I can be your hero Baby - Das Kollektiv Henrike Iglesias performt am Schauspiel Leipzig
Alte Tante Stadttheater auf dem Lauf-Steak
von Tobias Prüwer
Leipzig, 20. Juni 2014. "Da gibt's Musik und alles." Der entlarvende Satz des Abends fällt nach dem Schlussapplaus. Das ausgelassene Publikum wird zur Premierenparty in die Szene-Wohnzimmer-Bar Meins, deins unser eingeladen. Die liegt nicht weit weg von der Nebenspielstätte des Leipziger Schauspiels entfernt mitten drin im Quartier Plagwitz, dem Epizentrum des anhaltenden Leipzig-Hypes. Der Berlinvergleich muss heute nicht bemüht werden. Immerhin sind ein paar Zuschauer extra aus der Hauptstadt angereist, um der Gruppe Henrike Iglesias bei "I can be your hero baby" – nach einer Song-Zeile von Enrique Iglesias –, der Auseinandersetzung mit dem Thema Catwalk und Laufhaus, beizuwohnen.
Gendern und polleschen
Die vier Künstlerinnen "begreifen popkulturelle und massenmediale Phänomene als Spiegel gesellschaftlicher Zu- und Missstände", lässt das Programmheft wissen. Auf einer Metaebene trifft die Aussage ins Schwarze, wie dieses Mashup aus "Musik und alles" vorführt. Kooperationen zwischen Stadttheater und freier Szene sind gerade angesagt, die Stichworte Gender und Queer hoch im Diskurs, was soll da schon schief gehen, dachten sich wohl alle Beteiligten. Das Yolo- ("You ony live once") und Hipster-Publikum wird's schon goutieren, ein bisschen Hipness auf die alte Tante Stadttheater abfärben.
Dass dieser Plan aufging, zeigt schon der Auftakt, als ein übergroßer pink-weißer Schwan zum Tanz über die Bühne geschoben wird. Zu Diskobeat und "Bukkake"-Refrain erfüllt Zuschauergekicher den leeren, von Gardinen abgehängten Raum. Ein roter Teppich ist ausgerollt für 80 Minuten gute Laune bei miesem Spiel, in denen sich Mini-Spielszenen, Monologe und Moden-Schau-Intermezzi abwechseln. "Oh, der erste Durchlauf ging fünf Stunden. Müssen wir wohl noch ein bisschen #polleschen", mahnten die Autorinnen via Twitter noch die Selbstoptimierung an und man kann wenigstens über die finale Kürze froh sein.
Mit René Pollesch und Diskurstheater hat das alles nichts zu tun, dünn bestellt ist es auch um die Ernsthaftigkeit des Themas. Bereits der Ansatz ist wenig überraschend. Sexarbeit wird mit dem Kandidatinnentum in "Germany's next Topmodel" zusammengeschnitten. Bei beiden wird der weibliche Körper verkauft, lautet die banale Grundthese. Voyeurismus – bei den einen mit Anfassen – als Geschäftsmodell soll also kritisiert werden; im Theater, mit voyeuristischen Mitteln vor johlendem Publikum. Dabei ist die Kampfzone auf dem Schlachtfeld Körper doch viel ausgeweiteter, wie unter anderem die freien Gruppen Fräulein Wunder AG mit Power of Pussy oder Formlos in Porn this Way auch schon bei Leipziger (Ko-)Produktionen im Lofft klüger und physisch intensiver bewiesen.
Verrenkte Normalkörper
Den Kitt, der den Abend zusammenhalten soll, ist Heidi Klums Casting-Show. Man wird als Publikum in einer Kölner Arena begrüßt. Attitüde und Phrasen der Moderatorin werden karikiert, dann ausufernd vorgespielt, dass es in Wirklichkeit gar nicht um die Kandidatinnen geht, sondern ums Business. Anspielungen wie "Heidis Mettbrötchen" versteht dabei wohl nur, wer die Sendung verfolgt. Das sind an diesem Abend offenkundig viele. Solcherlei Bullshit-Bingo in Wort und Pose mag für ein paar Minuten amüsant sein, trägt aber nicht über einen Abend, der sich auch noch "Auseinandersetzung" nennt. Die Wirkung der eingestreuten Erlebnisberichte aus der Bordellarbeit geht auch aufgrund radebrechender Aufsagerei und darstellerischer Unfähigkeiten der Vier unter. Natürlich fallen Bourdieu und Butler als Namen, Laurie Penny ("Fleischmarkt") wird zitiert und das Programmheft enthält eine ganze Literaturliste. Die Lektüre theoretischer Positionen – könnten Patriarchat und Kapitalismus womöglich zusammenhängen, sind Normierung und Schönheitsindustrie nicht über Klums Show hinaus wirkmächtig? – merkt man der Inszenierung aber ebenso wenig an wie irgendeinen dramaturgischen Gedanken.
