Presseschau vom 28. Juli 2011 – Matthias Langhoff in der Berliner Zeitung über Kultur und Politik in Frankreich
Mit dem Rücken zur Telegesellschaft
Mit dem Rücken zur Telegesellschaft
28. Juli 2011. Das Festival in Avignon sei "längst zum Verkaufsfestival geworden, wird ausschließlich für die Hotels und Restaurants gemacht", sagt Matthias Langhoff in einem Interview mit Astrid Kaminski für die Berliner Zeitung (28.7.2011). Ihn selbst, den großen, vor Jahren nach Frankreich ausgewanderten Uraufführungsregisseur für Heiner Müller und Thomas Brasch, zieht es inzwischen eher ins Nachbarstädtchen zum kleinen Festival Villeneuve-en-Scène.
Hier zeigt Langhoff gemeinsam mit Evelyne Didi in diesem Jahr eine Ödipus-Adaption "Lyon Kaboul Thèbes, Aller-retour (spectacle en deux parties)", gespielt von SchauspielerInnen aus Kabul, die ein Jahr lang am Ensatt, einer Schauspielschule in Lyon, zu Gast waren. "Ich denke, dass die Gesellschaft des Perikles moderner war als die heutige afghanische, und auch, dass die Stücke des Sophokles moderner sind als dieses jahrhundertealte Zeug von Sarah Kane oder Botho Strauß. Das ist ältestes neunzehntes Jahrhundert, Psychologisierung, Individualisierung, die Tragödie als tragisch und nicht als eine Kraft zu begreifen. Die Griechen machten sich dagegen Gedanken über gesellschaftliche Verhältnisse. Ich finde, man kann keine Kunst machen, ohne über den Skandal zu sprechen, der die Welt immer noch ist", sagt Langhoff.
Ein schlechtes Zeugnis stellt Langhoff auch dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima in Frankreich aus: "Dass das Land sich jetzt so in die Verdummung einer Telegesellschaft hineinstürzt! Die Kultur ist die zentrale Arbeit, die ansteht, um Frankreich wieder in Form zu bringen." Die Integration von Bevölkerungsgruppen mit migrantischem Hintergrund etwa sei in Deutschland ungleich besser gelungen: "So etwas, wie Shermin Langhoff, was die Frau meines Neffen, in Deutschland macht, gibt es hier nicht", sagt Langhoff. "Ich finde es faszinierend – man muss auch mal etwas Positives über ein Land sagen – dass Deutschland es trotz allem ganz gut schafft, mit der großen türkischstämmigen Gemeinschaft so umzugehen, dass es nicht zu einem totalen Verlust der Kulturen kommt."
(Berliner Zeitung / chr)
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