Antigone - Sophokles kompakt inszeniert von Mizgin Bilmen im Studio des E.T.A.-Hoffmann-Theaters Bamberg
Zwei in einen Apfel verbissen
von Andreas Thamm
Bamberg, 12. Mai 2017. Während Kreon seinen toten Sohn Haimon beweint, läuft draußen, vor den großen Fenstern, eine Frau vorbei. Sie bleibt stehen, zückt ihr Handy und filmt das Geschehen: Die lange Tafel, besudelt mit glitzerndem Blut, ein Blumengesteck in der Mitte, daneben die tote Antigone und wie traumwandelnd Eurydike und Ismene. Wenn sie, die Passantin, nicht weiß, was hier vor sich geht, wird ihr das rätselhaft erscheinen.
Regisseurin Mizgin Bilmen hat das Studio des Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theaters verkleinert und einmal um die eigene Achse gedreht. Die Tragödie findet vor Panoramafenstern statt, vor der Kulisse von Bamberg im Dämmerlicht. Am Ende spaziert Kreon, der nun die Schwiegertochter, den Sohn, die Frau beweinen muss, hinaus. Und schreit. Der Schuldige bemitleidet sich selbst.
Blutrot und Unschuldsweiß
Es ist der epische Schlussakkord eines Stücks, das von Bilmen skelettiert wird. Das Bühnenbild verbindet Reduziertheit mit schwerer Symbolik. Alles ist blutrot und unschuldig weiß, die Protagonisten blond und in schmutzstarrende Felle gehüllt. Tyrann Kreon und Sohn Haimon tragen sandfarbene Armyboots.
In diesem Rahmen wird der Kern der Tragödie verhandelt, in sperrig-mächtigen Schachtelsätzen und ohne Trumpfrisur oder Flüchtlingsschlauchboot: Was gilt? Die eigene Überzeugung, das Ewigkeiten überdauernde Prinzip der Götter oder doch das Gesetz des Staates? Antigone will ihren Bruder, der im Kampf um Theben gefallen ist, beerdigen dürfen. Ihr Onkel Kreon verweigert dem Verräter die Totenehre.
Antigone schwingt sich auf die Tafel, sie streut goldenes Konfetti. Der Rest ist erstarrt wie Mannequins, weißes Scheinwerferlicht und hämmernde Musik, immer wieder dasselbe Klavierthema. Sie hat den Toten mit einer zarten Schicht Staub bedeckt. Das geht schon zu weit. Antigone und Kreon verkeilen sich, beide mit den Zähnen im selben Sündenapfel. Und Anna Döing suhlt sich in der frechen Todessehnsucht der Antigone, während Pascal Riedel sich immer tiefer in den Wahn des Tyrannen gellt: "Was wagtest du ein solch' Gesetz zu brechen?"
Wem gehört der Staat?
Der Ungehorsam ist ihr Todesurteil. Antigone soll lebendig begraben werden. Wenn Kreon jetzt wenigstens einen folgsamen Sohn hätte, das wäre ihm das Wichtigste. Doch Haimon, der Verlobte Antigones, will sie vor seinem Vater und seinen Vater vor dem Volkszorn retten: "Das ist kein Staat, der einem nur gehört!" Es ist zu spät. Ein starrsinniger Herrscher kann nicht nachgeben. Das menschliche Gesetz treibt die Familie in den dreifachen Suizid: Erst Antigone, dann Haimon, schließlich Eurydice, Kreons Frau. Ihr gehört die Erkenntnis: Nichts ändert sich, nie. "Es geht immer um Mord und Totschlag."
Nach knackigen 75 Minuten ist der Spuk vorbei, die Bühne nach wie vor in Blut getränkt. Nichts ändert sich, nie. Die Inszenierung verlässt sich auf den zeitlosen Konflikt, Bilmen verstellt den Blick darauf nicht, verwässert nichts. Gleichzeitig müssen natürlich Effekte gesetzt werden, sonst bleibt bei dieser Herangehensweise nur hochtrabende Diskussion: Die stummen Schreie der Hinterbliebenen vor Geräuschwänden, die kalte seitliche Beleuchtung.
Teiresias' Weisheit
Bühnenbild und Kostüme von Cleo Niemeyer sind für sich ein ästhetischer Genuss. Und trotzdem täuscht das inszenatorisch effektstarke Ende nicht darüber hinweg, dass hier nicht ganz durchgezogen wurde. In Bilmens Antigone schlummert ein Vulkan, der nie ganz und gar ausbricht.
Trotzdem: Das Stück triumphiert in seiner Kompaktheit. Der Zuschauer muss dran bleiben, damit ihm die antiken Monologe nicht entgleiten. Nicolas Garin darf den blinden Seher in roter Strumpfhose darin funkelnd ausbreiten. Unter den fehlbaren, unvernünftigen Sterblichen bleibt er die Instanz, die sich einen Vorwurf erlauben kann. Teiresias weiß: "Ungeheuer ist viel, doch nichts ist ungeheurer als der Mensch."
Antigone
von Sophokles
Regie: Mizgin Bilmen, Bühne und Kostüme: Cleo Niemeyer, Dramaturgie: Olivier Garofalo.
Mit: Anna Döing, Katharina Rehn, Pascal Riedel, Nicolas Garin, Marie Nest, Alexander Tröger.
Dauer: 1 Stunde 15 Minuten, keine Pause
www.theater.bamberg.de
"Es ist sicher eine beeindruckende Inszenierung geworden, ohne nervende Aktualisierungen und Pop-Anbiederungen. Noch mehr Reduktion ohne Overkill (Musik! Nebelschwaden!) hätte ihr allerdings sehr gut getan", schreibt Rudolf Görtler vom Fränkischen Tag (15.5.2017). Den Chor zu streichen, sei eine kluge Entscheidung gewesen. In der entschlackten Spielfassung "entfalten die zweieinhalbtausend Jahre alten Verse ihre archaische Wucht".
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der blick auf den stoff ist schon sehr speziell...
die kritik hätte das tatsächlich mehr würdigen können.
in jedem fall: hingehen!
top!
Weiß eigentlich jemand, was zum Beispiel inzwischen Frau Paulhofer macht?
ich weiß nicht auf wieviele erruptionen herr thamm noch gewartet hat...
wenn ästhetische erzählweisen als effekthascherei umschrieben werden und subjektive wahrnehmugen als fakt behauptet werden (...)
wirklich toll- die knallig klügste antigone, die ich gesehen habe.