Live und auf Verlangen: Für ein Theater @home!

von Christian Römer

Berlin, 21. Oktober 2020. Im Jahr 2014 diskutierten die deutschen Bühnen erstmals über die Live-Übertragung ihrer Produktionen in digitale Räume. Das Theater war auf der Suche nach neuen Orten der Veröffentlichung. Theater im sozialen Brennpunkt, Stadtteilprojekte, Audio-Walks – und Theater im Netz.

Die Möglichkeiten der Technik erlaubten bereits Direktübertragungen, die nicht mehr durch das große Besteck des Fernsehens realisiert würden. Am Schauspiel Dortmund und am Thalia Theater Hamburg experimentierte man mit Livestreams als Audio und Video, von der demokratisierenden Wirkung der Live-Übertragung via Internet war die Rede, örtlich unbegrenzt und umsonst sollte es sein, Kultur für alle, doch die Realität hinkte dem Wunsch hinterher. Es mangelte am politischen Willen, aber auch am Interesse der Theater selbst. So verflüchtigte sich die Euphorie für das Netz als Veröffentlichungsort – bis zur Pandemie.

Mutter BEStreamZugang zur Geschichte der Häuser: Bertolt Brechts "Die Mutter" bei "BE on Demand" © Screenshot

Zur Eröffnung des virtuellen Theatertreffens im Mai 2020 nannte die Festivalleiterin Yvonne Büdenhölzer die "Demokratierelevanz" als eine Motivation, das Theaterereignis des Jahres erstmals online stattfinden zu lassen. Die Zugriffszahlen waren beträchtlich, die Überraschung, dass "dort draußen" jemand sei, der Anteil nehmen wollte, ebenfalls. Gleichzeitig öffneten die Theater ihre Archiv-Schatztruhen auf digitalen Online-Spielplänen, und statt des Neuen lernten wir das Alte kennen. Wer die Produktionen des Gorki-Theaters der letzten Jahre verpasst hatte, voilà – eine Ära konnte digital nachgeholt werden. Wer die Inszenierungen von Klaus-Michael Grüber nie live hatte sehen können – ein Klick reichte, um sich ins Jahr 1972 zurückzuversetzen und die berühmten Schauspieler*innen der alten Schaubühne als antike Held*innen zu erleben und zu bestaunen.

Das lebendige Archiv

Nicht umsonst präsentiert das BE jetzt die Aufzeichnungen früher Brecht-Inszenierungen im eigenen On-Demand Kanal "BE at Home". Die Theater haben in der Pandemie eine Verbindung zu ihrer Geschichte aufgenommen, auch über die jeweilige Intendanz hinaus. Ein Schaufenster in die eigene Vergangenheit stärkt die Bindung des Publikums an "sein" Theater. Ein neues Feld: die abgespielten Werke für die Dauerausstellung im Netz aufbereiten, als lebendiges Zeugnis mit Informationswert für die Ewigkeit. Denn: keine Online-Community ohne Online-Content. Und kein Content ohne Arbeit an der eigenen Identität als Theater im Netz. Per Definition netzaffinere Institutionen und Gemeinschaften wie der Chaos Computer Club oder die Konferenz für Internet und Gesellschaft re:publica stellen schon lange die Vorträge und Diskussionen ihrer Live-Kongresse auf eigenen Plattformen ins Netz, und die Zugriffe, live oder On-Demand gehen in den Spitzen in die Hunderttausende. Eine Online-Community aufzubauen, das ist ein Handwerk, das eine Strategie, Zeit und Inhalte benötigt, und denjenigen im Theater, die heute noch sagen: "Das will doch keiner sehen", möchte man zurufen: "Fangt doch erstmal damit an!"

Gorki StreamAuch in der neuen Saison mit Online-Angeboten: das Berliner Maxim Gorki Theater mit seiner Ankündigung von "Berlin Oranienplatz" im Stream © Screenshot

Nach dem virtuellen Theatertreffen las man öfter den Satz: "Theater im Netz kann Theater im Theater nicht ersetzen." Man unterschätzt das Publikum, dem unterstellt wird, es habe diesen Unterschied nicht begriffen. Jede*r Zuschauer*in einer Fußballübertragung würde gerne im Stadion sitzen, aber akzeptiert das TV-Erlebnis als Möglichkeit der Teilhabe am Ereignis. Wer würde nicht lieber ein Teil der Gemeinschaft im Bühnenraum sein als zu Hause vor dem Bildschirm eine aktuelle Aufführung zu sehen? Aber allein der Informationswert einer Live-Übertragung oder einer Aufzeichnung gibt mir die Möglichkeit später am Gespräch über das Kunstwerk teilnehmen zu können. Und nebenbei würde der Anschein des elitären Events für Wenige aufgrund geringerer Platzkapazitäten entkräftet. Ist es das fehlende Aufmerksamkeitsmonopol, das manche Theater zurückschrecken lässt? Die geringeren Aufmerksamkeitsspannen vor dem Bildschirm?

Das Publikum ist weiter

Die demokratisierende Wirkung der visuellen Übertragungen geht einher mit einer Demokratisierung der Übertragungstechnik selbst. Nur noch ein Laptop, eine Kamera, ein Mikrofon und die Livestream-Software sind notwendig, um selbstgemachtes Live-Fernsehen anzubieten und dabei die gesammelten "Freund*innen" und Onlineabonnent*innen als Community mit eigenen Inhalten zu bespielen. Wir bauen als Sender und Empfänger dieses "Selfmade-TV" Rezeptions- und Macher*innenexpertise auf.

