der Tod von Pina Bausch.
Seit den 70er Jahren hat sie die Ästhetik mehrerer Generationen von Theatermachern geprägt. Wer in Wuppertal antritt, um Theater zu machen, ist diesem künstlerischen Geist verpflichtet.
Das Datum des Todes von Pina Bausch ist aber auch mit dem Schicksal dieses Hauses engstens verknüpft. Das Wort und der Wille Pinas hatte Gewicht in der Wuppertaler Kulturpolitik. Jahrelang hat sie ihre schützende Hand über dieses Gebäude gehalten – kein halbes Jahr nach ihrem Tod verkündet die Stadtspitze das endgültige Aus für die Spielstätte und die Schauspielsparte gleich noch dazu.
Das war, wie gesagt, vor dreieinhalb Jahren. Die Auseinandersetzung um die geplante Schließung und den Fortbestand des Schauspiels lenkte allerdings ab von dem Fakt, dass auf einer im Foyer des Hauses provisorisch eingerichteten Spielstätte keine zwei Monate zuvor ein neues Schauspielensemble seine Arbeit aufgenommen hatte, das mit dem Auftrag in die Stadt geholt worden war, das Theater ästhetisch rundzuerneuern und für die städtischen Bühnen ein jüngeres Publikum zu erschließen.
Nun musste das mit Schwung gestartete Ensemble plötzlich gegen die Riesenlast anspielen, mit jeder Premiere, mit jeder Vorstellung die eigene Daseinsberechtigung zu beweisen, die ihr von der Stadtspitze abgesprochen worden war.
Gleichzeitig kam dem Ensemble und der Intendanz in der Öffentlichkeit automatisch die Verantwortung zu, den Erhalt einer verwahrlosten städtischen Immobilie zu legitimieren – eine Aufgabe, der niemand auf dieser Bühne gerecht werden konnte.
In diesem Zusammenhang erscheint es wie ein kleines Theaterwunder, mit welcher Unbekümmertheit, mit welcher Energie es die Schauspieler, Sänger und Bühnenmitarbeiter geschafft haben, hier an dieser Stelle 40 Premieren herauszubringen und über 400 Vorstellungen zu spielen.
Leider wurde in der Stadt viel zu viel über Schließung und Verfall eines Hauses diskutiert, und viel zu wenig über die Theaterkunst, die darin so vital stattfand. Die Arbeit des Ensembles hier glich in vielem einem Tanz in den Ruinen einer großen Vergangenheit.
Das Schauspielhaus erschien vielen als ein mitten in der Stadt gestrandeter weißer Wal, unter dessen Bauch eine fahrende Schauspieltruppe ihre Zelte aufgeschlagen hat.
Viele Zuschauer scheuten den Gang in ein Haus, das für sie mit persönlichen Erinnerungen verbunden war, zu schmerzlich die Gedanken an den vermeintlichen Niedergang ihrer Stadt, der mit dem Zustand des Hauses assoziiert wurde.
Viel zu oft blieben hier im Saal viele Plätze leer, und erst in den letzten Monaten und Wochen hat das Ensemble hier auf dieser Bühne den Zuspruch bekommen, den es sich schon viel früher verdient hat.
Immer wieder wurde versucht, diesen Umstand damit zu erklären, dass die Theatersprache dieses Ensembles zu modern sei für ein ältliches Wuppertaler Publikum, dessen Geschmack auf leichte Kost und affirmatives Geplänkel ausgerichtet sei. Dem ist zu entgegnen, dass das Publikum in dieser Stadt, also Sie, viel intelligenter und neugieriger ist, als mancher uns das einreden möchte. Der enorme Zuspruch des Publikums in diesen Tagen beweist das.
Dieses Haus, genauso wie das Erbe Pina Bauschs, war und ist uns weiterhin eine Verpflichtung zu einem Theater, das Zeitgenossenschaft konsequent behauptet.
Ab morgen werden wir an diesem Haus als Bürger dieser Stadt vorbeigehen. Vielleicht werden wir traurig sein über den Verlust, vielleicht wütend, vielleicht aber auch ebenso gleichgültig wie die Mehrheit der Menschen, die täglich hier vorbeikommen.
Und vielleicht muss man den Gedanken einmal denken, dass das auch gut ist so. Theater ist Bewegung, und Bewegung bedeutet auch, von einem Ort zu anderen zu wechseln. Theater ohne Bewegung ist Stillstand, oder mit Max Reinhardt gesprochen, das "allertraurigste Gewerbe".
