Dantons Tod - Ulrich Rasche lässt Büchners Revolutionäre am Schauspiel Frankfurt auf Räderwerk schreiten
Glieder in der Walze
von Esther Boldt
Frankfurt, 27. März 2015. Was für ein Paar! Auf einer riesigen schwarzen Walze rutscht Danton auf allen vieren voran, den Oberkörper entblößt, die Mine entglitten. Neben ihm schreitet Robespierre im schwarzen Gehrock und mit akkurater Gelfrisur. Bevor noch ein Richtspruch ihn fällen konnte, scheint jener schon gefallen, während sich der andere an der Unfehlbarkeit seines Verhaltens wärmt. Doch dann erhebt sich Danton, eine schwitzende und höchst lebendige Lichtgestalt in beigen Reiterhosen, neben der der dunkle Vogel plötzlich klein aussieht und fragil.
Aber die Antagonisten aus Georg Büchners Revolutionsdrama "Dantons Tod" ringen nicht nur miteinander, sie kämpfen auch mit der Theatermaschinerie, die Regisseur Ulrich Rasche ihnen in die enorme Weite des Frankfurter Schauspielhauses gestellt hat: Sein Bühnenbild aus riesigen, schwarzen, rotierenden Walzen, auf denen die Schauspieler nahezu unablässig voranschreiten müssen, um nicht zu stürzen, scheint eine wörtliche Entsprechung in Dantons Aussage zu finden, ihm wäre, als sei er in ein Mühlwerk gefallen, "und die Glieder würden mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht."
Denken vorantreiben
In grausamer Gleichgültigkeit mahlt die Revolutionsmaschine, zermalmt Schuldige wie Unschuldige, Adlige wie Revolutionäre, um Platz zu schaffen für eine neue, vermeintlich bessere Welt, in der die Verrotteten und Verrohten von gestern nichts mehr verloren haben werden. Denn bekanntermaßen frisst die Französische Revolution, deren Geschichte Büchner verarbeitete, ihre Kinder, verkehren sich die Forderungen nach Freiheit und Gleichheit in Despotismus.
Der Regisseur, der mit seinen formal strengen, chorischen Inszenierungen bekannt wurde, war zuletzt 2010 in Frankfurt zu Gast – da inszenierte er Goethes Wilhelm Meister im Bockenheimer Depot. Auch hier wurde chorisch skandiert und marschiert, auch hier diente die Bewegung ebenso dem Vorantreiben des Denkens wie als Mittel der Abstraktion. In "Dantons Tod" verkneift sich Rasche jedwede Aktualisierungsversuche, die auf die aktuellen Aufstände, Revolutionen und Revolten in vielen Teilen der Welt verweisen. Er schafft vielmehr ein grausam-konsequentes Bild für die Mechanik der menschlichen Selbstzerstörung und treibt dieses bis zum bitteren Ende.
Menschliche Mechanik
In unbestreitbarer Konsequenz ergeht es dem Zuschauer nicht besser als jenen, die die Revolutionsmaschine einst mit ins Leben riefen und die sie nun vernichtet, denn auch für das Publikum wird das dunkle Rollen der Walzen, das monotone Weiterschreiten der Schauspieler zur Strapaze. Die permanent treibende Musik von Ari Benjamin Meyers ist des Guten zu viel, sie verdoppelt und verdreifacht, was Schauspiel und Bühne deutlich genug verbreiten, und kleistert Büchners kristallklare Sprache opernhaft zu.
Der Disput der beiden ungleichen Männer, des so körperlichen, der Sinneslust zugewandten, zweiflerischen Danton und des abstinenten, fest verfugten, blutdurstigen Robespierre ist ein großer Moment dieses monströsen Theaterabends. Im Zwiegespräch versucht Robespierre zunächst noch, Danton von seiner Vernichtungspolitik zu überzeugen, doch der Krabbelnde und Krauchende möchte keine unschuldigen Köpfe mehr rollen sehen und treibt Robespierre so zurück in seine Einsamkeit. Bei Nico Holonics ist er eine dunkle Verkrampfungsfigur, schreckstarr in seiner Tugendhaftigkeit und zugeknöpft bis zum Hals, die Arme mitsamt nervöser Flatterhände vogelhaft vorgestreckt.
