Rechtes Denken - Das E.T.A.-Hoffmann-Theater in Bamberg eröffnet unter neuer Leitung mit einer Uraufführung von Konstantin Küspert
Der Mensch ist des Menschen Bierbruder
von Rupprecht Podszun
Bamberg, 18. Oktober 2015. Diese Frau hat Drive: Hochgewachsen, schlanke Statur, rote Haare, so steht Sibylle Broll-Pape inmitten der sich vor dem Studio des E.T.A.-Hoffmann-Theaters drängelnden Zuschauer und redet und diskutiert, und in Sekundenschnelle begreift jeder: Hier passiert etwas. Die oberfränkische 70.000 Einwohner-Stadt Bamberg nahm Abschied von Rainer Lewandowski, der das Theater mit großer Fangemeinde seit 1989 geführt hatte. Doch statt sich nach einer solchen Ära vorsichtig in die Zukunft zu tasten, wurde mit Broll-Pape eine energische Theatermacherin geholt, die zuvor seit 1991 das Bochumer Prinzregenttheater geprägt hatte. Sie mag die kleinen Erdbeben, die Theater auslösen kann.
Zu Beginn ihrer Intendanz hat sie versprochen, sich zur Stadt hin zu öffnen, das macht man ja so heutzutage. Bei der ersten Uraufführung der Saison ist das einerseits wörtlich, andererseits im übertragenen Sinn gemeint. Wörtlich, weil die Studiobühne mit offener Fensterfront spielt – hier kann am Abend jeder vom Harmoniegarten aus in die moralische Anstalt glotzen. Im übertragenen Sinn widmet sich dieser Abend den Studentenverbindungen, die es auch in dieser Uni-Stadt gibt. Die Burschenschaft Alemannia hat laut Programmheft sogar beratend zur Seite gestanden – das ist schon ein kleiner Coup.
Bürger, Wolf und Leviathan
Die Seminararbeit zum Programmheft, pardon, das Stück mit Programm heißt "Rechtes Denken", Konstantin Küspert hat es verfasst. Das ist erstmal 11. Klasse, Gymnasium: 1651, Thomas Hobbes, "Leviathan", die Erfindung der Staatsphilosophie. Der Naturzustand – jeder gegen jeden – kann nur überwunden werden durch ein gewaltsames Monster namens Leviathan, den starken Staat. Und stark wird dieser Staat durch Homogenität. Welch ein passendes Bild in diesen Tagen!
Die vier Schauspieler des Abends tragen Wolf-Shirts, denn der Mensch ist ja des Menschen Wolf, zumindest bei Hobbes, und Küspert führt in drei Konstellationen vor, wie das Gerede vom menschlichen Böse-Sein zu einer self-fulfilling prophecy wird: Eine kleine Liebelei zwischen einer Antifa-Aktivistin und einem Jungburschenschafter kommt um zwischen den dumpfen Ritualen eines homogenen Korps-Rudels. Der Mensch ist des Menschen Bierbruder. Im staatsphilosophischen Dialog zwischen "besorgten Bürgern" und einem Leviathan werden die Topoi aktueller Staatshoffnungen und -verdrossenheiten durchgetextet. Küspert legt dazu dem Leviathan eine eigentümlich alttestamentarische Sprache ins Maul. Das eröffnet interessante Assoziationsräume. Am bürgerlichen Familienmittagstisch schließlich sucht das Kind sich und radikalisiert sich nach rechts. Der Vater grinst dazu wie der Wolf im Schafspelz.
Diese Mittagstischradikalisierung macht ratlos. Es kommt immer wieder minutenlang und ungebrochen zur Deklamation von rechten Pamphleten. Die nimmt der Autor von Autonomen Nationalisten, der NPD-Jugendorganisation oder Legida. Was soll das? Analyse, Verführung, Protest? Der intellektuelle Appeal des braunen Mülls ist für jede Reaktion zu gering. Die Inkarnation des banalen Bösen, SS-Mann Adolf Eichmann, kommt übrigens auch noch zu Wort, so endet so etwas nämlich.
