What's next? - Eine Diskussion beim Münchner Spielart-Festival fragte nach der Zukunft des Theaters
Komplett anders
von Georg Kasch
München, 25. November 2007. Wie sieht die Zukunft des Theaters aus? Wenn einen diese Frage interessiert, sind Festivals eine gute Sache. Oft geben sie jungen Talenten eine Chance, ihre Arbeiten zu präsentieren. Durch das Unfertige, Improvisierte schimmert vielleicht eine Handschrift, die sich im Rückblick als wegweisend herausstellt.
Auch Spielart in München bietet diese Chance. "What's next?" heißt die Reihe, in der vier Altmeister des Off-Theaters je einen Nachwuchsperformer oder -regisseur kuratieren dürfen. Die von ihnen ausgewählten Nachwuchskünstler erhielten eine carte blanche und präsentierten am Wochenende ihre Ergebnisse. Johan Simons schlug in Abstimmung mit den Kammerspielen Neco Çelik vor, Jan Lauwers seinen belgischen Landsmann Maarten Seghers, der in "So Man" ein Konzert zeigt, das nicht stattfindet, während stattdessen ein zugedröhnter Fastnackter mit Tröten und Trinkhalmen spielt.
Alles ist möglich, also tu was!
Tim Etchells kuratierte die Neuseeländerin Simone Aughterlony mit ihrer Performance "Tonic", in der zwei junge Menschen über ihre Depressionen chatten und einen Ausweg in körperlichen Aktionen suchen. Romeo Castellucci empfahl die Gruppe Ortographe, die in "Flugversuche" die Camera Obscura neu erfinden und traumartige Bilder live auf eine Leinwand werfen.
Beim Erleben dieser Performances zeichnete sich ab, dass es keine Tendenz gibt außer jener, dass alles möglich ist. So verwunderte es wenig, dass auch die Podiumsdiskussion "Die Zukunft des Theaters? Künstlergenerationen im Dialog" keinen gemeinsamen Begriff für die jungen Theatermacher findet.
Vorne sitzen die Kuratoren mit ihren vier Schützlingen, daneben zwei Dolmetscherinnen und die moderierende Publizistin Renate Klett. Sie animiert die Nachwuchsperformer und -regisseure dazu, ihre Produktionen zu erklären. Bei Çelik, dem vom Film kommenden Seiteneinsteiger, steht die zu erzählende Geschichte im Vordergrund, bei Alessandro Panzavolta, der für Ortographe auf dem Podium sitzt, die Situation (eines aus dem Traum Erwachenden), bei Seghers das Bild, von dem aus er eine Handlung entwickelt. Aughterlonys Kern ist die Botschaft: Tu was, probier was aus!
Glaubensbekenntnisse und Plattitüden
Weder die ältere noch die jüngere Generation hat einen gemeinsamen Nenner; enger erweisen sich oft die Bande zwischen Förderer und Gefördertem. So verteidigt Lauwers energisch und wiederholt seinen Schützling für dessen Konzept, seine Performances aus einem Bild heraus zu entwickeln, obwohl Seghers gar nicht angegriffen wurde.
Ebenso unterschiedlich wie ihre künstlerischen Ansätze sind ihre Beziehungen zum Medium Theater. Aughterlony glaubt an den Ort der unbegrenzten Möglichkeiten, Çelik will auf der Bühne die Wahrheit zeigen, Panzavolta überraschen. Und Seghers sucht darin vor allem die übrigen Medien und Künste; das Publikum ist ihm wurscht. Castellucci befindet im sich entfaltenden Streit um bildende Kunst und Theater, dass das Theater nicht Objekte, sondern Erfahrungen verkaufe.
Lauwers beschreibt die tiefe Kluft zwischen Kunst und Bühne, die in der Zeit bestehe: Vor einem Bild sei man ihrer Herr; im Theater aber werde man mit einer bestimmten Dauer konfrontiert, die man in den seltensten Fällen beeinflussen kann, ohne die Konventionen zu verletzen und andere Besucher zu stören. Etchells hingegen betont, dass die Aufführung auch die Anforderungen an das Zuschauerverhalten bestimme: Bei einer 24-Stunden-Performance wird keiner auf den Gedanken kommen, die ganze Zeit zu bleiben.
Die Antworten fallen aus
So schweift die Diskussion immer wieder ab, dreht sich in abstrakter Weise um den Kunst- und Theatermarkt, fragt auch mal nach der Rolle des Publikums. Das meldet sich schließlich zu Wort und fordert wiederholt die Beantwortung der ursprünglichen Frage ein: What's next? Die Beantwortung fällt aus, vielleicht auch deswegen, weil alle mangels eines gemeinsamen, klar definierten Vokabulars (wozu basteln Theaterwissenschaftler eigentlich ihre Performanztheorien und die zugehörigen Begriffe?) und unterschiedlicher Englischkenntnisse zuweilen heftig aneinander vorbei reden.
Einmal wird Johan Simons, designierter Kammerspielindentant, direkt gefragt, wie er denn die Zukunft seines Theaters gestalten wird. Er will Menschen einladen, die etwas komplett anderes machen als er, die ihn mit ihren Arbeiten verblüffen. Namen oder ästhetische Ansätze nennt er nicht. So bleibt die Zukunft im Vagen. Dafür erfuhr man etwas über das Theater von heute, über die vielfältigen Ansätze, Reibungsflächen, Möglichkeiten. Wenn das Theater von morgen derart bunt bleibt, braucht man sich kaum darum zu sorgen.
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