Selbstermächtigungs-Traum
Während dieser sich immer gleich bleibt, durchläuft Torben Kesslers Danton eine grandiose Verwandlung, die im scharfen Kontrast steht zu den monoton mahlenden Mühlen der Revolution: Gibt er anfänglich, als der Chor der Jakobiner seine Forderungen verkündet, den verzweiflungsgrinsenden, blassen Zauderer, den Blick in eine ungesehene Ferne gewendet oder sich an fremde Frauenbrüste rettend, so erstarkt dieser Danton im Laufe des Abends ungeheuer.
Der Streit mit Robespierre reißt ihn aus seiner Lähmung. Kathartisch stellt er sich seinem schlechten Gewissen ob der Septembermorde, die er zu verantworten hat, und legt schließlich den zwischen Finsternis und Heiterkeit changierenden ingrimmigen Zorn desjenigen an den Tag, der Recht und Geschichte auf seiner Seite weiß und seinem Ende dennoch – oder gerade deswegen – mit erschütternder Gelassenheit entgegensieht, sich regelrecht aufbäumt in den Tod. Hier, in diesem Sterbenden flackert der moderne Traum von der Selbstermächtigung des Subjekts noch einmal lebhaft auf – und weiß doch darum, dass sein Flackern verglühen wird im ungerührten Fortschreiten der Zeit.
Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie und Bühne: Ulrich Rasche, Komposition: Ari Benjamin Meyers, Kostüme: Sara Schwartz, Chorleitung: Alexander Weise, Licht: Johan Delaere, Dramaturgie: Michael Billenkamp, Sänger: Guillaume Francois, Maurice Lenhard, Arturas Miknaitis. Musiker: Aki Kitajima, Ruben Jeyasundaram, Thomsen Merkel, Jan Terstegen.
Mit: Torben Kessler, Nico Holonics, Isaak Dentler, Maximilian Meyer-Bretschneider, Toni Jessen, Alexander Weise, Timo Fakhravar, Alice von Lindenau, Paula Skorupa, Anna Böger, Paula Hans, Markus Gläser.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
www.schauspielfrankfurt.de
Viel diskutiert wurde in den Kommentaren zur Besprechung von Ulrich Rasches Inszenierung Die kosmische Oktave an den Sophiensaelen Berlin (3/2014)
Ulrich Rasche übersetze "hautnah, wuchtig und beklemmend intensiv die Gewalt und Dynamik revolutionärer Prozesse in die Wirklichkeit – der Bühne", so Cornelie Ueding auf Deutschlandfunk (Kultur heute, 30.3.2015). "Gerade die Strenge dieser auf den Kern des Stückes fokussierten Inszenierung, der Verzicht auf modische Accessoires oder Aktualisierungen macht klar, dass es um mehr geht als um die Kippstelle der Französischen Revolution". Von "brennender Aktualität" sei es, "wie die schwarzgekleideten Vollstrecker der revolutionären Doktrin im umdüsterten Raum ihrer Hassreden gegen Verräter, Feiglinge, Abweichler, Konterevolutionäre, gegen die Reichen und korrupten Eliten zu Abbildern eines tödlichen Fanatismus weltweit mutieren." "Bedrückend und beeindruckend" sei besonders die "mechanische, emotionslose Automatik des Verfahrens: eine Art rhythmisierte Gerechtigkeitsmaschinerie aus dem Geist der Abstraktion, der Theorie- und zugleich der Legendenbildung."
In der Frankfurter Rundschau (30.3.2015) spricht Judith von Sternburg von einer strengen, ästhetisch ansprechenden, dem Pathos nicht abholden "und mit Blick auf 140 pausenlose Minuten auch rücksichtslos stupide Stilisierung". Die Inszenierung sei auf der einen Seite "sinnlich, auf der anderen mechanisch, auf der einen ein technisches Spektakel, auf der anderen vermisst man schmerzlich den letzten handwerklichen Schliff beim chorischen Sprechen." Es werde vieles niedergewalzt an Text, Menschlichkeit, psychologischer Pointe. "Dafür wird der Selbstläufer revolutionärer Umwälzung zur Hauptfigur. Das ist radikal, auch wenn man nach zehn Minuten das meiste begriffen hat. Und wer dabei war, wird es nicht vergessen."