Theaterleute sind es gewohnt, Arbeitsstätten zu wechseln, und regelmäßig ihre Arbeit an anderem Ort neu zu starten. Dieses Ensemble wird spätestens am Ende der nächsten Spielzeit die Stadt verlassen. Ein großer Teil wird auch schon in wenigen Wochen seine Zelte abbrechen. Für diese Schauspieler gibt es über den nächsten Sommer hinaus keine Perspektive in dieser Stadt. Die neue kleine Spielstätte werden andere Schauspieler, andere Regisseure einweihen.
Trotzdem freuen wir uns auf eine ganz besondere Spielzeit, in der wir uns treu bleiben und Ihnen an vielen interessanten Orten in der Stadt, natürlich auch im Opernhaus, spannende Arbeiten zeigen werden.
Zuletzt möchte ich Sie schon jetzt bitten, meine Nachfolgerin bei ihrem Neustart in der Spielstätte im Engelshof durch regelmäßigen Besuch zu unterstützen. Dieses schöne, neue Haus liegt mir persönlich am Herzen, weil ich gemeinsam mit den Theaterfreunden und vielen anderen lange darum gekämpft habe.
Der Wuppertaler Intendant Christian von Treskow hat diese Rede am Ende der letzten Vorstellung des Wuppertaler Schauspielhauses gehalten. Die große Bühne ist schon seit beinahe vier Jahren aus baupolizeilichen Gründen geschlossen. Mit Sondergenehmigung durfte nur noch im Foyer für etwa 130 Zuschauern gespielt werden. Am Sonntag, den 30. Juni 2013 nun ist die Geschichte des Schauspielhauses Wuppertal endgültig zuende gegangen. Zur Eröffnung des Hauses hatte am 14. Oktober 1966 der spätere Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll einst seine berühmte Wuppertaler Rede gehalten: Die Freiheit der Kunst.
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sehr vieles an den Worten von Treskows ist. Allerdings: Es fehlen auch ein paar Fakten, die ganz wesentlich zum Status Quo beigetragen haben, wie die über viele Jahre höchstens unterdurchschnittliche künstlerische Auslastung des traditionsreichen Hauses; die völlige Fehleinschätzung der sich verändernden Rahmenbedingungen durch physische Mobilität und Digitalisierung; die leider auch nicht besonders hilfreiche Kommunikationspolitik der Bühnengeschäftsführung und des Intendanten selbst in den vergangenen Jahren. Zuletzt: Es handelt sich beim oben stehenden Text NICHT um dessen Abschiedsrede, wie die Überschrift suggeriert, sondern "nur" um seine Verabschiedung des Gebäudes Schauspielhaus. Von Treskow selbst wird die Theaterwelt in Wuppertal zumindest noch ein Jahr mit seinen oft erfrischenden und gerade zuletzt sehr gegenwärtigen wie anspruchsvollen Inszenierungen erfreuen.
(Die missverständliche Dachzeile wurde ergänzt. Grüsse aus der Redaktion, Esther Slevogt)
Beide haben vermutlich nicht das Zeug dazu, dass Erbe dieses Hauses anzutreten, welches für immer mit Pina Bausch verbunden sein wird. Ein Grund hierfür ist, dass beide andere Wege gegangen sind und nur schwach erahnen können, wie so ein Tanztheater entstehen konnte.
Es war nicht nur Mut, den das Bausch Ensemble bewegte oder gar Innovationszwang, es war ein Arbeiten fern solcher Begriffe wie "Standortfaktor", den man zu Beginn dieser Arbeit gar nicht kannte.
Es war ein Bekenntnis zur schrankenlosen Kreativität, die im Sinne von Böll immer zu weit ging in ihrer Freiheit und dies erst in der Ressonanz spürte.
In der Tat wurden neue Ressonanzräume eröffnet, für die jene Nachfolger keinen Sinn mehr hatten und vermutlich auch in Zukunft nicht haben werden. Eine fatale Verkettung von Intuitionslosigkeit führte zur Schließung dieses Hauses.
Dieses Ende ist auch eine indirekte Absage an das Intendanten- und Stadttheatersystem, an all die vielen gespürlosen Findungs-kommisionen.