Auch die Nutzung der gängigen Werkzeuge der Videotelefonie trainiert uns täglich als digitale Konsument*innen, Performer und Produzent*innen gleichermaßen. Die neuen Wissensbestände machen uns zu erfahreneren Zuschauenden, die die erste Zwiebelhaut der Technologie durchdrungen haben. Wir verstehen die prinzipiellen Vorgänge, sie sind Teil unseres Berufslebens und unserer Privatsphäre. Warum sollte uns eine Übertragung aus dem Theater abschrecken? Im öffentlichen Diskurs sind es Theaterschaffende selbst, die als Skeptiker auftreten, als Kritiker*innen ihrer eigenen Kulturproduktion im Netz. Das Publikum ist derweil schon weiter und schaltet ein – oder auch ab, wenn es sich langweilt oder etwas Anderes tun möchte.

Der öffentliche Auftrag

Ist es nicht ein Kernanliegen der Theater selbst zu zeigen, was sich auf den Theaterbühnen tut? Mit einem hohen Einsatz an Mensch und Material kämpfen sie seit Jahren mit der Gründung von Bürgerbühnen, mit neuen Vermittlungsprogrammen und zunehmender Barrierefreiheit für eine Erweiterung des eigenen Echoraumes in die Gesellschaft, dankbar für jede Seele, die sich dem Theater neu verschreibt. Eine einfache (und günstige) Möglichkeit jedoch, ein Pantoffeltierchen im Theaterkosmos zu werden, wäre die (Live)-Übertragung von der Bühne auf den Bildschirm.

Die demokratisierende Wirkung der Übertragungen im Kanal der Münchner Kammerspiele während der Pandemie, das herrliche Glück, Zugang zu einem Teil der aktuellen Vergangenheit zu haben, war ein eindrucksvolles Fallbeispiel. Nicht umsonst spricht Matthias Lilienthal davon, zukünftig das Budget für professionelle Aufzeichnungen verdreifachen zu wollen. Die Teilhabe vieler ist jeden Cent wert. Theater braucht keinen Theaterkanal. Es ist ein Theaterkanal.

Das Geld

Manche sagen: Mit Übertragungen und Aufzeichnungen lässt sich nichts verdienen. Das ist ein eigentümliches Argument, denn mit der Pflege deutscher Gegenwartsdramatik oder einer neuen Bürgerbühne lässt sich auch nichts verdienen, trotzdem würde niemand die Förderung dieser Bereiche in Frage stellen. Abgesehen davon: Die Zuschauer im Netz zahlen mit ihrer Aufmerksamkeit. Wenn ich in X am Bildschirm eine Aufführung in Y verfolge, widme ich diesem Werk meine Zeit, genau wie jemand, der im selben Moment auf einem Theatersessel in Y sitzt. Außerdem: Qualitätsmedien wie Der Spiegel, die Süddeutsche oder Die Zeit brauchten über zwei Jahrzehnte, um ihr subventionsfreies Online-Geschäftsmodell von "alles umsonst" auf "umsonst oder mit Bezahlschranke für ausgewählte Inhalte" umzustellen, warum sollte das Theater, das just am Anfang seiner Online-Karriere steht, als ersten Meilenstein eine Schranke hochziehen? Gerade der Verzicht darauf ist die Voraussetzung, eine neue Community aufzubauen, schwellenfrei und freiwillig.

Die Debatten über die Rechte der künstlerisch Beteiligten sind legitim und notwendig. Die Lösung deutete sich während der Pandemie an, und Häuser wie das Maxim Gorki Theater in Berlin signalisieren, dass sie den Weg weiter beschreiten wollen. Die komplexe Konstruktion des Gesamtkunstwerkes Theater als gemeinsame Arbeit von Schauspieler*innen, Regisseur*innen, Autor*innen, Verlagen, den Theatern selbst und vielen mehr erfordert die Klärung von drei Bereichen: es geht um eine angemessene Vergütung, eine Vereinbarung über die Aufzeichnung mit allen daran Beteiligten und eine Einigung mit den Verwertungsgesellschaften.

Optionen

Die digitalen Experimente der vergangenen Monate haben uns erstmals flächendeckend informiert, welche Angebote online angenommen werden und welche (noch) nicht. Wenn bei den Diskursformaten des Berliner Theatertreffens vor der Pandemie im Schnitt hundert Menschen erschienen und im Mai dieses Jahres bis zu 400 gleichzeitig den Livestream einer Diskussion verfolgen, ist der Effekt der örtlichen Entgrenzung evident. Wenn der 10-teilige "Dekalog" des Schauspielhauses Zürich von bis zu Eintausend Zuschauenden pro Folge gesehen wurde, wer wollte diese Erfahrung eines Online-Publikums geringschätzen?

Und welche "Online-Quoten" hätten die Übertragungen der ersten Premieren dieser neuen Spielzeit erzielen können, hätte es sie denn gegeben? Eine zentrale Erkenntnis war die zeitliche Begrenzung einer Live-Übertragung oder einer Aufzeichnung auf die Zeitlichkeit des Ereignisses selbst, oft kombiniert mit einer 24-stündigen Zugabe. So blieb das Besondere, ein Gefühl der ins Netz erweiterten Versammlung, bei hybrid gedachten Produktionen in Gemeinschaft mit denjenigen, die das Ereignis live und vor Ort verfolgen. Die Aufzeichnungen der Produktionen könnten wenigstens nach Ende ihrer analogen Laufzeit on demand erhältlich sein. Um die Theater auch in virtuelle Gebäude zu verwandeln, die ihre Geschichte durch ihre Produktionen erzählen. Es wäre Theater, das bleibt.

