Welt 3.0 - Maschinerie Hilfe
(Don't) help!
von Gerd Zahner
Konstanz, 8. Juni 2012. In Afrika ist die Zukunft gestorben. Entwicklungs-Hilfe, da sie in die Zukunft wirkt, ist also letztlich nur die Begräbnisfeier. Das wird auf der Konstanzer Bühne gespielt. Man war gespannt, ob man die Stimmen der afrikanischen Künstler heraushören könnte. Einen besonderen Ton. Oder eine neue Sicht. Drei Jahre hat das Theater Konstanz gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes und das Goetheinstitut mit Nanzikambe Arts (Blantryre, Malawi) zusammengearbeitet, herausgekommen ist am Ende der Versuch eines Stücks.
Welt 3.0 Maschinerie nennt sich selbst ein "Plädoyer für eine neue Säule der Entwicklungshilfe". Ein gemischtes Ensemble aus malawischen und deutschen Schauspielern, Regisseuren und Autoren hat viel gelesen und geforscht über die Strukturen der Entwicklungshilfe und spielt nun die Überschriften von Thesen und Kritiken nach, wobei keine ausgelassen wird. Gesprochen wird das Stück in Englisch, Deutsch und Chichewa mit deutschen Übertiteln.
Das Monster der Entwicklungshilfe
Die Bühne in der Konstanzer Spiegelhalle ist aus Quadern und Kästen, mit Getreidesäcken bespannt – "White Maize 50 kg". Erster Auftritt: Eine Frau aus dem Dorf lehnt gegen eine Wand, erzählt mit einem Glas Instantkaffee in der Hand von ihrem Himmel und wird in dem Augenblick schweigen, wenn die schneeweißen Beine der Entwicklungshilfeleiterin die Bühne betreten. Im Folgenden: Ein afrikasaurer Ingenieur bedient im deutschen Unteroffizierston rassistische Klischees, um überhaupt etwas zu sein; sein junger Assistent schwängert ein Dorfmädchen; ein Kraftwerk wird errichtet und am Ende gesprengt; ein Kind überfahren, schwer verletzt; die Politik bestochen, alles vertuscht; Madonna singt, wirklich schlecht; schlecht ist auch Böhm, denn er sammelt Geld; das Geld ist sowieso verpufft, ein korrupter Dorfbürgermeister übervorteilt die Gemeinde; und beim Anblick des ersten Apple kommt Appleneid auf. Die Entwicklungshilfeleiterin schält sich vor Überheblichkeit noch weißer. In der Zentrale herrschen Diskursüberfluss, Empathienot und Öffentlichkeitsmanipulation. Was noch? Die Überschriften jagen sich. Einfall auf Einfall. Das Monster der deutschen Entwicklungshilfe frisst ein afrikanisches Dorf.
Beklemmende Wirklichkeit
Manchmal, wenn die malawischen und deutschen Schauspieler einander in gegenseitiger Anerkennung Wirklichkeit schenken, kommt so etwas wie Wahrheit auf. Ein paar Sätze über die politische Wirklichkeit in Malawi sind eingestreut, über Verfolgung und Unterdrückung, und diese Wirklichkeit macht beklommen – wird aber sogleich wieder verdünnt in dieser unerklärlichen Stoffhäufung. Und jedes Thema wird im ungebremsten Bewusstsein der Deutungshoheit aufgegriffen. Die deutschen Entwicklungshelfer erinnern in ihrer einfältigen Eindeutigkeit an die Kapitalistenbeschreibungen in DDR-Filmen der 50er Jahre. Graue Karikaturen. Am Ende geht man mit dem unguten Gefühl hinaus, so eine Art Bestimmungstheater gesehen zu haben, das meint, dem unwissenden Publikum jetzt endlich die wahre Seite der Entwicklungshilfe vorhalten zu können.
Das Stück wird nach Konstanz in malawischen Städten gespielt. Bestimmt wird es dort anders wirken. Doch der Eindruck, den es erweckt: man müsste nur die Entwicklungshilfe austauschen und alles wäre ganz anders, ist in jedem Fall falsch. So einfach ist es nicht.
Welt 3.0 – Maschinerie Hilfe (UA)
von Clemens Bechtel, Thokozani Kapiri, Misheck Mzumara, Thomas Spieckermann
Regie: Clemens Bechtel, Thokozani Kapiri, Ausstattung: Till Kuhnert, Declay Ntiya, Dramaturgie Thomas Spieckermann.