Das Ende dieser Spielstätte ist ganz sicher nicht. Da täuschen sich diejenigen, die dort bitter versagten.
das ist ja toll, dass Sie wissen, dass das Wuppertaler Schauspielhaus wieder bespielt werden wird! Dann sagen Sie doch mal, wie das gehen soll. (...)
was treibt Sie zu solcher Arroganz!? Vielleicht Ihre mangelnde Rechtschreibung?
Das der scheidende Intendant hier auch sein eigenes Scheitern beschreibt, es wäre ein Frage der Ehrlichkeit gewesen, dies auch zu zugeben.
Vor langer Zeit wurde einer Repräsentanz, einem Kunstraum in dem eine dringende und drängende kulturelle Auseinandersetzung künstlerischen Ausdruck finden sollte durch Subventionen zu Recht eine Grundlage gegeben, um einer geistigen Elite die Möglichkeit zu verleihen ihre Konflikte mit dem Staat und seiner Gesellschaft öffentlich austragen zu können.
Am Ende waren subventionierte Repräsentanten auf der Suche nach einer Elite, der sie eine Stimme hätten geben sollen.
Diese ist ein erheblicher historischer Unterschied und beschreibt die fatale Tragik eines Niedergangs.
Nun ist diese Truppe endlich von einem toten Gaul abgestiegen. Nun, der Gaul mag vorläufig tot sein, aber der Stall steht. Er muss saniert werden, sei es nun von einer Stiftung, privaten Geldern, wie auch immer. Ist diese Aufgabe ersteinmal bewältigt, kann es eine Zukunft geben für das Schauspielhaus.
Zunächst ist dieser Vorgang schmerzhaft und traurig. Aber es ist nur ein vorläufiger Endpunkt, der erreichte wurde. Danach geht es weiter und dies nicht nur wegen dem Denkmalschutz.
(...)
Wo ist denn C.v.Treskow Ihrer Meinung nach gescheitert? Wie oft und was haben Sie in Wuppertal besucht, wann haben Sie an der Diskussion heute und vor Ort teilgenommen?
Natürlich ändern sich die Zeiten - deshalb ändert sich auch der Zuschnitt. Sie verwechseln Böll mit Treskow, das Sprechtheater mit Pina Bausch, den absoluten Erfolg mit täglicher Arbeit.
Sie sind auch kein Tucholsky und kein Shakespeare, trotzdem verbreiten Sie hier permanent Ihren Sermon. Lassen Sie das bitte.
Bitte!
ich bin nicht arrogant, sonst würde ich mir nicht soviele Fehler gestatten. Ich weiß schon, dass es "wegen des Denkmalschutzes" heißt und sehe meine Fehler, sie stören mich nicht, weil ich mich der "gesprochenen Sprache" verpflichtet fühle.
In der gesprochenen Sprache lässt sich besser denken und kommentieren, das ist alles, und sie ist dem Theater näher.
Arroganz werfen sie mir wahrscheinlich nur aus Hilflosigkeit vor. Glauben sie mir, ich halte viele Gedanken zurück. Ich verate ihnen einen.
Ich denke, da Treskow mit schwindenden Zuschauerzahlen zu kämpfen hatte, dass er gar kein wirklich vitales Interesse erlangen konnte, den großen Saal zu bespielen, denn der hätte sein Problem noch radikaler offenbahrt.
So kam es dazu, dass er zu wenig Energie auf das zentrale Problem verwandte, die Möglichkeit zu schaffen, dies Haus zu sanieren.
Das weiß Baucks nicht, weil er bekanntermaßen die Theater, über die er urteilt, nie von innen gesehen hat. Vielleicht ist das bei ihm ein künstlerisches Prinzip - radikale Abkopplung von der Realität, Aufbau von Privatideologie inkl. Feindbild "Stadttheater".
Lassen Sie ihm (und uns!) seinen Spaß daran.
Christiane G.
ich kann ihnen nicht mehr sagen, wie oft ich die Oper und das Schauspielhaus in Wuppertal von innen gesehen habe, unzählige Male würde ich sagen. Auch weiß ich, dass einige Schauspielaufführungen seit gerauemer Zeit im Opernhaus stattfinden.
Was ändert das daran, dass die Schließung des Schauspielhauses nun für immer mit dem Namen Treskow verbunden seit wird?
Dort ist ein Intendant angetreten, der in der Hauptsache das Foyer bespielt hat und nicht einmal dieses wirklich füllen konnte.