 

Kooperation

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Der Aufsatz entstammt dem Band
Netztheater. Positionen | Praxis | Produktionen.
Herausgegeben von der Heinrich Böll Stiftung und nachtkritik.de in Zusammenarbeit mit Weltuebergang.net unter redaktioneller Leitung von Sophie Diesselhorst, Christiane Hütter, Christian Rakow und Christian Römer. Berlin 2020.

Per Mail an buchversand@boell.de kann der Band kostenlos bestellt werden.
Hier finden Sie das pdf des Bandes.

 

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Kommentare  
Plädoyer Streaming: nach 3 Minuten bin ich weg
Lieber Christian,

Du schreibst: "Es mangelte am politischen Willen, aber auch am Interesse der Theater selbst." Vielleicht war es aber auch ganz anders, und es mangelte am Interesse der Zuschauer? Warum ist vor Jahren der ZDF-Theaterkanal eingestellt worden? Weil es zu wenige Zuschauer gab.
Dass während der Pandemie viele Theateraufzeichnungen geschaut wurden, ist erst mal eine Behauptung, von der ich wünschte, dass sie wahr wäre. Aber es fehlen überprüfbare Zahlen.
Wie sagte Kay Voges sinngemäß in einem Panel (in dem Du anwesend warst) im Mai beim digitalen Theatertreffen: "Nach 3 Minuten bin ich weg" - auf die Frage, ob sein Streaming-Konsum während der Pandemie nicht stark zugenommen hätte...

Und zur Technik: eine Kamera, ein Stativ und ein Mikrophon reichen eben genau nicht für einen spannenden Abend im Stream. Da haben 3sat/Theaterkanal ganz andere Maßstäbe mit ihren Aufzeichnungen von eingeladenen Produktionen zum Theatertreffen gezeigt. Abgefilmtes Theater ist nicht die Zukunft.

Es braucht sicher Lösungen für die Zeit der Pandemie, es braucht neue Theaterformen, eigene Kreationen für den digitalen Raum und es muss experimentiert werden. Aber: Theater ist wesentlich eine soziale Erfahrung in EINEM Raum, in dem Zuschauer:innen und Künstler:innen die gleiche Luft atmen. Und dieser soziale Zusammenhang ist uns gerade genommen ...

