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Schriftsteller Martin Walser gestorben
29. Juli 2023. Der Schriftsteller Martin Walser ist am Freitag im Alter von 96 Jahren in Überlingen am Bodensee gestorben.
Walser gehörte zu den erfolgreichsten und prägendsten Autoren der Bundesrepublik. Noch im hohen Alter arbeitete er weiter. Sein letztes Werk "Das Traumbuch. Postkarten aus dem Schlaf" erschien 2022.
Aus den Nachrufen
Bundeskanzler Olaf Scholz schrieb auf Twitter: "Seine Bücher haben Generationen gelesen, seine Freude am Argument hat uns viele lebhafte Debatten beschert."
Vor allem die Kontroverse um Walsers Rede anlässlich seiner Ehrung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Jahr 1998 bleibt in Erinnerung. Walser hatte damals vor der "Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken" gewarnt. "Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung." Der Schriftsteller wurde für seine Worte heftig kritisiert.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schreibt in einem Kondolenzbrief: "Alle Versuche, Martin Walser in eine politische oder weltanschauliche Ideologie einordnen zu wollen, verkannten, was diesen Schriftsteller im Innersten antrieb: den eigenen Empfindungen so wahrhaftig wie möglich Ausdruck zu verleihen." Mit Walser habe Deutschland "einen großartigen Menschen und einen Schriftsteller von Weltrang" verloren.
Andreas Platthaus schreibt in der FAZ: "Man hat oft gesagt, dass in Walsers Figuren mit ihrer geradezu verzweifelten Leidenschaft, die andere wiederum verzweifeln ließ, vor allem er selbst steckte – in den Männern genauso wie in den Frauen. Welche Enthüllungen die zweifellos auch nach der jüngsten Biographie von Jochen Hieber ('Der Romantiker vom Bodensee', 2022) noch kommenden Lebens- und Werkbeschreibungen dieses Autors, der die Bundesrepublik literarisch und politisch so geprägt hat wie sonst nur seine beiden Generationskollegen Günter Grass und Hans Magnus Enzensberger (aber sie noch genauer beobachtet hat: die Bundesrepublik und ebenso diese Generationskollegen), auch in privaten Dingen bieten mögen – nichts wird besser Auskunft über den liebenden Menschen Walser geben als etwa sein Debütroman 'Ehen in Philippsburg' aus dem Jahr 1957, sein größter Erfolg, die Novelle 'Ein fliehendes Pferd' von 1978, oder Teile seines immer knapper werdenden Alterswerks wie (natürlich) 'Ein liebender Mann' (2008) oder 'Das dreizehnte Kapitel' (2012). Immer intensiver hat Walser die Liebe beschworen, je mehr sie ihm altersbedingt entglitt."
"Heinrich Böll hielt es mit den Abseitigen und den Guten, Günter Grass beschwor die barocken Poeten und den alten Osten, Peter Weiss die einsamen Kunstfiguren, Uwe Johnson das 'eigene Land', und Max Frisch ließ fragen, wer man denn eigentlich sei. All diese Versuche, aus denen einen großer Teil der Literatur der tatsächlich 'alten' Bundesrepublik bestand, sind längst historisch", so Thomas Steinfeld von der Süddeutschen Zeitung (29.7.2023). "Martin Walsers Figuren aber bleiben lebendig, in ihren Selbstzweifeln, in ihren Unsicherheiten und Verlegenheiten, aber auch darin, dass ihnen niemand richtig glaubt – und es erst recht nicht tat, wenn Martin Walser etwas scheinbar Obszönes in die Welt gesetzt hatte, wie etwa im Fall der Rede in der Paulskirche.“ Und weiter: "Die Bundesrepublik, durch die sich dieser Schriftsteller bewegte, wurde nicht durch Tatbestände beherrscht, sondern durch Gemütslagen. Und das heißt auch: Martin Walser war nie ein politischer Autor, bei ihm löste sich jedes Ereignis in ein Gefühl auf, wobei nicht auszuschließen ist, dass diese Gefühle manchmal unlauter waren. Martin Walser war ein Parzival als Miesepeter, als Windbeutel und Gesellschafter mit beschränkter Haftung."
"Was immer er schrieb – er war sofort zu erkennen", so Barbara Möller in der Welt (28.7.2023). "Es gab wundersamste Walser-Gefühlswörter. Verzichtstraining. Anpassungsbegabung. Trostlosigkeitsglanz. Illusionsbewirtschaftung. Die inneren Monologe über Leichtigkeitsschwere und Unglücksglück ließen uns staunen über Walsers Beobachtungsgabe und das damit korrespondierende Sprachvermögen. Kein anderer deutscher Schriftsteller hat Seelenlagen intensiver durchleuchtet, präziser seziert. Wenn stimmt, dass Schriftsteller am besten über das schreiben, was sie selbst erfahren haben, dann hat Martin Walser mit enormem Mut zur Selbstentblößung geschrieben."
Christoph Schröder von der Zeit (29. Juli 2023) erinnert an einen Verriss Marcel Reich-Ranickis, der Martin Walser dazu motivierte, dem Kritiker, zumindest in seinem Tagebuch, körperliche Gewalt anzudrohen. "Am 27. März 1976 entwirft Walser in seinem Tagebuch eine 'Rede an Herrn R-R', in der es heißt: 'Das allgemeine Publikum, vor dem Sie die Motive meiner zehnjährigen publizistischen Arbeit diffamierten, kann ich nur erreichen, wenn ich gegen Sie prozessiere oder Sie ohrfeige. Da mir zum Prozessieren das Geld fehlt, bleibt mir nichts als die Ohrfeige. Ich sage Ihnen also, dass ich Ihnen, wenn Sie in meine Reichweite kommen, ins Gesicht schlagen werde. Mit der flachen Hand übrigens, weil ich Ihretwegen keine Faust mache.'" Schröder schreibt: "Es kam dazu nie. Die Ohrfeige holte Walser später in Form eines Romans nach."
Dirk Knipphals von der taz (28.7.2023) bemerkt: "In seinen Büchern tauchen immer wieder rivalisierende Männer-Duos auf: Chefs und Angestellte; Schulfreunde, die sich im Urlaub wiedertreffen und ihr Leben vergleichen; Schriftsteller und Literaturkritiker, in innigster Abneigung miteinander verbunden (siehe seinen Skandalroman 'Tod eines Kritikers'). Und vielleicht muss man sich Martin Walser auch selbst so vorstellen, als Rivalen seiner selbst, als ein Autor, in dem es eine Großschriftstellerseite gab und etwas Außenseiterhaftes und beide Seiten miteinander im Widerstreit lagen." Und weiter: "Da war dieses studienratsmäßig Sakkotragende, das er ausstrahlte, fast etwas Literaturfunktionärshaftes, von seinen Augenbrauen gar nicht zu reden. Und gleichzeitig gibt es von ihm tatsächlich beseelte Sätze über die Macht der Sprache. Was immer man, nun mit Abstand betrachtet, von seinen Büchern hält, er selbst hat pathetisch an die Literatur geglaubt."
(SZ / FAZ / Die Welt / miwo)
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