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Wiener Aktionskünstler Otto Muehl gestorben

"Mit intensivem Leben beschmutzen"

27. Mai 2013. Wie u.a. Spiegel Online meldet, ist der österreichische Aktionskünstler
Otto Muehl gestorben. Muehl wurde 87 Jahre alt. Nach Auskunft der Leiterin des Muehl Archivs, Danièle Roussel, ist er Sonntagnacht "friedlich im Kreis seiner Freunde in Portugal gestorben".

Muehl gehörte zu den Mitbegründern und wichtigsten Vertretern des Wiener Aktionismus. In einem Aufsatz zur körperflüssigkeitsreichen Kunstaktion "Fest des psycho-physischen Naturalismus", das er 1963 u.a. mit Hermann Nitsch veranstaltete, schrieb er: "Manchmal [habe ich] das Bedürfnis, mich wie eine Sau im Schlamm zu wälzen. Mich provoziert jede glatte Fläche, sie mit intensivem Leben zu beschmutzen. Ich krieche auf allen Vieren darauf herum und schleudere den Dreck nach allen Richtungen."

1970 gründete Muehl in Wien eine Kommune, Anfang der 90er Jahre wurde er wegen
"Beischlaf mit Unmündigen, Unzucht und Vergewaltigung", sowie wegen Verstößen gegen das Suchtgiftgesetz zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt, von denen er sechseinhalb absitzen musste. Seit seiner Entlassung lebte er in einer Kommune in Portugal.

(Spiegel online / wikipedia / sd)


Rundschau der Nachrufe

In der tageszeitung (28.5.2013) erinnert Ralf Leohard an die "Uni-Ferkelei" 1968 ("Teil der Aktion waren drei nackte Männer, die um die Wette urinierten") an die Gründung der Kommune im Friedrichshof mit ihrem Ideal "Selbstverwaltung und freie Liebe" sowie an die sogenannte Aktionsanalyse samt Urschreitherapie: "Nackte Menschen saßen im Kreis, und wie bei evangelikalen Sekten mussten Einzelne in die Mitte treten und ihr Innerstes herausschreien, ihre Ängste, Begierden, verborgenen Fantasien herauslassen. Radikale Enthemmung durch radikale Selbstdarstellung hieß die Devise." Den "Unrechtsgehalt seiner Taten" habe Muehl auch nach seiner Verurteilung wegen Missbrauchs Minderjähriger auch Jahre später nicht verstehen wollen. "Warum sollte der Staat vorschreiben, ab wann man Sex haben darf?", habe er 2004 gegenüber der FAZ geäußert. In der Haft sei Muehl sehr produktiv gewesen; über seine "künstlerische Bedeutung sind die Meinungen geteilt", so Leonhard.

"Erst die Wiener Aktionisten erledigten den Makart-Stil der Kaiserzeit endgültig", schreibt Willi Winkler in der Süddeutschen Zeitung (28.5.2013). Gegenüber seinen Mitstreitern im Aktionismus (u.a. Hermann Nitsch oder Valie Export) wollte Muehl nicht nur "sich, sondern gleich die Menschheit oder jedenfalls auserlesene Einzelne befreien, und nicht bloß von der Kunst. Der autoritäre Charakter wurde auch in Adornos Seminaren bekämpft; der Berufsschullehrer verschrieb sich der Befreiung des Körpers nach Dr. Wilhelm Reich." Neben der "Politisierung der Sechzigerjahre" habe es "einen warmen Unterstrom der Regression" gegeben. "Im Windschatten der Demonstrationen durften die Zivilisationsmüden wieder werden wie die Kinder." In Muehls Kommune hätten sich Herbeigepilgerten die Köpfe scheren müssen, "angeblich um sich beim Geschlechtsverkehr nicht in die Haare zu geraten". "Dass diese Verwandlung von Menschen in Leib-Sklaven und Arbeitsbienen gar nicht zufällig an die Konzentrationslager erinnerte, schien den Sektenchef nicht zu stören".

Tim Ackermann schildert zum Einstieg in seinen Nachruf in der Welt (28.5.2013) die "Uni-Ferkelei" 1968 nach und deutet dann: "Heute wird gern gesagt, dass die Wiener Aktionisten Kunst und Leben verbinden wollten. In Wahrheit war es wohl eher ein Aufbegehren gegen den Rest der Gesellschaft, welche die Erinnerung an den Krieg und die eigenen Schuld unter einer Fassade bürgerlicher Harmlosigkeit zu verbergen suchte. Die Künstler stellten – in Rückgriff auf Sigmund Freud – das Hässliche in der österreichischen Seele zur Schau."

Muehl sei "mehr als nur ein Aktionist gewesen", schreibt Samuel Herzog in der Neuen Zürcher Zeitung (28.5.2013). Er "schuf auch bizarre Skulpturen und Collagen, Kurzfilme oder Theaterstücke. Und vor allem war er ein handwerklich geschickter Künstler, der zum Beispiel auch die 'Uni-Ferkelei' in diverse expressive Malereien und durchaus akkurat gestaltete Siebdrucke überführte". "Was uns an der Kunst von Otto Muehl interessieren kann, hat wenig mit den Skandalen, jedoch viel mit dem maßlosen Kern im Manne zu tun, aus dem sie sich rekrutiert. Mit den Mitteln der Kunst wollte Muehl diese echtere Energie aus dem Tiefen heraufpumpen und sie in der gekünstelten Welt des Kleinbürgertums zur Explosion bringen. Dabei konnte er nicht verstehen, dass es Wahrheiten gibt, die ihren richtigen Platz wohl dann haben, wenn sie etwas tiefer in uns stecken bleiben."

Vornehmlich an die Strafdelikte erinnert Andrea Schurian im Standard (online 26.5.2013): Das "soziale Experiment" – die "Erschaffung des neuen Menschen" in der Kommune – "scheiterte gründlich". "Homosexualität etwa galt als 'infantile Schädigung', statt Freiheit gab's autoritären Führerkult, Missbrauch, sexuelle und emotionale Gewalt sowie demütigende 'Selbstdarstellungen', bei denen Kommunenmitglieder ihre Verfehlungen öffentlich eingestehen mussten." Als Kritiker kommt Muehls ehemaliger Aktionismus-Kollege Günter Brus zu Wort, der Muehls Spätwerk, das keine Entwicklung erkennen lasse, als "Pure Scheiße" einstuft.

"Kein anderer Künstler verkörperte die gesellschaftliche Revolution 1968 so wie er. Ihre utopistischen Ideale, ihr brutales Scheitern", schreibt Almuth Spiegler in der Presse (27.5.2013). Von den Anfängen in der Malerei zeichnet Spiegler die Karriere Muehls nach bis hin "zu dem irren, gottgleichen Guru", der "er schließlich war". Bei der Muehl-Ausstellung im Wiener MAK 2004 "begann man, das Dilemma Muehl breit zu diskutieren. Kann man seine Kunst ausstellen, ohne die Kommunenzeit kritisch zu thematisieren? Kann man aus einem Gesamtwerk, das nur in der Verschmelzung von Kunst und Leben Sinn und Bedeutung generiert, die künstlerischen Artefakte herausfiltern? Nein. Man muss immer die ganze Geschichte erzählen."

 

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