PS: Ich sammle Daten und Beispiele für erfolgreiches Streamen von Theaterproduktionen für https://kulturstreaming.wordpress.com und publiziere gerne - auch Gastbeiträge.
Plädoyer Streaming: ethische Frage
Lieber Rainer, mich erstaunt nun nach einem halben Jahr Pandemie immer noch den gleichen Denkfehler zu begegnen. Aktuell geht es nicht um "Originalität" oder ästhetische Formen. Es geht ganz einfach nur um Sicherstellung der kulturellen Teilhabe. Wenn ein kleines öffentliches Theater mit Fassungsvermögen von 300 Leuten aktuell nur 150 Leuten Teilhabe in EINEM Raum ermöglichen kann, ist es (minimste) Pflicht dieses Theaters, den restlichen 150 Menschen, die an diesem spezifischen Abend gerne teilgenommen hätten, einen Zugang zu ermöglichen. Und da wäre ein ganz einfache Stativaufnahme mit ordentlichen Ton das Minimum, das diese Theater garantieren müssten. Diese 150 Plätze wäre übrigens auch problemlos mit individualisiertem Streaming-Zugang zu monetarisieren - angenommen diese Theateraufführungen hätten noch was relevantes auszudrücken. Von letzterem gehe ich eigentlich aus. Ich finde es zunehmend irritierend, dass die Theater und Theaterleute bei dem Thema sehr subjektiv argumentieren (und betonen müssen, nach wie vielen Sekunden sie jeweils "weg" sind etc), und nicht vom Publikum her denken. Selbstverständlich wächst aus dieser Logik auch der Anspruch der Theater, dass die öffentliche Hand ihnen helfen sollte, diese minimale Streaming-Angebot zu ermöglichen (wenn der Wille bekundet würde von den Theatern). Erstaunlich ist (ich rede nun mal von der Schweiz) dass die öffentlichen Theater diesen Willen bis jetzt nicht formuliert haben. Es scheint sie nicht zu interessieren, diese kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Das führt aktuell zu der absurden Situation, dass einzig das Opernhaus Zürich als Leuchtturm mittels extrem teurem Inhouse-Streaming die Kapazität bei 900 Menschen ermöglichen kann (und den eingesetzte Technikaufwand durch Einnahmen kompensieren kann). Das Opernhaus Zürich, als auch der Schweizerische Bühnenverband distanzieren sich - genau wie du das macht - in verbandsinternen Statement von der Notwendigkeit von "Streaming" durch den Staat, auch von analogem Blut, Schweiss und Tränen schwärmen, die es eben brauche damit Theater noch Theater sei... das macht das Opernhaus entweder im fehlenden Bewusstsein, dass auch "Inhouse"-Streaming ein "Streaming" ist - oder um sich das Alleinstellungsmerkmal als Pionier zu sichern. Die anderen öffentlichen Theater (denen die finanziellen Mittel des Opernhaus Zürich abgehen), verhalten sich duckmäuserisch, sprechen wie du - von der Notwendigkeit der Präsenz in EINEM Raum, vernachlässigen das Thema und damit auch die 50% des Publikums, das nicht im Theater sitzen kann. Es wäre also zu wünschen, dass die Theater auch mal ans Publikum denken und ein bisschen mehr Vertrauen hätten, dass die Messages ihrer Produktionen auch mit einer einfachen Stativ-Aufnahme (mit gutem Ton) rüberkommen würden. Ich zumindest bin jeweils äusserst dankbar für solche einfachen Streams, weil mich der INHALT einer Produktion interessiert. Jene Elemente, wie mir dann visuell abgehen zu übersetzen/reinprojizieren, schaffe ich jeweils sehr gut. Genauso so gut, wie eine sehbehinderte Person die Audiodeskription des ARD-Tatorts übersetzen kann in mentale Bilder. Letzterer Audiodeskription einen Sinn abzusprechen (auch bei WENIG Publikum) käme auch niemandem in den Sinn. Das führt zu meiner Kernthese: Streaming anzubieten, in diesen Corona-Tagen, ist nicht eine ästhetische oder künstlerische Frage, sondern eine ethische. Das Thema wird aktuell bleiben. Dass man die letzten sechs Monate nicht genutzt hat, um die Theater aufzurüsten, bleibt unverständlich.
Plädoyer für Streaming: duckmäuserisch?
Lieber Samuel,
eine erstaunliche Wortwahl. Ich konstatiere das, was ich durch eine empirische Untersuchung herausgefunden habe. Und würde mich sehr gerne vom Gegenteil überzeugen lassen.
Plädoyer Streaming: gewohnt ignorant
Lieber Samuel, man hat die letzten Monate ja nicht einmal genutzt, um die Kliniken personell aufzurüsten oder die Schulen mit ausreichend ordentlichen Sanitäreinrichtungen und Belüftungsanlagen aufzurüsten - und im Fall der Kliniken hat man das sogar t r o t z in Konzerne eingeflossener Steuergelder unterlassen! - DAS ist ethisch unverantwortlich. Was das Theaterpublikum und TheatermitarbeiterInnen betrifft ist es nicht unethisch, dass technisch nicht hochgerüstet wurde für raumexterne Teilhabe, sondern nur gewohnt ignorant. Diese Ignoranz bleibt nur jenen unverständlich, die das Theater lieben UND das Publikum lieben und nicht als systemischen Teil einer sehr konkreten Gesellschaft begreifen - aber wer tut das schon?
Plädoyer Streaming: Verhältnismässigkeit
Liebe Eliza, du hast natürlich Recht, dass die unethische Dimension der fehlende Aufrüstung der Spitäler weit über die fehlende technische Aufrüstung der Theater hinausweist. Diese "Ignoranz", wie du schreibst, ist aber schon eine kleine Schwester der Haltung, die die Gesellschaft die Dimension des Virus während ein paar Sommertagen vergessen liess, als auch jene Menschen, die nun erneut in Gefahr kommen (Spitäler), oder von der Gesellschaft ausgeschlossen werden in Bezug auf Kunst und Kultur (u.a. alte, kranke, aber auch weniger wohlhabende Menschen, die nicht zum exlusiven Kreis gehören). Ich meine, das "Theater" hätte theoretisch viel zu sagen in diesen Tagen, Aber gehört wird es von fast niemand mehr. Ich fände ja schon nur anständige Tonstreams aus den Theatern eine wichtige Diensleistung. Ganz sicher besser als keine.
Plädoyer Streaming: zwei Denkfehler
Hmm, wenn überprüfbare Zahlen fehlen, lieber Rainer, ist es schwer, etwas empirisch festzustellen. Aber gut, dass du es versuchst! Und es ist ziemlich egal, welcher Theatermensch über welche Aufmerksamkeitsspanne verfügt. Kann sein, dass Kay Voges nach drei Minuten weg ist, na und? Das ist keine Empirie, das sind Anekdoten.

Christian Römer macht hier ein paar sehr gute Punkte:

"Manche sagen: Mit Übertragungen und Aufzeichnungen lässt sich nichts verdienen. Das ist ein eigentümliches Argument, denn mit der Pflege deutscher Gegenwartsdramatik oder einer neuen Bürgerbühne lässt sich auch nichts verdienen, trotzdem würde niemand die Förderung dieser Bereiche in Frage stellen. Abgesehen davon: Die Zuschauer im Netz zahlen mit ihrer Aufmerksamkeit. Wenn ich in X am Bildschirm eine Aufführung in Y verfolge, widme ich diesem Werk meine Zeit, genau wie jemand, der im selben Moment auf einem Theatersessel in Y sitzt. Außerdem: Qualitätsmedien wie Der Spiegel, die Süddeutsche oder Die Zeit brauchten über zwei Jahrzehnte, um ihr subventionsfreies Online-Geschäftsmodell von "alles umsonst" auf "umsonst oder mit Bezahlschranke für ausgewählte Inhalte" umzustellen, warum sollte das Theater, das just am Anfang seiner Online-Karriere steht, als ersten Meilenstein eine Schranke hochziehen? Gerade der Verzicht darauf ist die Voraussetzung, eine neue Community aufzubauen, schwellenfrei und freiwillig."

