Brand - Cilli Drexel inszeniert in Bamberg die Uraufführung der BRD-Familiensaga von Bettina Erasmy
Aus Traumata wird DNA
von Christian Muggenthaler
Bamberg, 19. Januar 2018. Das Leben setzt sich zusammen aus sich ansammelnden Schichten von Mobiliar. Am Ende der Uraufführung von Bettina Erasmys Stück "Brand" am E.T.A. Hoffmann-Theater Bamberg, als eine (west-)deutsche Familiengeschichte von der Mitte der 50er Jahre bis in die Gegenwart auserzählt ist und Vater Fritz Schüller tot im Lehnstuhl sitzt, sind die Möbel aus Jahrzehnten auf einen übersichtlichen Haufen zusammengeschoben. Oben am Bühnenhimmel hängen als Sehnsuchtsebene immer noch die ewigen Sterne (Bühne: Christina Mrosek). Drunten ist eine unglückliche Familie raketengleich durch die ihr verhängten Zeiten gerast. Auf der zu Beginn so leeren Bühne trug das Ensemble Stück für Stück Möbel herbei, gruppierte sie um von Szene zu Szene. Die Wunden der Schüllers sind zwischen allen diesen Stühlen entstanden.
Der Krieg lebt weiter
Bettina Erasmy erzählt in ihrem Stück von Greta und Fritz, die ein Ehepaar werden, ohne je eigentlich ein Liebespaar gewesen zu sein. Er wird erfolgreicher Immobilienhändler, weil die Wunden des Kriegs schnell mit Gebäuden zugedeckt werden müssen. Sie wird erfolgreiche Modedesignerin, vom Dasein allmählich abgehärtet wie eine Steppendistel. Innerhalb dieses Paars verschieben sich permanent die Gewichte: Die vergehenden Zeiten sind Gezeiten der Zuneigung und Ablehnung. Dieses irdische Doppelgestirn gebiert sich allmählich sein Planetensystem, die Kinder Michael, erst denkender Revolutionär, dann lenkender Neoliberaler, und Paulina, sensibel, ungefestigt, magersüchtig. Dazu gesellen sich die Lebenspartner der Kinder und Überraschungsgäste als Früchte verschwiegener Liebschaften. Und Oma Else, zwischendurch verschieden, bringt aus dem Jenseits verflackernde Glühbirnensterne wieder zum Leuchten.
Solch kleine poetische Tüpfelchen setzt Cilli Drexels Inszenierung des Stücks zwischendurch ganz gern, die ansonsten erfolgreich mit ordentlich Schub und Dynamik arbeitet. Drexels Knack-und-Back-Fassung des ohnehin starken Stoffs gibt gerade wegen ihrer grußlosen Atemlosigkeit immer wieder Blicke frei auf jene wesentlichen Momente der Geschichte, wenn die Zeit dann doch stillzustehen scheint und der Kern von Erasmys Konstrukt durchschimmert: Für die Schüllers hat der Zweite Weltkrieg, eigentlich nie aufgehört. Aus ihrem Alptraum, zusammengesetzt aus Bombennächten und dem quälenden Bewusstsein, in ein Land voll Tätern geboren worden zu sein, sind die Eltern nie erwacht, weshalb ihn ihre Kinder weiterträumen müssen. Weil über das Wesentliche nie geredet wird, gewinnt es Macht. Statt Aufklärung: ein permanenter innerfamiliärer Verdrängungswettbewerb. Das ist der immerlodernde Brand, der der Geschichte ihren Titel gibt.
Blinder Fleck Alltagsrassismus
Die Schüllers bewegen sich immer weiter auseinander, Cilli Drexel folgt dieser Bewegung aufmerksam. Zunächst ist die Distanz immerhin noch so überschaubar, dass in ihr Ironie möglich ist. Ganz wunderbar die katastrophalen Versuche von Familienfeiern aus dem Katalog "Schöner Scheitern"; ganz wunderbar auch Eric Wehlan als Michael, der als lachfreudiger Jungspund zunächst Sympathieträger Nummer eins ist, bevor er in eine unbehagliche Trostlosigkeit abstürzt. Cilli Drexel vertraut sowieso ganz auf die Stärken des Bamberger Ensembles. Wahnsinnig komisch ist Regine Vergeen als Großmutter Else Berg, wenn sie mit größter Selbstverständlichkeit über ihre vorzeitlichen Moralvorstellungen parliert. Wie überhaupt all diese Leute im Nebenbei dann und wann unfassbare Dinge voll Alltagsrassismus und Unüberlegtheit von sich geben.
Die Verzweiflung von Paulina ist bei Ronja Losert mit ihrer Bühnenpräsenz und spielerischen Eleganz wunderbar aufgehoben, Stephan Ullrich lässt Fritz Schicht um Schicht zu einem so eigenartigen, auch eigensinnigen Charakter wachsen, dass aus dem schlichten Mann zuletzt ein ganzer Mensch wird. Und Katharina Brenner macht Greta zur Löwin, die praktisch die ganze gut zweistündige Inszenierung lang immer und in jeder Faser auf dem Sprung nach Beute ist, und bestünde die auch nur aus der vermissten Zuneigung der Tochter. Die vergehende Zeit zeigt sich an der Kraftdosis, die diese beiden Darsteller ihren Figuren gönnen und an der sich verändernden Kleidung (Kostüme: Janine Werthmann). Am Ende dann: zusammengeschobenes Mobiliar. Der Theaterabend ist, textlich und darstellerisch klug beobachtend, bis an den wunden Kern von Menschen vorgedrungen; nur deren abgelegte Schalen aber bleiben schlussendlich übrig.
Brand
von Bettina Erasmy
Uraufführung
Regie: Cilli Drexel, Bühne: Christina Mrosek, Kostüme: Janine Werthmann, Dramaturie: Remsi Al Khalisi.
Mit: Regine Vergeen, Katharina Brenner, Stephan Ullrich, Eric Wehlan, Ronja Losert, Iris Hochberger, Marcel Zuschlag, Marie Nest.
Dauer: 2 Stunden, 10 Minuten, keine Pause
www.theater.bamberg.de
"Welches Haus 'Brand' künftig auch inszenieren mag, es wird sich an der Bamberger Aufführung messen lassen müssen", schreibt Christoph Hägele vom Fränkischen Tag (22.01.18) und bescheinigt "ein zeitgschichtlich relevantes Thema, pointierte Dialoge und hervorragende Schauspieler". Die Aufführung glücke auch deswegen, weil sich Regisseurin Cilli Drexel und Dramaturg Al Khalisi im Vertrauen auf Schauspieler und Texte selbst zurücknähmen.
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