Die Schattenpräsidentinnen - Deutsches Schauspielhaus Hamburg
Duell der Papp-Revolver
12. April 2024. Am Broadway war Selina Fillingers feministische Farce über all die Frauen, die einen völlig unfähigen Präsidenten stützen, ein Überraschungshit. Jetzt hat Claudia Bauer in Hamburg die deutschsprachige Erstaufführung besorgt – als ziemlich durchgeknallte, bissige Komödie.
Von Katrin Ullmann
12. April 2024. "Typen wie er gehen nicht unter. Wir sind diejenigen, die untergehen." Am Ende ist Jean fertig, müde, resigniert. Gemeinsam mit den anderen sechs Frauen aus dem Stab des Präsidenten lehnt sie erschöpft an einer großen wichtigen Tür. Einen ganzen Tag lang haben sie alle möglichen Situationen entschärft, Wahrheiten vertuscht und Termine verschoben, haben Krisensitzungen abgehalten, einen Presseskandal eingedämmt und Veteranen oral befriedigt. Sie haben telefoniert, Milch abgepumpt und Interviews geführt. Sie haben Presseerklärungen verlesen, mit Terminen jongliert und diplomatische Übersetzungen angefertigt. Sie haben wie verrückt gearbeitet – für den wichtigsten und für diesen Posten unfähigsten Mann des Landes. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten, mit regierenden oder nicht regierenden Personen sind natürlich rein zufällig.
Wie extrovertierte Aufziehpuppen
Sie, das sind seine Stabschefin Harriet (Sandra Gerling), seine Presse-Referentin Jean (Josefine Israel), seine Sekretärin Stephanie (Angelika Richter), seine Geliebte Biene (Linn Reusse), seine Schwester Bernadette (Bettina Stucky), eine Journalistin Chris (Amal Keller) und seine Ehefrau Margaret (Sachiko Hara). Sie, das sind – und bleiben – die "Schattenpräsidentinnen". Dass die eine oder andere von ihnen eigentlich Präsidentin sein sollte, kommt in dem Stück von Selina Fillinger lediglich als Witz vor. Immerhin. Und immerhin zwei Mal.
Claudia Bauer hat Fillingers Farce über Politikstrukturen, Macht und Frauen hinter den Kulissen, die im April 2022 Broadway-Erfolge feierte, als deutschsprachige Erstaufführung auf die Bühne des Hamburger Schauspielhauses gebracht. Mit erstklassigen Spielerinnen, spaßiger Musik (Peer Baierlein) und einer surreal schrillen Ausstattung. Die Frisuren von Susan Kutzner (Leitung Maske und Haartrachten) und die Kostüme von Vanessa Rust verheiraten gekonnt die eierköpfigen Außerirdischen aus Tim Burtons "Mars Attacks" mit einer puffärmeligen Commedia-dell-Arte-Ästhetik des 21. Jahrhunderts. Die Spielerinnen bewegen sich darin wie extrovertierte Aufziehpuppen, mit stolz erhobenen Köpfen und klaren eingeübten Gesten.
Fliegende Suffragetten
Zu Beginn des Abends scannen die Stabschefin Harriet und die Presse-Referentin Jean noch routiniert die anstehenden präsidialen Abläufe. Doch die verbalen, fotzigen Fauxpas und die analen Furunkel des Präsidenten durchkreuzen bald sämtliche Pläne. Genauso wie Amal Kellers penetrante und Muttermilch abpumpende Journalistin, Linn Reusses naiv jedes Wort zerdehnende, plötzlich aufkreuzende Geliebte und Bettina Stuckys bedrohlich ketterauchende Schwester. Schadensbegrenzungen sind kaum mehr möglich.
Und so flirren die Dialoge, als hätten sie hektische Flecken bekommen, fliegen minütlich derbe Schimpftiraden und irgendwann auch eine alte Steinsuffragette durch den Raum. Diese tötet (scheinbar) den Präsidenten im Nachbarzimmer, was die Not natürlich nur noch größer macht.
Klipp klapp durch die Schwingtüren
Es sind irrwitzige Frauenrollen, die die US-amerikanische Autorin entworfen hat. Natürlich, das Genre der Komödie verlangt es, sind alle ein bisschen klischeehaft. Und natürlich sind alle ein bisschen drüber. Regisseurin Claudia Bauer dreht das Tempo noch weiter auf – in mancher wilden Szene hört man den Inszenierungs-Motor wunderbar laut auflachen. Schrill und schräg überzeichnet Bauer alle Klischees, lässt die Figuren klipp klapp durch die Schwingtüren stolpern, durch groteske Slow-Motion-Choreografien tanzen und in großartigen Gesangseinlagen brillieren.