Dass der ZDF-Theaterkanal vor Jahren gescheitert ist, ist vollkommen unerheblich. (Lineares) TV scheitert gerade ziemlich flächendeckend (Ausnahme die gallischen Dörfer der Altersgruppe 60+), aber das ist ein anderer Diskurs.
Was Samuel anmerkt, ist m.E. richtig: Streaming würde Teilhabe ermöglichen. Und was Christian sagt ist auch richtig: Theater ist sein eigener Theaterkanal, oder könnte es sein.

Aus meiner Sicht gibt es (in diesem Zusammenhang) zwei Denkfehler im Theater:
1. Streaming soll Theater ersetzen.
2. Theater hat/ist ein marktwirtschaftliches Geschäftsmodell und daher braucht auch Streaming eines.

Zu 1. bin ich müde geworden. Das ist Quatsch, aber meinetwegen. Wenn Streaming Theater ersetzen kann, dann gehört es ersetzt.
Zu 2.: (Stadt-)Theater machen wirtschaftlich keinen Sinn. Die wenigsten Menschen könnten sich regelmäßig unsubventionierte Theaterkarten leisten, irgendwas rund um 10-20% der Einnahmen kommen aus Ticketverkäufen, der Rest vom Steuerzahler. Dennoch wird intern auf Auslastungszahlen und Ticketeinnahmen geguckt, als sei man ein Wirtschaftsunternehmen. Und heimlich ist man froh, dass man so wenige Plätze verkaufen muss, dass die Spielstätten so klein sind. Die Exklusivität, die durch "geteilte Atemluft, Blut, Schweiß und Tränen" behauptet wird, ist im Grunde bequem. Man zeigt sein Zeug in 15 Vorstellungen je 400 Menschen, dann ist abgespielt, dann MUSS was Neues gemacht werden, weil ja inzwischen alle potentiellen BesucherInnen drin waren.
Warum muss Streaming dann auf einmal wirtschaftlich Sinn ergeben? Davon abgesehen ist es rudimentär sehr einfach und kostengünstig zu machen.

Mit generellem Streaming käme Vergleichbarkeit der Theater untereinander und mit anderem Medienkonsum. Man müsste in gewisser Hinsicht Rechenschaft ablegen. Es hat sicher auch Gründe abseits des technischen Aufwands, dass das wunderbare Live-Erlebnis Fußball in der Championsleague als Streaming funktioniert, in der Kreisliga C nicht so gut. Die Menschen gehen trotzdem noch zu Spielen der Kreisliga.
Plädoyer Streaming: fragt sich, welche Schiffe fahren
TV scheitert ja nicht ziemlich flächendeckend, weil das Internet soviele tolle andere Sendungen bietet, sondern weil das Internet (noch?) auch tolle "Sendungen" bietet, die Leute interessieren, während die ÖR ihren unabhängigen Bildungsauftrag in den Keller des banalsten Banalen und die Privaten ihren Unterhaltungsauftrag ins Phantasia-Blut-und Tränenland gefahren haben, damit sie den Werbekunden wenigstens noch ein paar Kunden auf diesem Publikumsmasse unterschätzenden Weg einbringen...
Ja, dieser Römer-Satz, dass Theater keinen Fernsehkanal braucht, weil es ein eigenständiger Kanal sei... Fragt sich eben was da so für Schiffe durchfahrn, nich-
PS:
Die gallischen Dörfer der 60+ hab ich jetze mal als generalisierte Diskriminierung (fast) überhört - da bist auch Du schneller, als Du Dir vorstellen kannst, lieber Björn Lengers und es wäre möglich, dass dann die gallischen Dörfer in die Du dann von den Nachgeborenen ebenso smart verbannt wirst, erheblich anders aussehen als die technischen Möglichkeiten, die Du heute beherrschst, die haben dann vielleicht mit Technik gar nichts zu tun zum Beispiel...
Plädoyer Streaming: Welche Teilhabe?!
Wenn man eine Theatervorstellung als plurimediales, sinnliches Live-Ereignis in 3D versteht, bei dem überdies nicht nur die Akteure miteinander interagieren, sondern auch mit dem Publikum und dieses wiederum untereinander, dient ein einfacher Stream, den man auf seinem Tablet schaut, nicht - nie - der kulturellen Teilhabe. Schlimmer noch - die traurige, einseitige (starre Kamera) zweidimensionale Qualität reicht nicht mal für substantielle Dokumentationszwecke.