Mit: Dipolathu Katimba, Otooli Masanza, Julia Philippi, Susi Wirth, Noah Bulambo, Thomas Ecke, Michael J. Müller, Jeremiah Mwaungulu, Misheck Mzumara.
www.theaterkonstanz.de
Mehr zu dem an Konzeption und Regie dieses Abends beteiligten deutschen Regisseur Clemens Bechtel im nachtkritik-Lexikon.
Mit "Welt 3.0" sei dem Theater Konstanz "ein wirklich grosser Wurf gelungen, der in allen Belangen überzeugt", meint Severin Schwendener in der Thurgauer Zeitung (11.6.2012). Was "Welt 3.0" von anderen Stücken unterscheide, sei "das gemischte Ensemble. Hier wird nicht ein Stück über Afrika erzählt, sondern auch von Afrika. Das klingt nach einem kleinen Unterschied, ist jedoch etwas ganz anderes." Umso mehr träfen "die happigen Vorwürfe, die das Stück erhebt. An die Helfer, an uns alle. Der deutsche Ingenieur, der mit dem Feingefühl einer Planierraupe und der Überheblichkeit des Allwissenden in einem Dorf eine Power-Station baut, der die Afrikaner herumkommandiert, lokale Bräuche und Hierarchien ignoriert und damit vor allem die Afrikaner gegen sich aufbringt."
Die Gemeinschaftsinszenierung und das Schauspiel der deutschen und afrikanischen Akteure "befördern bewusst kein Verständnis im Sinne der Synthese zweier sich widersprechender Standpunkte, sondern scheint die Gegensätze und die Probleme noch zu verschärfen", schreibt Maria Schorpp für den Südkurier (12.6.2012). "Clemens Bechtel und Thoko Kapiri haben als Regisseure wechselnde Formen gefunden, um diese Geschichte der unterschiedlichsten Interessen und Sichtweisen zumeist auch kurzweilig zu erzählen." Der Erzähler Misheck Mzumara verleihe der "nicht unkomplizierten Geschichte" eine "klare Struktur" bringe "sogar Humor mit ins Spiel". "Immer wieder steigt die Schauspielerin aus ihrer Rolle aus, um ihre Wut über die sich als Helfersyndrom kaschierende zynische Verkommenheit hinauszuschreien. Das hat etwas Befreiendes." Diese Inszenierung sei "keine leichte Kost, man muss offene Fragen ertragen können, drängende Fragen. So kann Theater aussehen, das bei den Menschen angekommen ist."
Jürgen Berger hält dem Abend in der Schwäbischen Zeitung (12.6.2012, nahezu identisch argumentiert er in der Süddeutschen Zeitung vom 18.6.2012) zugute, dass man sich im "Gegensatz zu ähnlichen Projekten" dem "schwierigen Thema tatsächlich über Figuren und Geschichten" nähere. Das Projekt sei "bemüht, alle Probleme einzuarbeiten, die Hilfsprojekte vor Ort produzieren". Da "vier Autoren geschrieben haben, wirkt der Text aber auch inhomogen und thematisch überladen". Auch inszenatorisch halten sich Für und Wider in den Augen des Kritikers die Waage: Die afrikanischen Schauspieler "agieren mit angenehmem Understatement und verlieren sich nicht in folkloristischen Eskapaden". Dagegen hätte das Regieteam "kein Mittel gefunden, den deutschen Schauspielern ihre Figuren näherzubringen. Vor allem Thomas Ecke ist als Ingenieur eine Art Dschungelcamp-Aspirant". Im Bühnenbild sei "die Spielfläche mit kunsthandwerklichen Objekten" verstellt; Kostümbildner Till Kuhnert habe "die Entwicklungscrew ausstaffiert, dass man sie für Touristen in einem Erlebnispark 'Afrika' halten kann". Wenn dann das "Bashing westlicher Gutmenschen" anfange, gerate die Inszenierung ganz "aufs falsche Gleis". Da "wirkt das Theater plötzlich sehr angestrengt und als wolle es beweisen, dass es sich mit seinem Malawi-Projekt auf der politisch korrekten Seite der Hilfe-Maschinerie bewegt."