Ein (belang-)loser Szenenreigen macht noch keine Performance, welche eben zuallererst von der Performance lebt. Catwalk-Einlagen in erwartbar abgedrehten Kostümen und erzwungen komische Momente verrenkter Normalkörper zu eingänglichen Melodien geraten so zur ausgewalzten Übertünchung der Konzeptlosigkeit. Fürs Schaulaufen einer freien Gruppe im Stadttheater reicht das offensichtlich allemal und die Premierenparty im Szeneschuppen wird mit Sicherheit noch der Kracher geworden sein. #hypezig, #happy
I can be your hero baby
von Henrike Iglesias
Von und mit: Anna Fries, Hanne Lauch, Laura Naumann, Marielle Schavan und Sophia Schroth.
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause
www.schauspiel-leipzig.de
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Was Herrn Herr Lübbe aber nicht abhält, sich am Samstag in der Leipziger Volkszeitung feiern zu lassen. Er spricht über die erfolgreichste Spielzeit seit vielen Jahren. Er macht das einzig und allein an Zuschauerzahlen fest. Aber was Zuschauerzahlen über die Qualität aussagen, sieht man schon an den Einschaltquoten im täglichen Fernsehprogramm: Nichts!
Denn außer der wirklich großartigen Inszenierung von „Und dann“ gab es nichts Bemerkenswertes in dieser Spielzeit.
„Leipzig, willkommen in der Landesliga“, um mal in der Fußballsprache zu sprechen. Das ist auch nicht schlecht, Hauptsache die Zuschauerzahlen stimmen.
Danke für den "Lesetipp"! Ich bin kein Nostalgiker und will auch kein Centraltheater verteidigen, aber nach so einem Interview à la Wir sind ja einfach super, was wir hier alles machen...., Wohin wir alles eingeladen werden...., Die Zuschauer kommen sowas von zahlreich, man kann die schon nicht mehr unterscheiden...., Also die Dreigroschenoper - Hammer!, Ich kann ja kaum noch proben, so mega sind unsere Schauspieler anderswo gefragt...., Ach so, die Preise müssen wir übrigens leicht erhöhen...., vielleicht `n bißchen Personal abbauen, mal gucken...., Und die Freie Szene geht bei uns ein und aus, die gratulieren uns schon...., Unsere nächste Spielzeit beschäftigt sich mit der (gäääähn!) Wende - und das auch noch aus Sicht eines (Wahnsinn!) Österreichers.... hätte man den Hartmann in unserer Heldenstadt mit angedocktem Lokalblatt gevierteilt und eine Woche lang durch Kulturausschuss und Leserbriefspalte gezogen. Aber bei uns in Leipzig ist jetzt der große Schlaf ausgebrochen. Vielleicht mal das als Spielzeitmotto! Alle haben sich dolle lieb und finden sich selbst noch doller. Is´ alles so schön bunt hier! Gar nix is´ mehr, bloß Verwaltungskultur und Schönwettertheater. Aber Politik und Intendanz freuts. Die können jetzt labern, was sie wollen, solange sie es nicht zu laut machen. Man will ja keinen wecken.
(Anm. der Redaktion: Dieser Kommentar stammt von derselben IP-Adresse wie Kommentar Nr. 1)
Danke an die Redaktion, daß Mehrfachpostings wie unter 1 und 4 als solche gekennzeichnet werden. Aber müsst Ihr wirklich Tobias Prüwer die Leipziger Inszenierungen besprechen lassen? Das ist jetzt der dritte Verriss von ihm in der laufenden Spielzeit. Was nicht verwundert, wenn man seine bisherige Berichterstattung über Lübbe und Hartmann hier sowie im "Kreuzer" noch in Erinnerung hat. Der Tiefpunkt war der Interview-Versuch mit Hartmann im November. Pseudo-Fragen wie "Sie hatten – von allen finanziellen Erörterungen mal abgesehen – eine positive Bilanz Ihrer Intendanz gezogen?" hätte zu DDR-Zeiten nicht einmal das "Neue Deutschland" gestellt.