Um wenigstens die zu erreichen, müsste massiv in Technik und Personal investiert werden. Aber am Ende stehen die Kameras dem Live-Publikum in der Sicht und ein*e Cutter*in entscheidet, welcher Teil der Bühne/ der Handlung zu Hause auf dem Sofa gesehen werden kann. Das ist nicht inklusiv, sondern exkludierend.
Plädoyer Streaming: Teilhabe weltweit
Hallo Diskutanten, ich gehöre ins gallische Dorf (60+) und bin wahrscheinlich nicht mehr systemrelevant. Doch Streaming ermöglicht mir in einer Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt (gallisches Dorf) irgendwo im kulturellen Nirgendwo die Teilhabe an Theater in Deutschland und weltweit bei den Bühnen oder Performern die streamen und da gibt es schon einiges und zum Glück sogenannte start-ups, die sich mit neuen Formen beschäftigen. Wenn die renomierten Theatertanker in Wien, Berlin, München, Hamburg und anderen Großstädten zu fein für Streaming sind, bleibe ich bei den Neuen, die auch hier ihr Publikum suchen. Vielleicht sind die nicht mehr systemrelevanten 60iger+ manchmal moderner und offener für neue Formen des Theaters als die derzeitigen, vermeintlichen Größen der Theaterlandschaft. Ihr mutigen Start-ups des Streaming-Theaters macht weiter, graue Panther werden Euch begleiten, auch wenn viele sie für zahnlos halten. Ein Leben ohne Theater ist möglich, aber ohne Streaming-Theater in Zukunft sinnlos!
Plädoyer Streaming: Totale reicht mir
@katrin: Nein, eine schöne Totale (mit gutem Ton) reicht völlig aus auf meinem Retina-Screen, um mir ein Bild zu machen, was diese Theater so machen und was sie beschäftigt. Interessiert mich nämlich. Ich brauch keine Schnitte um mir ein Bild machen zu können.
Plädoyer Streaming: nicht diskriminierend gemeint
Offenbar habe ich mich schlecht ausgedrückt. Der Satz
"(Lineares) TV scheitert gerade ziemlich flächendeckend (Ausnahme die gallischen Dörfer der Altersgruppe 60+), aber das ist ein anderer Diskurs."
war nicht altersdiskriminierend gedacht, sondern eigentlich nur als Hinweis darauf, dass die genannte Altersgruppe noch hartnäckig fernsieht. Es tut mir leid, ich wollte (jedenfalls hier) niemandem auf die Füße treten, und wenn es passiert ist, bitte ich um Entschuldigung. Schon gar nicht bin ich der Meinung, diese Altersgruppe sei nicht relevant, im (Stadt-)Theater ist sie zahlenmäßig vermutlich sogar die wichtigste.
Plädoyer Streaming: Telhabe ist analog
Lieber Herr Schwarz,

dann geht es Ihnen schlicht um den Zeck der Information. Da ist nun nichts verdammenswertes dran, hat aber weder etwas mit dem wiederkehrenden Mantra der Heinrich-Böll-Stiftung pro Streaming/ Video on Demand zu tun, noch wird man durch solch einen zwangsweise schlecht ausgeleuchteten, vernuschelten, starren Mitschnitt irgendjemanden für Theater begeistern können. In dem Sinne ist die Totale schlicht kontraproduktiv.

Teilhabe wäre, dafür zu sorgen - und dafür braucht's auch Geld - dass z.B. auch der Herr aus der Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt ein echtes Theater besuchen kann. Oder ein*e Rollstuhlfahrer*in.
Viele Theater sind hier schon weit, bringen die Abonennt*innen mit Bussen aus dem ländlichen Raum ins Theater und wieder nach Hause, haben Barrierefreiheit vom Eingang bis zum Platz, Audiodeskription, Hörschleife, bieten die Möglichkeit, eine*n (mitgebrachte*n) Gebärdendolmetscher*in an die Seite der Bühne zu stellen, lassen eine Gruppe von Asylsuchenden von Theaterpädagog*innen begleiten, die ihnen Theater als solches und das Stück näherbringen...
Kurzum, diese Theater ermöglichen ein Zusammenkommen, ein gemeinsames Erleben, einen Austausch mit anderen Menschen.
Das ist Teilhabe. Auch im 21. Jahrhundert etwas wunderbar analoges.
Plädoyer Streaming: Es freut
@rainer schmedemann: Es ist sehr erfreulich, dass dieses Angebot auch genutzt wird von 60+ Zuschauer*innen. Viele von uns werden ja bald auch 60+ sein und sind mit digitalen Medien grossgeworden. Und erst recht wenn man an Inhalten interessiert (und guter Audioübertragung) ist mit verhältnismässig kleiner Dienstleistung (einfache Totale) - diese fehlende Teilhabe zu gewährleisten. Man beachte auch die ersten Theaterschliessungen (Bern) von gestern, die wohl erst der Anfang sind. Der Stream ist hochzuhalten und wertzuschätzen. Es geht um die Inhalte, die geschützt werden müssen und die nun von den Künstler*innen wochenlang erarbeitet worden sind. Es geht nun darum, DASS die Inhalte kommunziert werden, weniger um das WIE.Und ein "Stream" ist - erst wenn er kein Gratis-Stream - als wertvoll einzuschätzen.
Plädoyer Streaming: 52 sollen es sein
Streamen könnte kulturelle Bereicherung und Werbung für das und die Theater sein. Das Jahr hat 52 Wochen! Wenn sich jetzt 52 deutschsprachige Bühnen bereit erklären würden, ihre beste Inszenierung der Spielzeit zu streamen, so könnte jede Woche eine erstklassige Inszenierung dem Theater zugewandten Personen angeboten werden. Was für eine Bereicherung, die Vielfalt des Theaters in Deutschland zu erleben. Ich bin mir sicher, dass die teilnehmenden Bühnen dadurch auch weiteres Publikum anziehen würden. Jetzt kommen natürlich alle Einwände der Bedenkenträger, doch ich denke nur an die Visionäre, die sicher realisierbare Lösungen finden. Es lebe das Theater in digitalen Zeiten.
Plädoyer Streaming: Plattformen schaffen
Liebe Diskutierende, lieber Christian Römer,