In jedem echten Halse bleibt ein Volkslied stecken
Überraschenderweise macht die junge Regisseurin Julia Wissert aus diesem handlungsarmen, aber nicht ungefährlichen Text einen vor Spielfreude überschäumenden Abend. Sie bespielt drei Podien (Bühne und Kostüme: För Künkel), running gags und deutsches Liedgut halten die Handlungsstränge zusammen. Das Publikum, das an Biertischen sitzt, soll mitsingen und mitklatschen, aber im Laufe des Abends bleibt den meisten jedes Volkslied im Halse stecken. Die Leviathan-Dialoge werden gekonnt ungekonnt mit Spielfiguren und Legosteinen im Modelleisenbahnformat gestellt. Die vier Akteure – Daniel Seniuk, Anna Döing, Stefan Hartmann und Marie Nest – spielen stark auf, sie machen Lust darauf, das 16-köpfige Bamberger Ensemble kennenzulernen.
Als es nach fast eineinhalb Stunden und langem Applaus wieder vor die Tür des Studios geht, bahnt sich auch die Intendantin einen Weg durch die Menge. "Der Abend hat doch funktioniert!" Sie sagt das nicht erleichtert oder triumphierend. Eher kampfeslustig. 14 neue Stücke will sie in dieser Saison in Bamberg stemmen, darunter fünf Uraufführungen und auch sonst reichlich Modernes. Es ist schon losgegangen mit den kleinen Erschütterungen.
Rechtes Denken
von Konstantin Küspert
Uraufführung
Regie: Julia Wissert, Bühne und Kostüme: För Künkel, Dramaturgie: Olivier Garofalo. Mit: Anna Döing, Marie Nest, Stefan Hartmann, Daniel Seniuk.
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
theater.bamberg.de
Mit 'Rechtes Denken' sei jetzt ein Stück zur Zeit zu sehen, schreibt Christian Muggenthaler in der Nürnberger Zeitung (23.10.2015). Regisseurin Julia Wissert setze es mit gehörigem Tempo um. "Vier Darsteller sausen zwischen drei Spielflächen herum, das Publikum sitzt locker verstreut an Biertischen". Hauptaugenmerk liege auf der schleichenden Umformung einer Gesellschaft durch rechtes Denken. Statt theorielastigem Sinnen gebe es tatsächlich: Spiel. "Für die Munterkeit des Abends sorgen auch die vier jungen, sehenswerten Schauspieler."
Das dicht komonierte Studiostück erweist sich aus Sicht von Corina Erk für dan Fränkischen Tag (23.102015) als "komplexe Zusammensetzung dreier Handlungsebenen". Regisseurin Julia Wissert biete die Textvorlage "mit sich in Nuancen steigernde Regieeinfällen dar". Am Ende bleibe der Abend zwar Antworten auf die angerissenen Aspekte schuldig. Doch entlasse er das "aufgewühlt klatschende Bamberger Publikum mir einer Frage: Wievie rechtes Denken steckt in jedem einzelnen von uns."
Helmut Schödel resümiert in der Süddeutschen Zeitung (29.10.2015) erst einmal die Lage des E.T.A.-Hoffmann-Theaters in Bamberg, von dem man nichts wisse. "Etwas abseits der Touristenrouten lag es in einer Art Dornröschenschlaf und wurde von seinem Intendanten Rainer Lewandowski ein Vierteljahrhundert lang vor teilnehmender Zeitgenossenschaft beschützt." Nun aber küsse Sibylle Broll-Pape das Dornröschen wach. Als die Saison mit "Nibelungen" und "Rechtes Denken" begann, hätten gerade noch, schreibt Schödel, "Anschläge von Rechtsextremisten auf Asyleinrichtungen und einen linken Szenetreff in Bamberg verhindert" werden können. Auf einmal habe sich "das bis dahin verschlafene Theater mitten im politischen Geschehen" gefunden. "Rechtes Denken" sei "mehr als eine Performance, noch kein Stück, aber in Bamberg eine deutliche Fußnote" zu Hebbels "Nibelungen" und "Material zu den Problemen draußen". Die Schauspieler verwandelten den Text "mit großem Einsatz in ein aufklärerisches Politspektakel". Die Produktion sei auf Monate ausgebucht.
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