Biedermann und die Brandstifter - In Altenburg inszeniert Angelika Zacek Max Frisch und prangert globale Missstände an
Der Globus in Flammen
von Christian Rakow
Altenburg, 25. Februar 2018. Geradeheraus: "Dass du sie duldest, die Fässer voll Brennstoff / Biedermann Gottlieb, wie hast du's gedeutet?" So fragt der Chor den kläglichen Hausherrn, um dessen Hals sich die Schlinge oder besser die Zündschnur des Schicksals langsam zuzieht. Biedermann hat Brandstifter ins Haus gelassen und will es nun nicht wahrhaben, dass sie wirklich rumfackeln könnten. Es lähmen ihn Angst, Gewissensbisse, Blindheit, Bigotterie, und es beschwichtigt ihn allein sein Glaube, er könne sich noch mit den Brandstiftern rettend anfreunden. Benzinfässer auf dem Dachboden hin oder her.
Wie hast du's gedeutet? Biedermann weiß sich natürlich keine Antwort. Seine Interpreten dagegen wussten diverse. Die Kritik las das Drama als Reflex auf die kommunistische Machtergreifung in Osteuropa, oder sah es als Versinnbildlichung des Aufstiegs der NSDAP. Es passt auf Terrorismus-Szenarien so gut wie auf allgemeinere apokalyptische Erwartungen eines menschgemachten Weltenbrands. Intelligente Parabeln sind geräumig. Und Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter", dieses "Lehrstück ohne Lehre" (uraufgeführt 1958 in Zürich), ist eine solche.
Ins thüringische Altenburg reist man mit ungleich konkreteren Erwartungen: Der Landkreis ist zur AfD-Hochburg geworden (27,1 Prozent Stimmen bei der Bundestagswahl 2017); gegen flüchtlingsfreundliche Äußerungen des Theaters machte unlängst ein rechtes "Bürgerforum" Stunk; vier internationale Schauspieler verließen das Haus und gaben als Grund u.a. die Fremdenfeindlichkeit am Ort an. Was läge also näher, als hier in der 33.000 Einwohner-Stadt mit Frisch vom Vordrängen des rechten Rands in die biedere Mitte der Gesellschaft zu erzählen?
Ein Gespenst geht um in Europa? Familie Biedermann (Bruno Beeke und Ines Buchmann) erschrecken vor dem Banken-Brandstiftertum © Rebecca Sparkes
Aber Angelika Zacek sucht nicht das Naheliegende. Die Regisseurin hat sich als Mitgründerin des Vereins "Pro Quote Bühne" den Ruf einer politischen Aktivistin erworben. Und aktivistisch ist auch ihr Zugriff auf Frischs Lehrstück. Mit Texteinblendungen im Video fokussiert sie auf die großen globalen Verwerfungen unserer Zeit: Die wachsende Ungleichverteilung der Vermögen, die drohende Klimakatastrophe, die Macht der Konzerne werden angeprangert. Aufrufe zur politischen Teilhabe ergehen. Das ist alles sehr richtig und in seinem agitatorischen Engagement auch sympathisch. Aber etwas Dialektik hätte doch gut getan. Globalisierung bedeutet ja ebenso: steigende Lebenserwartung weltweit und die Reduktion der extremen Armut. Von den Erfolgen wie den Misserfolgen des Wirtschaftssystems muss man erzählen, wenn man es politisch anpacken will.
Umsturz von oben
Schwieriger wird dann noch die Anbindung dieser Diskurse an "Biedermann und die Brandstifter". Da der Verlag Texteingriffe untersagt, muss sich die Regie auf Andeutungen beschränken. Mit dem Schriftzug "Lobbyist" auf dem Arm entert der Brandstifter Schmitz (Thorsten Dara) das Haus von Gottlieb Biedermann. Sein Kompagnon Eisenring (Maximilian Popp) weist sich per Bauch-Tattoo als Banker aus. Erzählt werden soll also nicht die Überwindung des Bürgertums (Biedermann) von unten, sondern aus den Leitungsebenen heraus.