wir gehören zu den Start-Ups, von denen Reiner Schmedemann in #9 spricht (vielen Dank für die aufmunternden Worte!). Wir haben den Start der Streaming-Plattform SPECTYOU im März vorgezogen, weil zu Beginn der Pandemie plötzlich die Frage im Raum stand, wo man Theater noch erleben kann. Aber natürlich haben wir schon vor der Pandemie an der Entwicklung von SPECTYOU gearbeitet. Die Suche nach neuen Räumen für Theater wurde zwar in den letzten Jahren nicht mehr so euphorisch unternommen, wie Christian Römer am Anfang über die Zeit seit den ersten Diskussionen 2014 schreibt, aber das Netz war ja trotzdem da: all das, was im Artikel und in einigen Kommentaren über den Möglichkeitsraum Internet geschrieben wird, gab es schon vor der Pandemie und wurde auf Konferenzen diskutiert und von Theaterleuten ausprobiert. Wollen wir Theater zugänglicher machen? Wollen wir neue Wege finden, Theaterarbeiten zu präsentieren und für das Theater zu werben (natürlich auch für das analoge)? Welche Formate eignen sich besser oder schlechter für ein Theatererlebnis im Netz? Wofür kann dieses Netz noch so gut sein? Für uns stand dabei eine Frage besonders im Vordergrund: Wo wollen wir Theater im Netz stattfinden lassen? Überlassen wir das Hosting des Videomaterials Konzernen, die aus Daten Profit schlagen, oder entwickeln wir eine eigene Umgebung, auf der Theaterschaffende ihre Arbeiten zeigen können? Wie kann so eine Umgebung aussehen, die nicht nur die technischen Anforderungen zum Abspielen eines Videos bietet, sondern die z.B. zusätzliche Infos rund um ein Stück bereithalten kann und in der auch andere Arbeiten zu sehen sind, die im besten Fall einen Querschnitt durch das digitale Angebot präsentiert – von immersiven und partizipativen Formaten bis zu den viel gescholtenen "abgefilmten" Bühnenstücken (für die es aber auch einen großen Bedarf geben kann, im Bildungsbereich zum Beispiel von Hochschulen und Studierenden, für den Unterricht an Schulen etc.). Und die nicht zuletzt ein lebendiges Archiv, ein digitales Gedächtnis für das Theater, sein kann, das es bisher online einfach noch nicht gibt.

Niemand will Theater durch Streaming ersetzen, es geht darum, den Wirkungsraum von Theater zu ergänzen, das beschreibt Christian Römer in seinem Artikel ja auch. Theaterproduktionen zu sehen ist nicht überall möglich und während Corona noch schwieriger geworden. Aber ist im Theater nicht mehr Austausch und Sichtbarkeit immer besser als weniger? Dass wenigstens Stücke im Sinne einer Dokumentation gesehen werden können, halten wir für wichtig. Dafür braucht es Plattformen im Netz. Genau wie für die Weiterentwicklung von hybriden Formaten, wofür die Machina Ex, the agency und Brachland ja großartige Beispiele sind. Auch die Cyber Räuber arbeiten mit Netz-Formaten. Mit ihnen haben wir, in Kooperation mit #nachtkritikstream, im Oktober für eine Live-Übrtragung von „Prometheus Unbound" zusammengearbeitet (https://nachtkritik.de/index.php?option=com_content&view=article&id=18653:nachtkritikstream-prometheus-unbound-von-den-cyberraeubern-beim-festival-performig-arts-und-digitalitaet-in-darmstadt&catid=1517&Itemid=100416).

Naturgemäß glauben wir daran, dass es genügend Gründe gibt, sich für das Theaterstreaming einzusetzen und dass wir es nicht gegen andere Bemühungen, mehr Teilhabe zu ermöglichen, ausspielen lassen wollen. Christian hat viele Punkte angesprochen, die uns aus dem Herzen sprechen. Wir können nachvollziehen, dass es noch viele offene Fragen und Berührungsängste gibt. Um diese zu verhandeln, werden sich Foren finden müssen. An dieser Stelle möchten wir auf seinen Appell zurückkommen, erstmal anzufangen, eine Online-Community für das Theater aufzubauen. Genau dazu soll SPECTYOU beitragen. Mit dem Aufruf spricht er aber auch die Skeptiker*innen, die wir auf unsere neue Plattform einladen und mit denen wir gern ins Gespräch darüberkommen, wo wir mit dem Theater im Netz hinwollen. Schaut mal rein!
www.spectyou.com
Plädoyer Streaming: Empiriker
Moin zusammen,
es gibt sicher viele gute Gründe, Produktionen aufzuzeichnen. Fürs Archiv, für Kuratoren uva.
Wie gut diese beim Publikum ankommen, ist halt offen. Ich habe mal im Marketing gelernt und gebe das auch seit vielen Jahren weiter: wenn man Kampagnen macht, sollte man Möglichkeiten haben, den Erfolg zu messen. Und bei Umfragen sollte man willens sein, Erkenntnisse umzusetzen. Sonst kann man beides lassen ..
Daher fände ich es super, wenn alle Streamenden ihre Zahlen offen legen würden, dass wir wirklich mal eine Diskussionsgrundlage haben:
- Anzahl Abrufe
- Anzahl der bis Ende Schauenden
- Anzahl Abbrüche bei welchen Minuten
- Monetarisierung j/n und Anzahl verkaufte Tickets
inkl. no-Shows und Abbrüchen wie oben

