Einsatz hinter der V.ierten Wand - copy & wastes neuer Abend im Ringlokschuppen Mülheim
Pynchons Fight-specific-Projekt
von Sarah Heppekausen
Mülheim, 31. Januar 2013. Die Stadt ist ein Bühnenbild. Aber ihre Fassade läuft weg. Sie hat die leeren Versprechungen des öffentlichen Raums beim Wort genommen und geht dahin, wo es am schönsten ist: in die Werbung. Also hängt die LED-Leuchttafel auch gleich im Bühnenraum, gut einsehbar von den Publikumsplätzen, dann klappts auch mit dem Verkauf von Anzeigen. Da strahlen die Damen und Herren von "Seeblick Immobilien" aus dem Werberahmen. Und die Nummer, die Antworten auf jegliche Fragen verspricht: 0800-Kunst. Was die Stadt kann, kann die Kunst schon lange: sich selbst vermarkten.
Den Raum verschwenden
V wie vermarkten. Ja, auch. Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wenn das Berliner Kollektiv copy & waste zusammen mit dem Mülheimer Ringlokschuppen von der Kulturstiftung des Bundes für stadtspezifische Theaterarbeit gefördert wird, ist nicht mit simplen Partizipationsprojekten zu rechnen. Autor Jörg Albrecht ist ein Referenzsammler und Sprachergründer, Wörter wie Partizipation und Projekt sind für ihn und Regisseur Steffen Klewar Anlass zu theoretischer und spielerischer Reflexion. "Partizipation heißt: zusammen verschwenden" lautet also der Text an diesem Abend.
V wie verschwenden. Das Wort ist Prinzip. Der "Einsatz hinter der V.ierten Wand" ist ein hochkomplexer. Eine Mission multipler Personen, in nahe Ruhrgebietsszenerien und in ferne Gedankenwelten. Copy & waste geben sich in ihrer künstlerischen Analyse nicht mit einer einzelnen Stadt zufrieden. Strukturschwäche ("Der Raum um uns herum hat genau so wenig zu tun wie wir") wird mit noch mehr Unübersichtlichkeit beantwortet.
Hitchcocks Vertigo als Schaufensterpuppen-Remake
Der US-amerikanische Schriftsteller Thomas Pynchon ist ein Meister vielschichtiger Strukturen und verwirrender Bezugsnetze von Figuren und Handlungen. Sein Romandebüt "V." (1963) ist Wort- und Personenlieferant für Albrecht. Matrose Pig wird zum Designer, der alles gestalten kann, nur nicht Begriffe, die keine Waren sind. Slab ist heute ein Interventionskünstler, der den M.A. Zwischennutzung studiert und in einem leeren Raum des Folkwang-Museums ausstellen will. Und Stencil sucht bei copy & waste wie bei Pynchon zwar auch nach der geheimnisvollen Frau V., aber er ist auch Träger der Theorie einer neuen Stadt. Er ist Albert Speer junior.
So vermischen sich an diesem Abend Stencils Suche und Speers Stadtplanung. Das Fight-specific-Projekt trifft virtuelles Flamingo-Schießen. Mobilität bedeutet Wanderbühne wie fliehende Fassade. Und V auch Vertigo – den Hitchcock-Film gibt's als Schaufensterpuppen-Remake zu sehen, gratis auf der Werbetafel. Ein Überfluss an Marketingfloskeln und Architekturassoziationen, historischen Verweisen und aktuellen Anspielungen, der diesmal allerdings nicht mit der Spritzigkeit früherer Arbeiten über die immer auch mitthematisierte Bühne geht. Mag sein, dass das am Thema liegt. Auf der Suche nach dem verlorenen Raum wird Stadt-Entwicklung zur Kunst-Abwicklung. Die "Traumatisierung eines großen amerikanischen Romans" stimmt zuweilen arg trübsinnig, immer hart an der Belastungsgrenze.
Umwege und Entdeckungen
Die Wahrheit hat sich längst zurückgezogen aus der Darstellung. Also können Pynchon-Protagonist Profane und die anderen Hafenjungs auch problemlos von Schauspielerinnen gesprochen werden.
Elena Garcia Gerlach, Janna Horstmann, Silvia Medina und Lise Wolle werfen sich leidenschaftlich in die Wortsalven, singen lieblich im Background von Live-Musiker Matthias Grübel oder synchronisieren Schwärmereien über deutschen Brückenbau im Sprechchor. Als einsamer Schlemihl sinniert hier nicht Profane, sondern Sebastian Straubs Stencil. Aber darauf kommt es ja kaum an. Die Figuren und Orte wechseln so schnell wie die Gedanken springen. Von Paris nach Mülheim, von Commedia dell'arte über die A 40 zum Fördergeldantrag. Manche bissige Pointe, manch schönes Wortspiel bleibt dabei unerhört auf der Strecke. Es ist, als wollten copy & waste dem Zuschauer auch jeden Schleichweg, jede Sackgasse als Möglichkeit anbieten. Nur verliert der mit der Zeit das Ziel der Suche aus den Augen. Trotzdem: Auch jeder Umweg birgt neue Entdeckungen. Und bei copy & waste sind das mal wieder eine ganze Menge.
Einsatz hinter der V.ierten Wand
von copy & waste
Text: Jörg Albrecht, Regie: Steffen Klewar, Bühne/Kostüm: Caspar Pichner, Video: Ian Purnell, Musik: Matthias Grübel, Dramaturgie: Wilma Rendfordt. Mit: Elena Garcia Gerlach, Matthias Grübel, Janna Horstmann, Silvia Medina, Sebastian Straub, Lise Wolle.
Dauer: ca. 2 Stunden 10 Minuten, keine Pause.
www.ringlokschuppen.de
www.copyandwaste.de
Auch mit Berlin hat sich copy & waste vor der Folie eines Romans schon befasst: 2009 mit Berlin Ernstreuterplatz.
Selten habe sich "das Sterben der Städte so jung und lebendig angefühlt wie auf der Bühne dieses herrlich absurden Theaters", schreibt Britta Heidemann beim WAZ-Portal Der Westen (1.2.2013). Das "Spannende, Großartige dieses Stücks" ist aus Sicht der Kritikerin die Verwandlung der öden Fußgängerzone, der Brachflächen, Straßen, Parkhäuser "mittels eingespielter Videos (Ian Purnell): Eine Flamingo-Jagd im Parkhaus, eine Schaufensterpuppen-Fotostory in der Camera Obscura zeigen die Stadt als surrealen, geheimnisvollen Ort."Dazwischen gebe es "Stadtplanungsgequatsche", das Heidemann "in aller schnellen Unsinnigkeit beinahe an René Polleschs Wortkaskaden" erinnert, einsam vorgetragene Songs oder ein ausklappbares Theater. Auch hier gelinge es den Akteuren "sperriges Gedankengut zu verwandeln in eine Choreografie".
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