Angst, falsch rüberzukommen

Wien, 17. Februar 2016. In der vergangenen Woche hatte das Volkstheater Wien bekannt gebeben, dass die geplante Inszenierung von Ibrahim Amirs Stück Homohalal, geplant für den 22. April, abgesagt wurde. Dazu hat sich im Falter nun erstmals der Autor geäußert, und zwar mit Verständnis für die Entscheidung des Volkstheaters: "Ich verstehe die Bedenken des Volkstheaters, das Stück zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu zeigen", schreibt Amir. Im Zuge der Flüchtlingskrise sei es zu einer generalisierten Hysterie gekommen. "Jeder Vorfall, der auch nur ein bisschen mit Fremden zu tun, wird sofort gegen oder für die Schutz suchenden Menschen instrumentalisiert."

Seine eigene Arbeit als Bühnenautor möchte Amir, der auch als Arzt in einem Wiener Krankenhaus beschäftigt ist, nicht verändern: "Ich werde es mir zu keiner Zeit und an keinem Ort nehmen lassen, Themen, die mir wichtig sind, auf meine bitterböse Art darzustellen", heißt es im Falter.

Das Volkstheater hat die Absage damit begründet, dass in der politisch aufgeladenen Atmosphäre zu befürchten sei, das Stück könne "falsch rüberkommen". In der offiziellen Pressemitteilung heißt es: "In dieser Situation ist eine Dystopie – so vielschichtig und komisch sie im Fall von Homohalal sein mag – kein geeignetes Mittel zur Auseinandersetzung über die Zukunft schutzsuchender Menschen in Österreich." Das Volkstheater bleibe aber mit dem Autor Ibrahim Amir in künstlerischer Verbindung.

Theaterdirektorin Anna Badora äußerte sich vor zwei Tagen im Kurier noch einmal wie folgt zu der Entscheidung: "Mehrere Medien warfen uns nach der Absage vor, wir seien nicht mutig genug. Das ist absurd. Denn das Theater sucht immer nach Reizthemen. Wir hätten die Konfrontation sicher nicht vermieden. Aber das Stück wurde vor zwei Jahren fixiert (...). Man konnte damals noch mit Frechheit, Leichtigkeit und Unbesorgtheit an dieses Thema herangehen. Erst seit vergangenem Sommer gibt es diese enorme Flüchtlingswelle. Ibrahim war bereits im Herbst klar, dass man das Stück an die Zeit anpassen müsse. Er wollte es umschreiben. Aber er wartete ab, weil sich ständig etwas änderte. Und dann stellte sich heraus, dass es mit kleinen Anpassungen nicht mehr getan ist."

(falter.at / kurier.at / sik)

 

Mehr zu den Theaterarbeiten Ibrahim Amirs auf nachtkritik.de: Die Nachtkritik zur Wiener Uraufführung seiner Ehrenmord-Komödie Habe die Ehre (Januar 2013) und zur Inszenierung Stefan Bachmanns in Köln (Mai 2014). Am Schauspiel Köln wurde auch sein Stück Stirb, bevor du stirbst inszeniert (November 2015).

 

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Kommentare  
Absage Amirs Homohalal: von Marie Jahoda lernen
Diese Frage wiederum - ist es immer richtig, um jeden Preis die Wahrheit auszusprechen, oder soll man sich auch über die Wirkung Gedanken machen - halte ich für hochinteressant, und Ibrahim Amir gebührt für seine selbstlose Einsicht Respekt. Die große Marie Jahoda, die Autorin der "Arbeitslosen von Marienthal", befolgte stets das Prinzip, nichts zu veröffentlichen, was anderen Menschen schaden könnte. Sie stand bis zu ihrem Lebensende zu der Überzeugung, dass Sozialwissenschaftler (und das lässt sich auf Schriftsteller übertragen) Resultate ihrer Arbeit zurückzuhalten hätten, wenn diese den Untersuchten mehr Elend als Gutes bescherten. Als unter Idi Amin dreißig Tausend Asiaten mit britischem Paß aus Uganda nach England flohen, machte Marie Jahoda mit ihren Studenten für das britische Innenministerium eine Untersuchung in den Flüchtlingslagern. Dabei stellte sich heraus, dass die Asiaten starke Vorurteile gegen die Afrikaner in Uganda hatten. Marie Jahoda verhinderte gegen den Widerstand von Studenten, die auf eine erste wissenschaftliche Publikation gehofft hatten, die Veröffentlichung des Berichts, weil es die Lage der Flüchtlinge, die es ohnedies schwer hatten, verschlimmert hätte, wenn bekannt geworden wäre, dass sie nicht nur Opfer von Rassenvorurteilen waren, sondern selbst auch solche hegten. Von Marie Jahoda kann man lernen.
Absage Amirs Homohalal: keiner kennt das Stück
Das Schwierige an der ganzen Causa ist, dass niemand ausser dem Autor, dem Regisseur, der Leitung und dem Ensemble des Volkstheaters das Stück kennt.
Also kann man wahlweise von einem grossen Text mit unbequemem Inhalt und einer feigen Leitung, oder von einem Text der schlecht gemacht ist und der seinem spekulativen Inhalt nicht gerecht wird, ausgehen.
Was die Journalisten ja auch tuen und abwechselnd den Stab über Annna Badora brechen, oder ihr die Stange halten.

Wenn es stimmt, dass sich das Ensemble geschlossen gegen eine Aufführung ausgesprochen hat, so würde ich doch vermuten, dass das Stück nicht all Zuviell taugt und der provokative Inhalt nicht besonders sorgfältig herausgearbeitet ist.
Denn wer den Betrieb kennt weiss, das sich Schauspieler nur sehr selten einig sind,und so steht zu vermuten, dass die angedachten Aufgaben äusserst unerfreulich gewesen sein mussten um geschlossen gegen eine Aufführung zu stimmen.
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