Irgendwann werden Handtaschen-große Papp-Revolver gezückt, später spritzt blaue Kotze an die Wand und fordern sich Bettina Stucky als lässiger Cowboy und Sachiko Hara als Samurai zum Duell. Ein herrlicher Spaß! Ein grandioses Schauspielerinnen-Vergnügen und ein Stück, das hält, was seine Widmung verspricht: "Für jede Frau, die sich jemals als Nebenrolle in einer männlichen Farce wiedergefunden hat."
Wäre da nicht der Schluss, an dem alles so bleibt wie es war und ist. Eine weibliche Weltrevolution findet nicht statt. Und keine der Schattenpräsidentinnen tritt aus dem Schatten des Präsidenten heraus. Man wundert sich. Denn das Matriarchat, das hat der Abend gezeigt, wäre eine sehr lustige, amüsante und herrlich rasante Alternative.
Die Schattenpräsidentinnen. Oder: Hinter jedem großen Idioten gibt es sieben Frauen, die versuchen, ihn am Leben zu halten
von Selina Fillinger
Deutsch von Nico Rabenald
Regie: Claudia Bauer, Bühne: Andreas Auerbach, Kostüme: Vanessa Rust, Musik: Peer Baierlein, Licht: Susanne Ressin, Video: Riccarda Russo, Dramaturgie: Christian Tschirner, Ludwig Haugk.
Mit: Sandra Gerling, Josefine Israel, Angelika Richter, Linn Reusse, Bettina Stucky, Amal Keller, Sachiko Hara DJ: Pro Zeiko.
Premiere am 11. April 2024
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.schauspielhaus.de
Kritikenrundschau
"Flott und messerscharf sind die Dialoge, doch auch gegen die Frauen wird kräftig ausgeteilt", so Katja Weise im NDR (12.4.2024). "Das ist kurzweilig, ziemlich schrill - und machte vielen im Schauspielhaus großen Spaß." Die sieben Frauen spielten wie auf Speed, jederzeit wach, mit großer Lust. Regisseurin Claudia Bauer inszeniere präzise, und das Timing stimme. Fazit: "Etwas mehr 'leise Töne' dürften sein, aber: Das spielt sich vielleicht noch ein."
Auf Alexander Menden von der Süddeutschen Zeitung (13.4.2024) wirkt der Abend "wie die ausgewalzte Showeinlage in einer von Kleinkünstlerinnen gestalteten Karnevalssitzung - ungefähr so lustig wie eine Massenkarambolage im Elbtunnel, nur weniger interessant." In einer Erstaufführung, in der man Textkenntnis nicht voraussetzen könne, sei "jede inszenatorische Intervention eben eine Verständnishürde. Dennoch steht das Produktionskonzept eisern an erster Stelle. Es besteht vor allem daraus, dass Bauer einen humorbefreiten Cocktail aus chorischem Sprechen, verbal vorgetragenen, nicht aber ausagierten Regieanweisungen, Verlangsamungssequenzen, Frontalgesangspassagen und Live-Großaufnahmen mixt."
Jens Fischer von der Deutschen Bühne (12.4.2024) lobt das Ensemble bemängelt jedoch, es fehle im Stück "jedwede Einlassung, warum Frauen sich so unter-, einordnen, welche Sehnsüchte sie treiben". Die Regie mache es sich selbst nicht leicht. "Wer in rasendem Sprechtempo mit bissig-bösem Pointenfeuerwerk, vulgären Ausrastern, rüder Zickigkeit, puffärmeliger Comicpuppenlustigkeit, betonierten Turmfrisuren und schrillschraubig hochgetunten Klischees einsteigt, hat sofort die Sitcom-Lacher auf seiner Seite, aber keine Steigerungsmöglichkeiten mehr. Und so versucht Regisseurin Claudia Bauer mit gutem Timing das Energie-Level permanenter Eskalation hoch zu halten."
Immer wieder schaffe Claudia Bauer grandiose Szenen, aber immer mal wieder gehe dem furiosen Septett doch die dramaturgische Puste aus, schreibt Andreas Schnell auf nd-aktuell.de (15.4.2024). "Ist der Takt vielleicht einfach zu hoch? Ist es das Stück selbst? Oder ist es der Clash zwischen Broadway und deutschem Staatstheater, das bekanntlich – und ja auch zu Recht – mit mit allzu klassischen Formen, mit Boulevard und schnöder Unterhaltung fremdelt."
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