Spielerisch lässt sich dieser reizvolle Ansatz nicht einholen. Schon gar nicht mit Frischs Text. Schmitz und Eisenring haben in ihren Monturen von Show-Wrestlern denn doch eher einen keck lumpenproletarischen Einschlag als den Habitus von Wirtschaftskapitänen. Biedermann (Bruno Beeke) wird schon mal in den Schwitzkasten genommen; der Frau des Hauses (Ines Buchmann) und dem Dienstmädchen (Mechthild Scrobanita) greift man beherzt an den Busen.
Spiel mit dem Feuer: Bruno Beeke als Biedermann und Maximilian Popp als Eisenring © Rebecca Sparkes
Dabei legen Maximilian Popp und Thorsten Dara das Brandstifter-Duo durchaus mit sinisterem Humor an, irgendwo zwischen Kuschelbärchen und Muckie-Bude. Und Bruno Beeke ist ein angemessen fahriger Biedermann, plustert sich auf und verschwindet sogleich in die Deckung, ringt um sein Hausherrenrecht und stolpert schon beim ersten Windhauch. Ihr Zusammenspiel hat Potenzial. Doch tragen sie schwer am Ballast der Bedeutungsüberladung. Dazu gesellt sich der Chor in wechselnden Labels: als Greenpeace-Trupp, als Lobby-Control oder als Anonymus-Kollektiv. Wobei es beim Anstrich des Aktivistischen bleibt. Aus der – bei Frisch so entworfenen – passiv kommentierenden Rolle kommt der Chor nicht raus.
Je pauschaler, desto egaler
Von zahlreichen Brandstiftungen weiß der Altenburger Abend im Videoscreen zu künden: Dieselbetrug – Abfindungsaffären – Schmiergeldskandale – Panama Papers – Paradies Papers etc. Es hängen dicke Schlagzeilen über Biedermanns Haus. Die Brandfässer lauten "Pharma Industrie" – "Energie Konzerne" – "Auto Konzerne" – "IT Konzerne". Jedoch: Je pauschaler, desto egaler. Explosiv wird solche abstrakte Zeichenkunst nicht. Folgerichtig wohlfühlsicher steuert der appellhafte Abend auf eine Mitmach-Party zu: "99 Prozent der Weltbevölkerung haben ein Ziel", heißt es: nämlich das eine superreiche Prozent politisch härter an die Kandare zu nehmen. Zuschauer werden zum Tanzen aufgefordert – und schwingen etwas betreten die Hüften. Wohl ahnend, dass der Gordische Knoten der globalen Marktregulierung so noch nicht durchschlagen ist.
Biedermann und die Brandstifter
von Max Frisch
Regie: Angelika Zacek, Ausstattung: Peter Lehmann, Dramaturgie: Svea Haugwitz.
Mit: Bruno Beeke, Thorsten Dara, Maximilian Popp, Ines Buchmann, Mechthild Scrobanita, Manuel Struffolino. Chor: Lena Arnold, Veronika Arnold, Thomas Erdinger, Christian Franke, Katrin Franke, Andreas Kowalcyk, Julia Pfeuffer, Sylvia Schwenke-Pfeifer.
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause
www.tpthueringen.de
"Wer ist Biedermann? Wo werden die Brandstifter verortet? Das sind immer die spannenden Fragen, wenn dieses so kluge und immer aktuelle Stück auf dem Spielplan steht. Regisseurin Angelika Zacek und ihr Bühnenbildner Peter Lehmann beantworten die erste Frage hinreißend einfach und deutlich, in dem sie auf ein gutbürgerliches Interieur verzichten", so Angelika Bohn in der Thüringischen Landeszeitung (27.2.2018). Biedermann sei "jedermann". Und: "Die Inszenierung hat mit Bruno Beeke einen ebenso smarten und großartig blinden Biedermann."
