Das Riff der Geschichte - Kunstfest Weimar
Endlosschleife der Selbstversicherung
von Harald Raab
Weimar, 30. August 2019. "Wir sind ja hier im Theater", gibt der Politkünstler Philipp Ruch beim "Gedenkabend" des Zentrums für politische Schönheit, "Das Riff der Geschichte", zum Besten. Ein Versprecher? Eingeladen ist er zum Kunstfest Weimar. Um zu erklären, wie die Zukunft der Erinnerung an den Holocaust aussehen könnte. Aber zum einen war man nicht im Theater, sondern im Gebäude der ehemaligen Notenbank, zum anderen: wenn diese Diskussionsveranstaltung Theater war, dann war es ein herzlich schlecht inszeniertes Stück. Passiert ja öfter, also kein Drama. Ärgerlich nur, dass es um ein sehr ernstes, für das gesellschaftliche Miteinander wichtiges Thema geht: Um Erinnerungskultur in Zeiten, in denen man schon wieder unwidersprochen sagen kann, doch endlich Schluss zu machen mit der ewigen Vergangenheitsbewältigung, in denen Hetze gegen Menschen anderer Herkunft und übelster Rassismus in aller Öffentlichkeit und ganz besonders im weltweiten Netz Konjunktur haben.
Provokation durch Alarmismus
Ärgerlich war dieser das Publikum arg strapazierende dreistündige Gesprächsabend auch deshalb, weil in einer Endlosschleife der Selbstversicherung, dass man gegen Antisemitismus, Rassismus und für Freiheit und Menschenwürde sei, wichtige Aussagen, wie sie von Lea Rosh und Michel Friedman beigesteuert wurden, in einem Redemeer der Selbstverständlichkeiten unter Demokraten untergehen mussten.
Philipp Ruch hat mit seiner Aktion gegen den AfD-Häuptling Björn Höcke in Thüringen Furore gemacht – seine Aktivist*innen hatten auf Höckes Nachbargrundstück eine Kleinkopie des Holocaust-Mahnmals errichtet. In Weimar profiliert er sich durch Alarmismus, der das Bramarbasieren der Rechten von Revolution und "Deutschland erwache!" aufnimmt. O-Ton: " Wir stehen am Vorabende einer Revolution, wir wissen nicht, wann sie kommt. Das könnten die letzen Tage der Meinungsfreiheit gewesen sein. Vielleicht auch die letzte Wahl. In den nächsten zehn Jahren wird ein für diese Republik entscheidender Kampf stattfinden. Den wir jetzt schon miterleben und in meinen Augen Tag für Tag verlieren, gegen den neuen Faschismus, den wir hier haben."
Dazu passt sein ziemlich ahistorischer Vergleich, wir seien heute in derselben Situation wie sie 1932 geherrscht habe, im Jahr vor der Machtübernahme durch die Nazis. Da hat einer nichts, aber schon gar nichts von der Geschichte verstanden. Es reicht nicht, sich nur Ausgaben der "Weltbühne" vorzunehmen, die Ruch als Referenz-Quelle angibt. Der Ursachensumpf der NS-Herrschaft ist zeitlich tiefer und kausal um Vieles breiter. Die Demokratiefeindlichkeit in der Weimarer Republik ist nicht vom Himmel gefallen. Sie hat ihr trübes Quellwerk weit über die Wirkmacht Hitlers hinaus gehabt.
Ziemlich gegen den Strich
Damit nicht genug, fordert Naika Foroutan, Professorin für Migrationsforschung an der Berliner Humboldt-Universität, eine wehrhafte Demokratie. Gut und schön, aber doch bitte nicht so. Nochmal O-Ton: "Eine wehrhafte Demokratie muss anfangen, die Strategien der Rechten zu kopieren. Wir brauchen Geldgeber, wir brauchen Untergrundkämpfer." Die Zeiten, zu Demos auf die Straße zu gehen, seien vorbei, auch wenn das der emotionalen Stärkung diene. Das klingt ja schon wie ein Aufruf zum Bürgerkrieg. Sie erging sich zudem in Verschwörungstheorien, welche Finanziers Interesse daran haben könnten, die Rechten Europas an die Macht zu bringen, und sie outet das Böse in der Welt auch im Regierungshandeln, dito in der Sehnsucht vieler nach Rückkehr der drei antidemokratischen "Grundsäulen: Religion, Nation und Dominanz der Männlichkeit".