So bleibt der Verdacht, dass nicht nur mancher User seinen Trennungsschmerz noch nicht überwinden konnte.
Das ist kein Frust, den ich hier abreagiere, sondern Enttäuschung über die künstlerische Leistung im ersten Jahr von Herrn Lübbe. Und wenn man die Theaterzeitungen und Nachtkritik der letzten Monate Revue passieren lässt, findet man häufig negative Rezensionen und Berichte. Und die sind, mit wenigen Ausnahmen, nicht von Herrn Prüwer.
Überhaupt finde ich es ein starkes Stück, dass Sie Herrn Prüwer das Wort verbieten wollen. Die Zeiten sind vorbei.
lieber webmaster,
ich will sie echt nicht schockieren, aber es gibt wirklich noch leute, die sich einen pc und damit auch eine ip teilen und sich trotzdem zwei eigene meinungen, zwei namen und auch noch zwei theaterkarten leisten. wir wussten ja nicht, dass uns das verdächtig macht. die einträge von k. und von mir sind, glaube ich, nicht denunziantisch oder böse. den sinn ihrer anmerkung der redaktion kennen sie bestimmt besser. auch warum sie aus meinem namen laura ist lieb ein L ist lieb machen. und wieso schreibt #3 unter einer anderen ip? mal überlegen! vielleicht brauchen sie das spekulative und verschwörungstheoretische, um ihrer seite richtig zunder zu geben. tun sie das doch ruhig! wenn sie so nsa-mäßig die ip-adressen der schreiberinnen weiter durchstöbern und beim nächsten mal gleich mit veröffentlichen, nur so eine idee, dann sehen sie bald, dass auch die namen bandit93 und Dorothee von dieser ip aus mal schreiben. vielleicht sind sie sogar mal unterschiedlicher meinung, oh gott! ist ja bestimmt noch nie vorgekommen, dass verschiedene namen mit einer ip schreiben. machen sie weiter so! toller service! und wir geloben, nur noch nettes über das schauspiel leipzig zu schreiben. oder darf man das hier auch nicht?
(Liebe/r L. ist lieb,
1. wir ändern immer dann die Pseudonyme leicht ab, wenn wir glauben, hier würde mit dem Namen der Künstler gespielt. Das möchten wir nicht.
2. Wir schauen immer dann nach IP-Adressen, wenn wir das Gefühl bekommen, es starte jemand eine Kampagne gegen eine bestimmte Aufführung, gegen einzelne Künstler oder einzelne Handelnde.
Da wir keine Registrierung haben und also nicht zurückschreiben können, bleiben uns nur die Überprüfung der IP-Adressen. Und wenn's dicke kommt, sagen wir halt Bescheid.
jnm)
ich nehme es wirklich spaßig, aber sagen sie mir, wenn ihr verfolgungswahn noch schlimmer wird.
zu 1. laura ist lieb ist mein pseudonym über nachtkritik hinaus. mit welchem künstlernamen spiele ich denn da? ich weiß von gar nichts!
zu 2. zwei unterschiedliche schreiberinnen haben nach einem besuch einer vorstellung unabhängig voneinander und nicht mal zur gleichen zeit von einem pc aus zwei kommentare gepostet. der erste, meiner, war gegen die besuchte aufführung und schauspielerische qualität am haus gerichtet, das schon öfter besucht wurde. der kommentar von k. bezog sich auf ein interview mit dem intendanten, dass nach ihrer meinung im widerspruch zum eigenen eindruck bei theaterbesuchen steht. wer startet hier eine kampagne gegen wen? gegen welchen künstler? welchen handelnden? dicke ist nur, was sie hier schreiben. sie posten verdächtigungen, die den eindruck wecken, hier will jemand irgendwen bewusst beleidigen und schaden. der einzige, der hier was will sind sie, nämlich aufmerksamkeit auf kosten von zwei schreiberinnen an einem pc. die starten gegen keinen eine kampagne. die wollten ihre meinung sagen. aber wir kaufen uns wohl alle vier hier jetzt mal einen eigenen pc und in jedes zimmer kommt ein eigener internetanschluss, damit wir unverdächtigt durchs netz können. würden sie sich an den kosten beteiligen?