Die Regie presse den Figuren eine sehr präzise Schablone auf und ergänze den unangetasteten Text des Autors mit vielen eingeblendeten Aussagen zum Zustand der Welt. "Es wird der Zuschauer wach gehalten in seiner Beobachtung von einem sehr metaphernreichen und burlesken Spiel und der nüchternsten Lektüre der gesellschaftlichen Analyse", schreibt Helmut Pock in der Osterländer Volkszeitung (27.2.2018). Was anfänglich spannend sei, nutze sich bald ab. "Die Belehrung mindert eher den Genuss des Erkennens."
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Damit erreicht die Inszenierung in meinen Augen vermutlich mehr; denn sie sensibilisieren die Zuschauer vor Ort dafür, eben nicht einfach denen nachzulaufen, die auf Hilfsbedürftige verbal eindreschen, sondern danach zu schauen, wo das vermeintliche „Problem der Flucht“ entstanden ist.
Das ist in meinen Augen eben gerade in einer Region, in welcher die Bürger ihr Wahlkreuz bei denen machen, die Ängste schüren, der richtige Ansatz; denn so erreicht das Theater auch diejenigen, welche ansonsten gleich abwinken und zuhause bleiben würden.
Dann darf das auch mal derbe daherkommen, wenn es den Nichtsahnenden überrascht und trifft vielleicht dadurch dort, wo es sein sollte
Und da auch Herr Rakow eine gute darstellerische Leistung bei aller Kritik zuspricht, mach ich mich mal auf den Weg – Die Künstler in Altenburg scheinen leidenschaftlich Theater zu machen, das Menschen auf trickreichen Umwegen zum Nachdenken erreichen will…. Und zwar nicht nur die, welche gar nicht „ohne Lehre belehrt“ werden müssen.
Für mich ganz im Sinne von Max Frisch…..
Mein Fazit: Ich finde den Ansatz clever im Sinne des zu vermittelnden Inhalts
nun habe ich es tatsächlich geschafft, nach Altenburg zu fahren und komme gerne Ihrer Frage nach, wie ich „Biedermann und die Brandstifter“ denn nun als Zuschauer vor Ort erlebt habe.
Ich gestehe, mein Eindruck ist zwiespältig: Bestätigt fühle ich mich in meinem vorherigen Kommentar, dass ich den Ansatz der Inszenierung weiterhin clever finde – muss jedoch auch Herrn Rakow zustimmen, dass die Vehemenz, mit der ich durch die Regie eine Interpretation aufgedrückt bekommen habe, im Laufe der Vorstellung ermüdend erschien. Das finde ich vor allem deshalb unnötig, weil Angelika Zacek beeindruckende Schauspiel-Szenen inszeniert hat (ich muss sagen, Altenburg hat scheinbar ein sehr starkes Schauspielensemble, das ich so -pardon- nicht erwartet hatte), denen sie selbst offenbar nicht ausreichend vertraut hat und durch sehr textlastige Videoeinspielungen und „aussagekräftige“ Songs eher verschlimmbessert hat.
Das fand ich wirklich schade; Frau Zacek hätte sich und ihren Schauspielern meiner Meinung nach mehr vertrauen können; denn die Spielszenen haben mich berührt – die politisch motivierten Textprojektionen irgendwann geärgert. Was durch ein gekonntes Regie- und Schauspielhandwerk aufgebaut wurde, zerstörte die vermeintliche Furcht, nicht richtig verstanden zu werden.
Aber ich habe ganz persönlich durch nachtkritik und den Dialog über diese Inszenierung ein Theater für mich entdeckt, das ich in Zukunft wohl öfter besuchen werde – denn es bleibt für mich ein leidenschaftlicher Theaterabend, der mich oftmals packte… nur eben manchmal übers Ziel hinaus geschossen hat.