Einwurf von Michel Friedman, Professor und ehemals stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Wenn man von Untergrundkämpfern spricht, habe ich meine Probleme, emotional und auch kognitiv. Wir haben immer noch eine Demokratie." Man merkte dem durchaus streitbaren Mann an, dass ihm die ganze weitschweifig, plakativ mäandernde Diskussion ziemlich gegen den Strich ging. Statt Kriegsphantasien und Erregungswellen mahnte er reales Handeln gegen rechte Lufthoheit über deutschen Städten an. Unterstützung der couragierten Leute, die sich in ihren Orten gegen Menschenhass und Rassismus stellen. Solche Initiativen müsse der Staat mit finanzieren. Und außerdem: Staatsanwaltschaft und Polizei müssten bei geistiger Brandstiftung ebenso konsequent durchgreifen, wie sie es bei herkömmliche Brandstiftung zu tun gewohnt seien.
Friedman konstatiert: "Wir haben zurecht momentan eine ungeheure Energie in Umweltfragen. Haben wir jemals eine so nachhaltige Energie bei dem Thema gehabt, über das wir uns hier unterhalten? So lange die Politiker*innen aller Parteien nicht spüren, dass die Regelung dieser Fragen wahlentscheidend ist, dürfen wir uns nicht wundern, dass nichts passiert. Alle Bürgerinnen und Bürger sind mitverantwortlich, ob und wie diese Debatten geführt werden."
Millionen Messages für die Erinnerung
In Deutschland habe die Mehrheit der Bevölkerung noch nie die Erinnerungskultur zum Holocaust aus einem inneren Bedürfnis heraus betrieben, stellt Friedman fest. Verdrängung herrsche vor. Bis vor 15 Jahren sei das Gedenken an den 9. November 1938, an dem die Synagogen in Deutschland in Flammen aufgingen, nur von den jüdischen Gemeinden gepflegt worden. Die Erinnerung an den Holocaust sei nicht nur den Opfern und den heute lebenden Juden und Jüdinnen geschuldet. Sie diene dem Selbstverständnis und der Zukunft einer freiheitlichen Demokratie aller Bürgerinnen und Bürger.
Friedman: "Wenn man auf das kollektive Gedächtnis abstellt, war es bisher unmöglich, den Holocaust so einfach abzuhaken, weil Menschen, die ihn erlitten haben, noch lebten." Jetzt sehe man die Zeit gekommen, die Erinnerung an die Shoah entsorgen zu können. "Deswegen spricht Herr Höcke von einem Mahnmal der kollektiven Schande und Herr Gauland vom Vogelschiss der Geschichte." Seit 25 Jahren nähmen die Sicherheitsmaßnahmen der Polizei für jüdische Einrichtungen zu. Dass das notwendig ist, werde von den meisten Deutschen nicht als skandalös empfunden. Es gelte deshalb, aus der Vergangenheit zu lernen, wie Strukturen entstehen, die den Zivilisationsbruch möglich gemacht hätten. Der Professor ruft dazu auf, das Internet nicht den Judenhassern, Nationalisten und Rassisten zu überlassen. "Wenn Millionen sich einklinken und ihre Messages dagegen stellen würden, hätten wir nicht das Gefühl, dass diese Leute das Netz beherrschen.“
Lea Rosh, die Kämpferin für das Holocaust-Mahnmal in Berlin, erinnerte daran, dass der Bundestag mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit dem Erinnerungsprojekt mitten in Berlin zugestimmt habe. Millionen von Besucher*inen, gerade auch junge Leute, seien seitdem mit den Fragen des Holocausts konfrontiert worden. Ihr Appell: Wir müssten Autonomie lernen, die Kraft zur Selbstbestimmung, Widerstand zu leisten. "Adorno hat gesagt: Die Wurzel des Völkermords ist der angriffslustige Nationalismus. Hier müssen wir dagegenhalten." Der Jugend müsse deutlich gemacht werden, was für die Gesellschaft auf dem Spiel steht.
Das Riff der Geschichte. Ein Gedenkabend des Zentrums für Politische Schönheit mit Gästen
von Philipp Ruch
Mit: Naika Foroutan, Michel Friedman, Lea Rosh, Philipp Ruch
www.kunstfest-weimar.de
Mareike Wiemann von MDR Kultur (30.8.2019) sieht die Diskussion sehr schnell erlahmen. Trotz Naika Foroutans radikaler Note und ihrem Aufruf, "die Strategien der Rechten zu kopieren". Solche "Ansätze verhallen weitgehend. Philipp Ruch hält sich in der Debatte extrem zurück. Leider, denn die von ihm eingeworfenen Denkanstöße sind spannend. Etwa, wenn er davon spricht, dass Moral seit ein paar Jahren mit moralischem Absolutismus gleichgesetzt werde: 'Woher kommt diese Moralfeindlichkeit?'"
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