Ich verstehe den Ruf nach Teilhabe, man muss nur auch mal die Kirche im Dorf lassen, was die Kosten angeht ... Ich kenne eine Kultureinrichtung in meinem näheren Umfeld. Mit Mitteln des Bundes wurden dort zwei hochwertige Kameras und weiteres Equipment fürs Streaming angeschafft. Bei einem der letzten VA wurden dann 5 Tickets verkauft ... Da fragt man sich doch: rechtfertigt das den Aufwand...
Plädoyer Streaming: Rechtfertigung
Ja, rechtfertigt ihn. Siehe barrierefreie Zugänge zu Theatern, siehe Audiodeskriptionen von Filmen... (Die von Minderheiten in Anspruch genommen werden). Teilhabe ist nicht eine Frage der ökonomischen Effizienz. Und das erst recht nicht in diesen Tagen. Weil würde man dieser Logik folgen, braucht es eh kein Theater, Theater ist kostenineffizient und interessiert nur eine Minderheit.
Plädoyer Streaming: Schwimmbäder ...
sind kostenineffizient und vieles andere mehr. Das ist kein Kriterium, ganz offensichtlich nicht. Aber Forderungen stellen ohne Gegenrechnung der Aufwendungen ist, sagen wir mal ...
Plädoyer Streaming: Unverständnis
Ich verstehe das Problem nicht. Natürlich sollte man den Erfolg von Maßnahmen messen. Im Theater passiert das im Grunde aber auch im "normalen" Kerngeschäft nicht, auch weil Wirtschaftlichkeit kein Kriterium ist, sondern schwammige Begriffe wie Relevanz, Qualität, etc. Ein Grund möglicherweise, warum man auf die Auslastung schaut, das ist wenigstens eine Zahl, da kann man sogar eine Prozentzahl draus machen.

Was Samuel Schwarz, Christian Römer und ich hier vorschlagen (glaube ich jedenfalls?), sind nun nicht Streamings in Wetten-Dass-Qualität und Aufwand und auch nicht damit zusammenhängende Geschäftsmodelle, wie das Pathélive, die Met, etc. machen, sondern (GERADE HEUTE!) ein unaufwändiges, kostengünstiges Streaming, das auch dazu dient, die Häuser intern und deren Publikum mit dem Thema vertraut zu machen, erste Angebote in größerer Breite zu anzubieten.

Kurz persönlich: Wir haben als CyberRäuber Anfang des Monats zwei Vorstellungen live gestreamt, mit drei Kameras (2x Panasonic AG-AC160AEJ und 1x GoPro Hero), Videomixer und einer virtuellen Kamera. Die Kameras/Mixer waren in der Centralstation in Darmstadt mit Stativ vorhanden, die Streamingsoftware OBS ist wunderbar und open-source. Den Rechner hatten wir schon. Für den Ton haben wir ebenfalls vorhandene Microports und die Soundanlage benutzt. Die Vorbereitungszeit waren insgesamt 8 h Arbeitszeit (was allerdings auch an dem sehr, sehr guten Team vor Ort lag). Wow.

Über das Ergebnis kann man unterschiedlicher Meinung sein, aber dieses Material ist doch in jedem Theater (D-A-CH) vorhanden, und dazu meistens auch min. ein/e MitarbeiterIn, die das bedienen kann.

Ich kann nicht verstehen, dass angesichts der momentanen Lage auf Geschäftsmodelle und gescheiterte Pilotprojekte von vor x Jahren verwiesen wird, man kann jetzt einfach mal machen.
Darüber hinaus wissen wir auch, dass wir im Netz sehr viel bessere Möglichkeiten haben, die Zugriffszahlen, etc. auch zu messen und diese Zahlen, die so sehnlich gewünscht werden, auch zu erzeugen. Das wäre ein Weg, endlich auch in den "analoge" Bereichen über Kennzahlen zu sprechen, und was Relevanz und Qualität eigentlich heißt.

Solange aber alle nur nasebohrend rumstehen geht nichts vorwärts. "Fail better", sagt Theatermensch Beckett.
Plädoyer Streaming: #19 einfach machen
Lieber Björn,

"man kann jetzt einfach mal machen" finde ich genau richtig.

Dem ist (fast) nichts hinzufügen. Nur eins: bitte messen und bitte transparent mit den Ergebnissen umgehen ...

Beste Grüße
Rainer
Plädoyer Streaming: Bottleneck Kunst
In diesem Sinne: bei den beiden o.g. live Sendungen (feste Anfangs- und Endzeit, nachher nicht mehr abrufbar) hatten wir insgesamt 1480 Seitenaufrufe aus 431 Sitzungen. Auch mir fehlen Vergleichswerte, und wir können nicht sagen, wie lange diese "Sitzungen" jeweils dranblieben. Über den Daumen gehe ich also davon aus, dass wir zwischen 100 und 200 durchgehende ZuschauerInnen des Streams hatten. Das ist nicht schlecht für ein Stück, dass prä-Corona für eine Studiobühne mit 70 Plätzen konzipiert war.

Hinzufügen möchte ich, dass das Bottleneck in den Theatern aus meiner Sicht NICHT die technischen Gewerke sind, die VeranstaltungstechnikerInnen in Video-/Tonabteilung, die ich kennenlernen durfte, sind allesamt fit. Internet ist inzwischen meist auch da oder zur Not macht da jemand einen Hotspot... Vielleicht ist es "die Kunst", die sich nicht traut.

Und ausserdem: mir geht es hier um live-Streaming, nicht um's aufzeichnen.
Plädoyer Streaming: heute Schwarzer Block
TOP! EINFACH MACHEN! ICH BIN DABEI! HEUTE IM GORKI MIT SCHWARZER BLOCK! ICH HOFFE WIR SEHEN UNS!
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