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Irgendwo in einem Dorf in Malawi ist ein power house explodiert, ein kleines Turbinenhaus, das von einer deutschen NGO initiiert, finanziert und gebaut wurde, um die Bewohner dort mit Strom zu versorgen und ihnen so einen Anschluss an die Moderne zu ermöglichen. Dies ist die Ausgangssituation im Stück „Welt 3.0 – Maschinerie Hilfe“, das am Freitag in der Spiegelhalle in Konstanz seine Uraufführung feierte und das Abschlusswerk der dreijährigen Zusammenarbeit zwischen dem Stadttheater Konstanz und dem Theater Nanzikambe Arts aus Malawi darstellt. Der Frage, wie es zum mutmaßlichen Anschlag kam, wer dahinter stecken könnte und welche Folgen das Scheitern des Projekts haben wird - für die Menschen des Dorfes, für die Helfer vor Ort und nicht zuletzt für die deutsche Entwicklungshilfe in Malawi generell -, all diesen Aspekten wird in den folgenden 100 Minuten intensiv nachgegangen. Die Handlung ist kunstvoll verschachtelt, springt immer wieder zwischen dem hoffnungsvollen Beginn und dem frustrierenden Ende des Projektes hin und her und verknüpft die verschiedenen Orte und Perspektiven – unterstützt durch eine Einheitsbühne (verantwortlich Till Kuhnert) aus Leinwand, Holz und glänzendem Metall, die in ihrer Gesamtheit sowohl rohe Lehmwände als auch modernes Design-Interieur symbolisieren kann, den Figuren allerdings dennoch eindeutige Räume zuweist: Da gibt es das malawische Dorf, in dem bereits das Erscheinen der NGO-Vertreter die bisherigen Hierarchien durcheinanderwirbelt und der Chief (Noah Bulambo) plötzlich weniger zu sagen haben soll als der wegen seiner Englischkenntnisse neu ernannte Projektassistent (Jeremiah Mwaungulu); auch die deutschen Helfer „am Einsatzort“ beeinflussen das Dorf – routiniert und kaltschnäuzig der Ingenieur, für den auch ein überfahrenes Kind ein Betriebs-Unfall ist (Thomas Ecke), idealistisch und naiv der in ein Dorfmädchen (Otooli Masanza) verliebte Volontär (Michael Müller) – und beweisen auf ihre je eigene Weise, dass es zwischen Weißen und Schwarzen in Afrika „stets ums Geld geht“. Da gibt es andererseits die Perspektive des NGO-Office in Malawi, dessen europäische (Susi Wirth) und malawische Mitarbeiterinnen (Dipolathu Katimba) weder die gleichen Vorstellungen von angemessenem Verhalten noch dasselbe Gehalt haben. Vor dem Hintergrund der entwicklungshilfefeindlichen Politik des mittlerweile verstorbenen Präsidenten Mutharika spielt auch die Perspektive der NGO-Zentrale in Deutschland eine Rolle, in der sich Engagement und Frustration, Repräsentationsbedürfnis und Verantwortlichkeit für Spendengelder professionell die Waage halten.
Bühnenbild, Stück wie Inszenierung erscheinen aus einem Guss – bemerkenswert angesichts eines Teams von immerhin vier Autoren (Clemens Bechtel, Thokozani Kapiri, Misheck Mzumara, Thomas Spieckermann) bzw. zwei Regisseuren jeweils aus Malawi und Konstanz. Die drei Sprachen des Stücks – Englisch und Chichewa werden übertitelt - betonen die Bruchlinien zwischen den Kulturen; die homogene Spielweise, mittels der die fünf malawischen Schauspieler rasch auch zu „schneeweißen“ Mzungus in der deutschen Zentrale werden, verrät das Zusammenwachsen aller zu einem echten Ensemble. Über diese ob ihrer Kontinuität und Partnerschaftlichkeit einzigartige Kooperation ist in den vergangenen Monaten viel berichtet worden, doch auch das am Freitag präsentierte Endprodukt ist die Aufmerksamkeit wert.
Stück und Inszenierung zeigen Zusammenhänge auf, stellen Fragen, denken laut nach - am lautesten in der Figur Madonnas (Julia Philippi): über verschiedene Mentalitäten, über scheinbar selbstverständliche Rollenzuweisungen, über das afrikanische und europäische Afrikabild und nicht zuletzt unseren Helfer-Reflex. Durch realistische Dialoge klar umrissener Figuren in prägnanten Szenen-Miniaturen verführt „Welt 3.0 - Maschinerie Hilfe“ die Zuschauer zum Hinschauen und bringt sie gleichzeitig dazu, etwas zu sehen, wie sie es noch nie gesehen haben. Das Konstanzer Publikum dankte es mit langanhaltendem Applaus. „Welt 3.0 - Maschinerie Hilfe“ ist ab dem 11. Juli auf Gastspielreise in Malawi – es wäre spannend zu erfahren, welche Facetten des Zusammenpralls der Kulturen die Zuschauer dort bemerkenswert finden.