Zum Tod von Kurt Hübner
Der Entdecker des westdeutschen Nachkriegstheaters
von Hartmut Krug
Berlin, 24. August 2007. Schwerlich hätte sich die Theaterbegeisterung des Hamburger Oberschülers zu einer lebenslangen Profession ausgewachsen, wäre er Anfang der sechziger Jahre nur auf den hohen Kunstton im Deutschen Schauspielhaus und das biedere Bedeutungspathos im Thalia Theater angewiesen gewesen. Doch mein Wochenende gehörte damals Bremen: Samstags und sonntags ging es mit der Bahn in eine andere Theaterwelt. In Bremen lebte und atmete das Theater. Hier war Theater keine vom Alltag abgekoppelte Feierlichkeit, sondern eine kunstvolle Befragung und Bebilderung (auch meines) Alltags. Hier war was los.
Beginn der Theatermoderne West
Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Zuschauerraum. Theater als gesellschaftlicher Protest und als Kommunikationangebot, das lautstarke Zuschauerproteste wie auch begeisterte Zustimmung hervorrief. Heute, wo alles auf der Bühne möglich ist und nichts mehr wirklich verstört, scheint die Provokation und Polarisierung, die das Bremer Theater in den sechziger Jahren hervorrief, kaum noch vorstellbar.
In wirtschaftlich saturierter Zeit begann unter dem Intendanten Kurt Hübner zwischen 1962 und 1973 in Bremen die Theatermoderne im westdeutschen Theater. Nicht als Protestprogramm, sondern als Theater, das inhaltlich wie formal in alle Richtungen schaute: in die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Hier fand der von Pop art beeindruckte und vom Rock´n´Roll geprägte Zeitgenosse ein Theater auf der Höhe seiner eigenen Fragen. Wie bei Peter Zadeks Comic-Striphafter "Räuber"-Inszenierung, in der sich pubertär aufbegehrende Jungmänner vor dem Vietnamkriegs-Comic von Roy-Lichtenstein zu gefährlichen Monstern mit Maschinenpistolen aufbliesen, oder in seiner "Maß für Maß"-Inszenierung, in der sich die spätere Schaubühnen-Schauspielertruppe in Alltagskleidung wie zu einer WG-Diskussion versammelte, – während Peter Steins "Tasso" den nach Sinn und Möglichkeiten von Kunst in der Gesellschaft fragenden jungen Zuschauer gleichermaßen verstörte wie verzauberte.
Politisches Theater ohne missionarische Sendung
Das Bremer Theater war eine Wundertüte, in der außer dem damals sonst üblichen, muffigen illusionistischen Pathostheater mit seinen ausgestellten Bedeutungen und hohlen Posen alles drin war. Es war politisches Theater, aber es belehrte nicht. Es lief Sturm und war dabei immer auf der Suche. Es war auf dem besten Sinne vom Zeitgeist geprägt, weshalb es von der 68er Bewegung nicht überrascht wurde, sondern in ganz eigener Weise dazu gehörte.
Vor allem aber: es besaß keinen einheitlichen Stil. Der für die Theatergeschichtsschreibung erfundene "Bremer Stil" war eigentlich eine pragmatische Stillosigkeit, die sich aus einer verschwenderischen Fülle von Formen und Stilen zusammensetzte. Weil es wohl Kurt Hübners größte Fähigkeit war, undogmatische Konzepte für das Theater zu entwickeln und die unterschiedlichsten Künstler dafür zu begeistern und zusammen zu führen. Hübner war nie ein Einkäufer, sondern immer ein begeisterter Entdecker, der Talente spürte und ihnen Entwicklungsmöglichkeiten gab.
So arbeiteten in Bremen die Regisseure und Bühnenbildner Peter Zadek, Peter Palitzsch, Klaus Michael Grüber, Rainer Werner Fassbinder, Peter Stein, Wilfried Minks, Jürgen Rose, Karl-Ernst Herrmann und Hans Neuenfels. Und auf der Bühne standen Darsteller wie Traugott Buhre, Martin Sperr, Bernhard Minetti, Hannelore Hoger und Walter Schmidinger, neben dem Schauspielerclan von Fassbinder und allen späteren Schaubühnenstars. Hübner ermöglichte Götz Friedrich 1968 sein westdeutsches Regiedebüt in Bremen, und er gab Johann Kresnik den Raum zur Entwicklung seines Choreographischen Theaters.
Konsequent, nie starrsinnig
Kurt Hübner, geboren am 30.10.1916 in Hamburg, besuchte zwar die Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin, arbeitete nach dem Kriege aber zuerst beim Rundfunk. Dann machte er die seinerzeit übliche Regie-, Dramaturgen- und Chefdramaturgen-Tour durch die Provinz. Seine erste Intendanz war schließlich in Ulm: hier arbeitete er von 1959 bis 1962 bereits mit Peter Zadek zusammen. In einer Zeit, als andere Intendanten wegen des Mauerbaues in Berlin Brechts Stücke boykottierten, brachte er die westdeutsche Erstaufführung von Brecht/Seghers "Der Prozess der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431" als Protest gegen jede Form von Diktatur heraus.
Kurt Hübner war stets konsequent in seinen Überzeugungen und Haltungen, aber nie starrsinnig. Mit dem Bremer Kulturbeauftragten stieß er oft zusammen, weil dieser "richtige Klassikerinszenierungen" verlangte Schließlich schied man im Unfrieden, und Hübner übernahm von 1973 bis 1986 die Freie Volksbühne in Berlin. Hier konnte er, ohne festes Ensemble und mit geringem Etat, nicht mehr ganz so viel bewegen wie in Bremen. Doch grandiose Aufführungen wie Klaus Michael Grübers "Faust" (mit Bernhard Minetti) und wie Rudolf Noeltes ganz andere "Wildente" gab es auch hier. Wunderbar, wie in seiner eigenen, in dramaturgisch einleuchtender Weise in Dunkelheit und Unordnung beginnenden Inszenierung von Pirandellos "Sechs Personen suchen einen Autor" Zuschauer protestierten: "Schämen Sie sich, Herr Hübner!"
Seit 1986 war Kurt Hübner im Ruhestand. Er übernahm Theater- und Fernsehrollen und inszenierte gelegentlich. Zwar war er immer auch als Schauspieler und Regisseur aktiv, doch was vom Theatermann Kurt Hübner bleibt, ist die Entdeckung und Entwicklung des modernen westdeutschen Nachkriegstheaters.
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