Die einen wüten, die anderen schaudern

von Janis El-Bira

27. April 2021. Nein, an der verschallerten Videoaktion #allesdichtmachen der 52 Film- und Theaterschauspieler:innen von vergangener Woche gibt es nicht viel zu verteidigen. Dass sie als Satire hemdsärmelig daherkam und als sarkastischer Kommentar nicht funktionierte, weil bloß zynisch ist, wer in Fragen von Leben und Tod das Spotten nicht lässt – darüber waren sich die Top-Athlet:innen unter den Kommentierenden aller Sparten, Profile und Kanäle schon Stunden nach Veröffentlichung der Filmchen weitgehend einig. Man selbst musste sich nicht einmal bis zum infamierten, mittlerweile zurückgezogenen Video des in Plastiktüten atmenden Richy Müller durchgeklickt haben, um ihnen recht zu geben: Mit dieser Aktion hat keine:r der an ihr Beteiligten sich auch nur den geringsten Gefallen getan. Sie ist ein Auffahrunfall mit Vorsatz.

Dennoch verblüfft die enorme Vehemenz der Empörung, jenes "free-for-all" im Draufschlagen und Gegen-Karikieren, das seither gleichsam zum guten Ton der eigenen Profilierung zu gehören scheint. Dabei sind die Schauspieler:innen natürlich weder die ersten, die sich mit dummem Zeug Applaus aus Querdenker-Kreisen abgeholt haben, noch gehören ihre Statements wirklich zum Irrsten, was man in diesem unseligen Pandemiejahr vernehmen musste. Den Kern der Aufregung scheint vielmehr zu berühren, von wem diese Videos kommen, wie sie entstanden und vor allem, inwiefern sich das Ganze als Kunst qualifizieren ließe und somit möglicherweise nach anderen, der Kunst eigenen Maßstäben zu beurteilen wäre.

Viel ist in diesem Zusammenhang über den eigentlich privilegierten Status der dort Sprechenden und in nicht wenigen Fällen durchaus Prominenten gesagt und geschrieben worden. Oft geht es dann um die auffällig cleanen, weiß-grau-beigen Interieurs im Hintergrund oder die geländerlosen Maisonette-Stiegen, auf denen etwa der Schauspieler Trystan Pütter seinen Kaffee schlürft. Automatisch wurden diese Hintergründe von vielen mit den Privatwohnungen der Schauspieler:innen gleichgesetzt. Dabei ist man gewiss keinem verborgenen Twist auf der Spur, wenn man bemerkt, dass etwa Katharina Schlothauer und Inka Friedrich auf beziehungsweise vor just derselben schicken Treppe wie Pütter sitzen. Bis in die Hintergrundmusiken, den Schnitt und die formalisierten Texte ("Ich bin XY und ich bin Schauspieler") tragen viele dieser Videos eine gemeinsame inszenatorische Signatur, die über den Rahmen vermeintlich "authentischer" Privatäußerungen hinauszuweisen scheint. Auch die Texte selbst – am meisten vielleicht der dadaistische Nonsens-Beitrag des in der Regel nicht eben geistesschlichten Hanns Zischler – haben mit tatsächlichen Statements häufig allenfalls die emphatische Weise des Vortrags gemein, während sie inhaltlich lauter Locken auf der Glatze drehen.

Die Welt ist nicht mehr wiederzuerkennen

Dieses sehr verwickelte Verhältnis zur Gestaltung, zum Uneigentlichen, zur Ironie, kurz: zu den Mitteln der Kunst, hat bei vielen Kommentierenden alle Zorneslampen rotglühen lassen. Dabei wurden wechselweise und einander verstärkend das Was und das Wie ins Zentrum der Kritik gerückt. Das Was, indem das in den Videos Gesagte als authentische, moralisch zu kritisierende Haltung gesetzt wurde; das Wie, indem ihr Stil als der Sache unangemessen und schlicht geschmacklos verworfen wurde. Beides ist nachvollziehbar und will das Ganze jenseits der Trümmer doch nicht wirklich zu fassen kriegen.