(Liebe/r L.i.l.,
ich verdächtige sie persönlich überhaupt nicht. Ich habe versucht zu erklären, was uns leitet. Wenn unser Verfolgungswahn schlimmer wird, sagen wir Ihnen persönlich Bescheid. Gerne.
Gruß
jnm)
ihnen gehts zu gut in ihrer funktion. ihre arroganz hilft ihnen in so weit, dass wir diese seite von heute an meiden werden. gerne. schönes verdächtigen noch!
(Liebe/r L. ist lieb,
falls sie mich noch hören im Weggehen: es liegt überhaupt nicht in meiner Absicht, jemanden zu düpieren. Ich habe versucht, auf Ihre Frage zu antworten.
Gruß
jnm)
da wird alles nochmal etwas mehr in einen Gesamtkontext gesetzt
hier schreibt eine, die extra für das Stück "I can be your hero baby" aus der Hauptstadt angereist ist, aber nicht, um was "zu reißen". Und die hype-Diskussion um Leipzig kenne ich quasi nicht und überlasse sie anderen. Was ich aber kenne, ist die Beratungsarbeit mit SexarbeiterInnen und Zwangsprostituierten. Habe selbst in diesem Bereich, wenn auch vor Jahren, gearbeitet. Die Aufführung war für mich Diskurstheater im besten polleschen Sinne. Insofern kann man auch nicht kritisieren, dass nur Mini-Szenen vorkommen. Es werden Diskurse verdichtet und szenisch präsentiert. Das scheint mir sehr gelungen und fundiert. Die Autorinnen / Performerinnen, wie sie sich selbst nennen, haben nicht nur eine Literaturliste im Programmflyer untergebracht, sondern eben auch solide recherchiert, indem sie im Vorfeld Interviews mit Expertinnen und Betroffenen geführt haben, d.h. mit Prostituierten und Kandidatinnen für "Germany's next Topmodel" ebenso wie mit Sozialarbeiterinnen. Die lebensweltlichen Diskurse der auf der Bühne dargestellten Frauentypen, die sie aus diesen Recherchen gedrechselt haben, sind der Gesellschaft durchaus nicht geläufig. Toll, wenn sie einmal so authentisch auf die Bühne und damit in die Öffentlichkeit getragen werden! Und zwar ohne Moralinsäure wie bei anderen, vorangegangenen Produktionen. Weder war aus Henrike Iglesias' Spiel für mich die banale Grundthese herauszuhören, im Laufhaus wie auf dem Laufsteg werde der weibliche Körper verkauft, noch habe ich die Botschaft vernommen, Voyeurismus sei als Geschäftsmodell zu kritisieren. Interessant, dass ein Stück, dessen zentrales Thema Ausbeutung und ihre subjektive Verarbeitung durch die betroffenen - zum Teil noch sehr jungen - Frauen ist, in der Kritik unter Voyeurismus - "bei den einen mit Anfassen (Tobias Prüwer)" - abgehandelt wird. Der Einschub "bei den einen mit Anfassen" zeigt schon, wie wenig ein solches Verständnis mit dem Dargebotenen zu tun hat. Voyeurismus ist keine Klammer für das m.E. gelungene Bühnenstück und Verkauf des weiblichen Körpers auch nicht. Mit dem Körper und teilweise auch mit der Seele zu erbringende Sexarbeit, vom Straßenstrich bis zum Telefonsex, in all ihren Formen von innen heraus, d.h. von den Anbieterinnen aus zu präsentieren, und zwar sowohl unter guten, weil selbstbestimmten Arbeitsbedingungen - ja, das kam als Vergleichsfolie in überzeugenden Rollen auch vor! -, als auch in Form puren Zwangs ist das nicht hoch genug einzuschätzende Verdienst dieser Aufführung. Darüber hinaus haben Henrike Iglesias mir ein überraschendes Pendant zur Zwangsprostitution gezeigt, das zumindest ich bisher so nicht kannte: das Geschäftsmodell von "Germany's next Topmodel" als popkulturellem massenmedialem Phänomen, das sich tatsächlich als Spiegel gesellschaftlicher Zu- bzw. hier vor allem Mißstände anbietet. Bravo Henrike Iglesias!