Kleiner Mann - was nun? – Anne Lenk zaubert den berühmten Romanstoff von Hans Fallada ins Stadttheater Augsburg
Hoffnung könnte helfen
von Willibald Spatz
Augsburg, 3. Mai 2015. Wenn es dunkel wird nach der letzten Szene und die sich umarmenden Lea Sophie Salfeld und Tjark Bernau verschwunden sind, dann kann man in dieser kurzen Stille, bevor der Applaus einsetzt, das Gefühl förmlich greifen, eben einem großen Wurf beigewohnt zu haben. Wie bei einigen Augsburger Inszenierungen von Anne Lenk ist es ein einfaches, aber ungemein stimmiges Bühnenbildkonzept, das dem Ensemble den Raum gibt, dermaßen gut aufzuspielen.
Bei Maria Magdalena war es eine Wand aus Schränken, in "Bernarda Albas Haus" eine monströse Puppe und bei Minna von Barnhelm lediglich eine leere Drehbühne mit einem großen weißen Vorhang. Diesmal sind es Kostüme, die von der Decke kommen. In die kann man von hinten reinschlüpfen und so seine Rolle übernehmen, wobei natürlich der Bewegungsradius stark eingeschränkt ist durch die Seile, an denen die Klamotten hängen. Teilweise wirken die Schauspieler dadurch wie Marionetten. Und es sind viel mehr Kostüme als Rollen, die wie eine stumme, sich geisterhaft bewegende Menge von der Bühnendecke schweben.
Unschuldige Loser
Im Zentrum stehen Tjark Bernau und Lea Sophie Salfeld als titelgebender kleiner Mann Johannes Pinneberg und seine Frau Lämmchen. Die beiden spielen als einzige durchgehend nur jeweils eine Rolle, die anderen fünf Schauspieler müssen in beinahe jeder Szene jemanden neuen darstellen.
Die hier gekürzte dramatisierte Fassung stammt von Luk Perceval. Es sind nicht nur Dialoge, sondern auch sehr viel erzählende Elemente enthalten, was bedeutet, dass die Figuren oft über sich selbst und ihre Handlungen reden müssen. Gleich beim ersten Mal, wenn Tjark Bernau an den Bühnenrand tritt und sich an den Zuschauer wendet, nimmt er einen unheimlich ein für diesen sympathischen Loser Pinneberg. Dem kann nichts Schlimmes passieren, weil er innerlich so rein ist mit seiner Liebe zu Lämmchen. Die ist bei Lea Sophie Salfeld eine, die ihre Naivität und Unschuld im Lauf der Zeit immer mehr verliert und am Ende beinahe einer Versuchung erliegt. Die Verhältnisse nehmen sie irgendwann doch zu sehr mit.
Um das Paar herum gibt es auch fast nur schrecklichste Menschen: Der brutal prollige Chef Emil Kleinholz, der Pinneberg nur Arbeit bietet, um ihn mit seiner Tochter zu verkuppeln. Bei Thomas Kitsche erinnert er ein bisschen an Meister Röhrich aus den Werner-Comics, wodurch er zwar nicht netter, aber umso witziger rüberkommt. Ute Fiedler und Anton Schneider machen aus Pinnebergs Mutter und ihrem neuen Lover ein extrem nerviges Vor-Hippie-Pärchen. Einzig der bei Anton Koelbl wunderbar zurückhaltende Heilbutt ist ein wirklicher Freund von Pinneberg. Doch der wird noch schneller gefeuert als Pinneberg selbst. "Die Firma interessiert sich nicht für Ihr Privatleben, die Firma ermöglicht Ihr Privatleben überhaupt erst." So bitter war das einmal.
Märchen aus vergangener Zeit
An sich ist die Sachlage relativ schlicht, die Bösen sind die anderen Menschen, die Guten Pinneberg und Lämmchen, die wirklich alles verlieren bis auf den Glauben an sich selbst. "Ein bisschen Hoffnung könnte helfen", fordert Lämmchen. So einfach lässt sich das zusammenfassen und in diesen schönen Bildern, in denen die Geschichte hier erzählt wird, bleibt am Ende womöglich nicht mehr als ein Märchen aus einer vergangenen Zeit; der Roman stammt aus dem Jahr 1932, also kurz bevor die Nazis die Macht ergriffen. Aus der Zeit danach hätte man ein Märchen heutzutage auch nicht mehr so einfach erzählt bekommen wollen.
Einmal werden alle Kostüme noch mal hochgefahren, und Pinneberg ist allein auf einer nächtlichen Straße, auf der im Video eindeutig moderne Autos und Straßenbeleuchtung zu sehen sind. Natürlich kann man keine Inszenierung dieses Romans sehen, ohne an Armut und Not aktuell denken zu müssen. Doch bis auf die Straßenszene verzichtet Anne Lenk auf konkrete Anknüpfungspunkte. Vieles von der einstigen menschlichen Kälte und Brutalität wünscht man sich überholt und vergangen. Diese Verweigerung einer konkreten Position ist womöglich eine weitere Stärke des Abends. Denn nur weil er nicht offensichtlich auf der Bühne dazu aufgefordert wird, beginnt der Zuschauer im Verlauf der Vorstellung doch nachzudenken.
Kleiner Mann – was nun?
von Hans Fallada
Fassung von Luk Perceval
Regie: Anne Lenk, Bühne und Kostüme: Halina Kratochwil, Dramaturgie: Tobias Vogt.
Mit: Tjark Bernau, Lea Sophie Salfeld, Sarah Bonitz, Ute Fiedler, Thomas Kitsche, Anton Koelbl, Anton Schneider.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.theater-augsburg.de
Die Kleiderstangen seien "eine schöne Metapher für a) unsere täglichen kleinen Rollenwechsel und b) für die gesichtslose Berliner Menschenmenge", so Rüdiger Henze in der Augsburger Allgemeinen (5.5.2015). Allerdings wirke der Abend eine Spur zu vortrage- und aufsagelastig. "Ein bisschen mehr Sinnlichkeit, ein bisschen mehr Spiel, ein bisschen mehr Illusion hätte ihm gewiss nicht geschadet."
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