Es ist schon ein enormer Realitätsverlust, wenn man einen solchen Umstand nicht mehr als Scheitern erkennt. Es sagt sehr viel darüberaus, wie die Sprachregelungen der Theaterlobby an der Wahrheit vorbei reden und das ist sicherlich nicht lustig.
Wuppertal ist eventuell der Begin einer Entwicklung die demnächst andernorts fortgsetzt wird und die Schuld liegt eben nicht allein bei der Politik, sondern auch bei den Machern. Es gibt ja andere Städte, wo es funktioniert. Dresden wurde abermals für seine Zuschauerzahlen gelobt. Aber es hängt nicht allein an den Zahlen.
Es geht um einen verfehlten Grundton, mit dem die Verantwortung ständig nach außen abgewälzt wird, mit dem die Macher sich zu hundertprozent aus der Verantwortung stehlen wollen.
dann nennen Sie doch bitte mindestens drei der unzähligen Inszenierungen, die Sie in den letzten Jahren in Wuppertal gesehen haben, und Ihren ausführlichen Kommentar dazu: Regiekonzept, Beschreibung des Bühnenbildes, Rollenkonzept und Leistung der Hauptdarsteller. Nur zu!
Und: Treskow hat nicht in der Hauptsache das Foyer bespielt, sondern die Opernhausbühne. Und die Verantwortlichen für die Schließung des Schauspiels sitzen im Rathaus, das ist ja wohl klar. Jetzt einem städtischen Angestellten die Verantwortung für politische Fehlentscheidungen in die Schuhe zu schieben, ist absurd.
Herr Baucks, vielleicht ist es angebracht, die ua. auch auf nachtkritik de. zu frequentierenden Wuppertal-Krisometer-Artikel
noch einmal aufmerksam durchzugehen, um der Arbeit Herrn von Treskows ein wenig gerechter beizukommen (was soll dieses, sorry, alberne Pathos vom "jetzt für immer mit dem Namen ..." ?). Warum werden Sie nicht konkreter ? Ich erlebte es seinerzeit so, daß Herr von Treskow Intendant wurde und dann sogleich mit eklatanten Sparkeulen zu schaffen bekam, mit denen er so alles Andere als rechnen mußte; für Sie hat er versagt, weil das Ergebnis so traurig ausfällt. Haben Sie damals am DT versagt, Herr Baucks ?
Oder kennen Sie nicht auch ein wenig von dem Gefühl, vor vollendeten Tatsachen immer wieder zu stehen ?? Das Stadttheater kann offenbar eine ganz schöne "Knochenmühle" sein, muß es aber nicht. Möglicherweise ist in Dresden seitens der Politik (!) etwas umsichtiger mit den Schauspielstätten verfahren worden als in Wuppertal, aber nicht minder in Moers oder etwa gegenüber dem seinerzeit ebenfalls arg bedrohten Schauspiel in Oberhausen (siehe Peter Carp !); was ist Herrn von Treskow nun konkret vorzuhalten ? Die Qualität der Inszenierungen scheint nicht hinter vergleichbaren und weniger gefährdeten Häusern zurückzubleiben, insofern kann es kaum ganz so einfach gehen, wie Ihre bisherigen Anwürfe es andeuten. Haben Sie sich -bei all Ihren Kenntnissen- offensiv beworben für etwa Eisleben und/oder Wuppertal, es klingt immerhin ganz spannend, möglicherweise durch die Bespielung von Bühnen mit Mülheim- und/oder Heidelbergjahres-
stücken (wenngleich Mülheim Ihnen ja ein Anachronismus ist) Avantgarde in Eisleben zu machen oder tatsächlich das Wuppertaler Schauspielhaus, den Stall, mit geschickter Förderung wiederzubeleben. Auslastungszahlen, die hoch sind, und "Avantgarde", das klingt freilich verlockend, aber eigentlich nach Quadratur des Kreises; und die Akzeptanz "neuerer Dramatik" in der sogenannten Provinz ? Eigentlich halte ich Ihre Auslassungen an dieser Stelle für schlicht zynisch, wenn Sie nicht bereit sind, ein wenig mehr von Ihren "verdeckten" Gedanken der Öffentlichkeit angedeihen zu lassen; tut mir leid, ansonsten sieht das alles nur nach "Vorwandsuchen" aus, fast so, als hätten Sie speziell mit den
"Barracke"-Intendanten so Ihre Probleme..