Man muss nicht so weit gehen wie der Philosoph Markus Gabriel, der in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau im Hashtag #allesdichtmachen gar einen Verweis auf die Dichtkunst ausmachen will. Nachträgliche Nobilitierungsversuche braucht es nicht. Und doch scheint ein seltsamer Schrecken von diesen kleinen Filmen auszugehen. Ein Schrecken, der die Empörten genauso zu erfassen scheint wie jene, die nun hoffentlich nicht allein aufgrund des allfälligen Shitstorms ihre Videos zurückgezogen haben.

Das Unheimliche an #allesdichtmachen liegt in der Verselbständigung seiner in die Welt entlassenen Zeichen, der Gleichzeitigkeit von Bedeutungsüberschuss und Unterbestimmtheit, vor dem selbst einige der Teilnehmer:innen mit Schaudern zurückbleiben. In einer "nicht mehr wiederzuerkennenden Welt" lebten wir, gesteht Heike Makatsch in ihrer Entschuldigung auf Instagram. Zu den schönen und schrecklichen Geheimnissen auch des Theaters zählt, dass auf der Bühne oft nicht wiederzuerkennen ist, was zuvor in die große Verwandlungsmaschine der Kunst hineingeworfen wurde. Zauber und Grauen liegen dicht beieinander und manchmal ist das Ganze schlimmer als die Summe seiner Teile. An #allesdichtmachen gibt es noch immer nichts zu verteidigen. Aber vielleicht etwas zu begreifen.

 

Janis El-Bira ist Redakteur bei nachtkritik.de. In seiner Kolumne Straßentheater schreibt er über Inszeniertes jenseits der Darstellenden Künste: Räume, Architektur, Öffentlichkeit, Personen – und gelegentlich auch über die Irritationen, die sie auslösen.

 

In seiner vorherigen Kolumne forderte Janis El-Bira die Öffnung der Intendantenzimmer.

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Kommentare  
Kolumne El-Bira: Dummheiten
sehr richtig. scheitern, auch irren, vielleicht dummheiten begehen gehört dazu. also weiter reden, in verhältnisse setzen, aber den dampf da einsetzen wo er dringlicher gebraucht wird.
Kolumne Straßentheater: Achselzucken
Mein Gott, lieber Herr El-Bira: Wenn Sie sich Ihren Text noch einmal durchlesen, haben Sie eigentlich wirklich das Gefühl, etwas zur Sache zu sagen zu haben - oder zur Sache gesagt zu haben? Sicherlich so ein Grundproblem der nachtkritik-Kolumen, die oft so ziel- wie inhaltslos vor sich hinplaudern, aber in diesem Fall doch besonders augenfällig: Einerseits möchten Sie nichts verteidigen, andererseits mokieren Sie sich ein bisschen über die scharfen Verrisse der Aktion (freilich auch nicht sosehr, als dass man daraus eine wirkliche Haltung herauslesen könnte) und insgesamt bleibt da ein großes Achselzucken - aber ist es wirklich so harmlos, wenn eine Aktion wie #allesdichtmachen mit einer Phalanx von Prominenten aufwartet, die bislang so gerne in gefällige Talkshows wie Riverboat et al. eingeladen wurden - und vermutlich noch weiter eingeladen werden - die als Fernsehgesichter Millionen von Menschen in diesem Land nah und vertraut erscheinen und deswegen mit ihren Worten für viele eine große Autorität entfalten. Das mag Ihnen fremd, fern oder unverständlich sein. Aber während in bestimmten Winkeln des Netzes (vielleicht jenen, in denen Sie und ich uns lieber tummeln) ein Boykott des Tatorts vom vergangenen Sonntag gefordert wurde, fuhr Herr Liefers (der ja weiterhin #allesdichtmachen verteidigt und dafür auch reichlich öffentlichen Raum bekommt) eine sensationelle Quote mit seinem neuesten münsterander Schwank ein. Die Welt, in der Herr Liefers seine Meinungsmacht entfaltet, mag Ihnen fremd sein - ich hingegen halte es für sehr geboten, dass man #allesdichtmachen öffentlich etwas entgegensetzt und das nicht als Lapalie abtut.
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