"Der Abend ist eine Wucht." So beschließt Christine Dössel ihre Rezension von Rasches Inszenierung in der Süddeutschen Zeitung (4.4.2015). "Arglos" sei sie "ins deutsche Stadttheater" gegangen – "und dann das: Georg Büchners Revolutionsdrama 'Dantons Tod' als gigantomansiches Maschinenrotationswerk im Operngroßformat. Mit Wortwalzenwucht daherdonnernd, dass es einem durch Mark und Bein fährt. Satz-Salven. Pathos-Kanonaden. Chorisch-musikalische Sinnesattacken bei höchster Überwältigungsgefahr. Es ist großartig. Zermürbend. Berührend. Enervierend. Oft alles zugleich. Es ist nur eines nicht: Durchschnitt." Man sei nach dieser Aufführung "künstlerisch und existenziell durchgeschüttelt, aufgerüttelt, beeindruckt. Wie von einer höheren Gewalt."
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Doch allein die Bilder dieser Inszenierung wirken zu kolossal, weil technisch monströs und in monumentaler Beleuchtung, als dass sie Empathie und Erkenntnis auslösen könnten; sie verzichten auf notwendige Zwischentöne und bleiben bedrohlich starr.
Und obwohl sich die Schauspieler, vorwärtsgetrieben von großen Walzen, die mutmaßlich den unaufhaltsamen Lauf der Dinge einschließlich des Drangs nach Rückwärts andeuten, fast ständig bewegen, erschöpft sich die Botschaft des Stücks in von Sprechchören vorgetragenen Deklarationen.
So bleibt zu wenig Platz für das, was Büchners Drama auszeichnet: Für Dialoge, für nachvollziehbare persönliche Empfindungen bis hin zur Destruktivität, für das Abwägen gesellschaftlicher Entwürfe. An den Stellen, wo die zentralen Personen des Stücks als Individuen auftreten dürfen, erlebt das Stück seine eigentlichen Höhepunkte.
Insgesamt aber erinnert die Aufführung an eine gigantische Totenmesse. Als schlussendlich zu Betrauernde erweisen sich Georg Büchners Sprache und Dramaturgie, die Schauspieler und Musiker und nicht zuletzt die Zuschauer.
der verzweifelte versuch einer schleefschen aesthetik, die nur durch eine tragische monotonie verstanden. eine interessante schau fuer sophisten mit großer interpretationslust - jedes gesicht darf nur eine falte schlagen. anstoss. mit dieser inszenierung ist das spiel ein weiteres mal ausgestorben. die pathetische anklinge umarmt ihren mechanischen purismus, apokalyptische langeweile (...).
Die Überforderung des Zuschauers? Endlich!
Was bleibt übrig von diesem Abend, wenn man den technischen Aufwand und die riesigen Drehwalzen subtrahiert vom Bühnengeschehen? Für mich nicht viel, deshalb ist dieser Danton eher ein Schauspielverhinderungsabend. Und ob das Bühnenbild tatsächlich als ein „grausam-konsequentes Bild für die Mechanik der menschlichen Selbstzerstörung“ taugt, das bezweifele ich. Die Räder oder Walzen drehen sich, unaufhörlich; kann man auch sehen als „Lebbe geht weider“ – und damit wär’s dann mächtig banal.
Link zur "Kohlhaas"-Aufführung:
http://www.general-anzeiger-bonn.de/lokales/kultur/ulrich-rasche-inszeniert-michael-kohlhaas-article761353.html
ver(Heiner)müllert und Schauspieler und Zuschauer gequält.
Darsteller schreiten über gewaltige Walzwerke oder Laufbänder, treten auf der Stelle, wechseln sich in strengem Rhythmus ab und werden dabei unablässig musikalisch begleitet. Mechanistisch funktionieren die formstrengen Arbeiten des Chortheaterexperten Rasche.
So sehr mich das beeindruckt hat bei der "Kosmischen Oktave" von Nils-Momme Stockmann, (in Frankfurt zu sehen als Gastpiel der Sophien-Säle während der Goethe-Festwochen), bei "Dantons Tod" ist der Bogen eindeutig überspannt. Die überlagernde musikalische Dauerpenetration exekutiert Büchners geniales Erstlingswerk.
Nichtdestotrotz: Opern-, Chor-, Performance-Liebhaber werden sich neben der Beschallung an den spektakulären, ästhetisch atemberaubenden Bildern und Eindrücken erfreuen. Theater- und Textfreunden empfehle ich einen Sitzplatz in der letzten Reihe und die vorherige Lektüre des Dramas.
Leider: eine allgemeine fixe Idee, grandioses Bild wider alle Vernunft walzt einen Büchner schon in 20 Minuten zum platten Sprücheklopfer.
Doch ihre Überwältigungsmaschine revolviert stundenlang, noch zwei.
Unbarmherziger Gang der Geschichte, an seinem Ende die Ruhe des Willy-Brandt-Platzes. Herrliche Paläste.