Kolumne: Als ob! - Über das Theater und Künstliche Intelligenz
Einzug der Verunsicherung
7. März 2023. Schon jetzt bringt Künstliche Intelligenz unsere Vorstellung von Kunst ins Wanken – und das durchaus produktiv. Wann übernimmt sie eigentlich das Theater? Welche Folgen würde das haben?
Von Michael Wolf
7. März 2023. Ich freue mich schon auf das Roboter-Theater! Ich möchte Maschinen im Scheinwerferkegel sehen, ich will Sprechapparate mit meinem Eintrittsgeld füttern, ich will ihm lauschen, dem ersten Androiden, der "Sein oder Nichtsein?" fragt. Das ist kein Hirngespinst. Schon jetzt malen, dichten und komponieren Computer. Seit ChatGPT der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, kann sich ein jeder von den ästhetischen Fähigkeiten der Künstlichen Intelligenz überzeugen.
Nicht dass ich glauben würde, die Maschinen wären uns ästhetisch überlegen. Ich freue mich gleichwohl über die Verunsicherung, die gerade Einzug erhält. Nun, da sie scheinbar oder tatsächlich von einer nichtmenschlichen Instanz geschaffen wird, rückt die Frage danach, was Kunst eigentlich auszeichnet, ins Zentrum der Debatten. Es wird gewahr, was sie für breite Teile der Gesellschaft tatsächlich ist und nicht nur, was an Instituten und Universitäten über sie gelehrt wird.
Der Autor ist nicht tot
Lediglich einige Beobachtungen: Vor allem in abwehrenden Reaktionen auf Werke der KI zeigt sich, dass die vorherrschende Idee von Kunst weiterhin auf ein über sich selbst hinauswachsendes Individuum angewiesen ist, das Formen schafft, wo zuvor Chaos herrschte. In der empfehlenswerten Sendung Sternstunde Philosophie wunderte sich der Philosoph Hannes Bajohr zuletzt über einen Kunstbegriff, der auch 100 Jahre nach Marcel Duchamps Pissoir vehement am Genie festhält.
Bedenkenswert auch, wie fruchtlos die literaturwissenschaftliche Kampagne war, den Autor zum Verstummen zu bringen. Er ist nicht tot, im Gegenteil, sobald er tatsächlich im Sterben liegt, sobald er ersetzt werden könnte, versucht man ihn eilends zu reanimieren. Es heißt dann etwa, die Maschine könne niemals echte Kunst schaffen, weil ihre keine Fehler unterliefen, weil sie zu nichts Neuem fähig sei oder weil ihr die körperliche Situierung in der Welt fehle.
Eine weitere Kränkung der Menschheit
Ich möchte nicht behaupten, dass diese Argumente falsch wären. Ich nehme nur mit Interesse den Kriterienkatalog zur Kenntnis. Die Ansicht, ein jeder Rezipient schaffe sein eigenes Werk, hatte bis vor kurzem gerade dogmatischen Status in den akademischen Disziplinen. Wenn dem aber so wäre, könnte es uns völlig gleichgültig sein, wie ein Text, Gemälde oder Musikstück entstand.
Warum ist es vielen offenbar dennoch so wichtig? Die Anthropologie könnte Antworten liefern. Kunst stand ursprünglich in der Nähe des Kults, sie fungierte als Medium transzendentaler Erfahrung. In der Romantik blieb ihr diese Aufgabe erhalten, sie wurde jedoch säkularisiert und im Subjekt verankert. Wenn nun die romantische Kunstvorstellung weiterhin nachwirkt, ist die derzeitige Aufregung nur allzu plausibel. Denn dann stieße die Maschine uns gerade von unserem göttlichen Thron. Eine weitere Kränkung der Menschheit kündigt sich an.
Schluss mit physischer Kopräsenz!
Im dramatischsten Falle steht das (westliche) Selbstverständnis des Menschen zur Disposition, doch selbst sehr viel nüchterner betrachtet, bietet die Debatte viel Erkenntnispotenzial. Sie fordert uns heraus, scheinbare Gewissheiten zu überprüfen. Auch das Theater sollte sich dem nicht entziehen. Natürlich ist es in seinen Darstellungsmitteln, in der Summe seiner Bestandteile deutlich komplexer als ein planer Text und sogar ein Gemälde oder Musikstück. Es wird also auch unter günstigsten Bedingungen noch lange dauern, bis Algorithmen eigenständig eine Inszenierung produzieren. Doch lohnt es sich bereits jetzt, über die Folgen nachzudenken.
Das Theater klammert sich schon seit der Erfindung des Kinos an seine Einzigartigkeit im Ensemble anderer Medien: die Gleichzeitigkeit von Produktion und Rezeption, die Unmittelbarkeit des Erlebens. Stellen Sie sich nun vor, dieses Setting bliebe bestehen, doch es stünden weder vor noch hinter der Bühne Menschen. Schluss mit physischer Kopräsenz! Adieu autopoietischen Feedback-Schleife! Wäre das dann noch Theater? Wie würde eine solche Erfahrung die Kunst entwickeln? Käme es zu einer Neuerfindung? Oder gar einer Rückbesinnung? Was auch immer passiert, man möchte es erleben. Rimini Protokoll haben bereits vor Jahren den ersten Schritt gemacht. Da muss bitte unbedingt mehr kommen!
Kolumne: Als ob!
Michael Wolf
Michael Wolf hat Medienwissenschaft und Literarisches Schreiben in Potsdam, Hildesheim und Wien studiert. Er ist freier Literatur- und Theaterkritiker und gehört seit 2016 der Redaktion von nachtkritik.de an.
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Hannes Bajohr bringt es in der von Ihnen erwähnten Sendung immer wieder auf den Punkt. Die Moderator*innen der Sendung reagierten mitunter verstört, da sie, wie auch zahlreiche Kreative die "Kränkung" scheinbar nicht wahrhaben wollen.
Ihre Aussage zu Theater im obigen Text : "Natürlich ist es in seinen Darstellungsmitteln, in der Summe seiner Bestandteile deutlich komplexer als ein planer Text und sogar ein Gemälde oder Musikstück." wäre durchaus zu diskutieren und zu hinterfragen...Gehen wir kreativ damit um;-)
Ein Drama, also ein explizit mit der Möglichkeit zur theatralen Darstellung erstellter literarischer Text, ist durchaus kein planer Text, sondern komplex. Ebenso komplex wie Theater es sein könnte, wenn es nicht als lediglich Summe seiner Darstellungsmittel betrachtet würde. Deshalb ist ein Drama als Text nur durch wirkliches, also zu gut Teilen un-planbares, un-berechenbares Theater "tot"zukriegen. Nur eine Komplexität kann eine andere Komplexität erlösen. KI ist hingegen immer unterkomplex. Weil sie halt immer die Summe von gewiss immer ausgefeilteren, dennoch konkreten Bestandteilen ist, die alle auf Berechnung und deren informeller Verklausulierung beruhen. Is schön mitunter, is bereichernd für