Die Geizigen - Ein Mash-Up aus Molière und Plautus in Baden-Baden mit ausgereiftem Stockwerk-Slapstick über die Ängste einer satten Gesellschaft
Die Rock-me-Amadeus-Römer-Mittelschicht
von Steffen Becker
Baden-Baden, 27. November 2015. Nehmen wir an, Sie bieten ein Produkt an, dessen Verkauf Sie nicht überwachen. Sie stellen nur ein Kässchen hin und warten ab, was passiert. Was glauben Sie, wer wird eher den geforderten Betrag einwerfen? Die Mutti, die im Kleinwagen und zwei Kindern vorfährt oder die reich behängten Insassen der Limousine? Gut, die rhetorische Frage illustriert die These, dass die Knauserigkeit mit dem Reichtum steigt, etwas holzschnittartig. Aber Autor Stephan Teuwissen hält sich in seinem neuen Stück "Die Geizigen" nur dann mit Philosophie auf, wenn seine Figuren Marcus Tullius Cicero zitieren. Ansonsten bietet sein Mash-Up aus Molières "Der Geizige" und "Der Goldtopf" des römischen Dichters Plautus vor allem Highspeed-Komik.
Die Uraufführung in der Inszenierung von Mélanie Huber am Theater Baden-Baden bietet folgerichtig wenig Raum für Reflektion und umso mehr für Schauspieler mit Freude am Auspowern. Den meisten Stress erfährt dabei der Römer Arpagonius. Kaum findet er eine Schatulle auf seinem Grundstück, wirft der wahnhafte Drang, den neuen Besitz zu wahren, sein Leben aus der Bahn. Max Ruhbaum wirbelt als eine Art Klaus Kinski-Wiedergänger über die Bühne. Er muss seine langjährige Haushälterin rausschmeißen, damit sie ihn nicht beklaut, dies betrauern, seine Tochter vor einer Mitgift auslösenden Heirat abschirmen und schlussendlich den Dieb seines Schatzes suchen.
In heller Aufregung
Bei einem Text, der öfter das Wort "Stockwerk-Slapstick" als Regieanweisung enthält, könnte das auf allen Seiten zu Ermüdungserscheinungen führen. Doch die Stärke der Inszenierung und des Ensembles liegen in Präzision und Einfallsreichtum. Ruhbaum rutscht über Geländer, gestikuliert wild, fällt unvermittelt in die Ohnmacht und den Schoß einer Mitspielerin, zuckt aufs Stichwort, während alle anderen in einer bestens aufeinander abgestimmten Gruppenperformance auf engen Treppen in helle Aufregung verfallen.
Die Details sind verspielt, sie sitzen und sorgen für Dauer-Lacher und Szenen-Applaus. Die Botschaft muss das Publikum eher im Bühnenbild von Nadia Schrader suchen. Auf das bereitet vor dem Vorhang Michael Laricchia als hinreißende Trümmer-Tunte Molière vor. Im Legionär-Aufzug lamentiert er über die mangelnde Ausstattung der Kunst. Statt opulenter Szenerie bietet ihm Baden-Baden zwei nackte Holzverhaue und Papp-Säulen.
Spiel mit Material und Materie
Die als punkige Rock-me-Amadeus-Römer kostümierte Mittelschicht ist im Grunde ein armer Haufen. Nicht, weil sie zum Tag-Nacht-Wechsel selbst per Seilzug einen Mond reinholen und dazu die passenden Geräusche (Uhu) machen müssen. Das ist in der Inszenierung nur Ausdruck – dass sich eine Mittelschicht bedrängt fühlt und sich daher keine Rücksicht erlauben will. Als Kontrast tritt eine stumme Bettlerin auf, die einem Boten Brot spendet. "Die Rücksicht derer, die keine Rolle spielen", lautet der Kommentar – womit die Bettlerin folgerichtig aus dem Stück verschwindet.
Alle anderen suchen ihre Stellung zu festigen: Arpagonius' Tochter (Anne Leßmeister als poppige Sixties-Göre) drängt ihren Geliebten zu einem eigenen Business, damit er präsentabel wird. Nadine Kettler drängt als gefeuerter Hausdrache Staphyla resolut zurück in ihre Position. Der alternde Ehevermittler Megadorus (Berth Wesselmann als fleischgewordene Jovialität) drängt seinen Nachbarn Arpagonius, endlich ins Geschäft kommen.
Schönes Rendezvous
Die Frau, die er anbietet, ist die einzige mit einem Plan und Wagemut. Voluptia (Kathrin Veith) will es als herrlich überdrehte Parodie einer rassigen Südländerin mit französischem Akzent in Rom zu etwas bringen. Eine Fremde mit anderer Sprache und Gepflogenheiten, die an den Wohlstand der Patrizier will. Verbirgt sich in der Moliére-Abwandlung am Ende gar ein aktueller Kommentar zum Rendezvous einer ängstlichen Gesellschaft mit einer Zuwanderung, die die Verhältnisse umkrempelt? Nun, der Stück-Autor legt es im Programmheft nahe, endet aber mit "Meine Damen und Herren! Der Verfasser dieser Zeilen wollte nur sagen, dass er nicht viel sagen will und sagte das mit gar vielen Phrasen." Tja, reingefallen, aber gut unterhalten wurde man trotzdem.
Die Geizigen
Komödie von Stephan Teuwissen nach Molière und Plautus
Uraufführung
Regie: Mélanie Huber, Bühne: Nadia Schrader, Kostüme: Eva Krämer.
Mit: Mattes Herre, Nadine Kettler, Michael Laricchia, Anne Leßmeister, Max Ruhbaum, Kathrin Veith, Berth Wesselmann.
Dauer: 2 Stunden 10 Minuten, eine Pause
www.theater.baden-baden.de
Mehr zu Mélanie Huber: die Regisseurin war mit ihrer Inszenierung Die Radiofamilie zum Festival radikal jung 2014 eingeladen. Die Stückfassung nach dem Text von Ingeborg Bachmann hatte damals ebenfalls Stephan Teuwissen erstellt.
Die "zeitlose Erkenntnis 'Geiz ist (gar nicht) geil'" des Molière-Plautus Zusammenschnitts von Stephan Teuwissen habe Regisseurin Mélanie Huber "in reichlich Tempo, Situationskomik und körperliche Aktion" verpackt, schreibt Sibylle Orgeldinger in den Badischen Neuesten Nachrichten (30.11.15). Und Michael Laricchia als Molière glänze.
"'Die Geizigen' ist ein echtes Theaterschätzchen", freut sich Irene Schröder im Badischen Tagblatt (30.11.15) und hat vor allem Lob für die Regie von Mélanie Huber: "Was da an rasantem Slapstick über die Bühne fegt, könnte bei einer weniger straffen Führung zu chaotischem Herumgehampel führen", diese "Gratwanderung" meistere die Truppe unter Hubers Führung souverän.
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