Der Teufel rutscht den Buckel runter

von Matthias Weigel

Erlangen, 1. Oktober 2009. Man ist geneigt zu sagen, eine neue Intendanz an einem kleinen Stadttheater mit Goethes "Faust" zu eröffnen, sei zumindest gewagt. Denn braucht es nicht einen geübten Rotstift, eingeführte Schauspiel-Titanen und das volle Vertrauen des Publikums, um sich so respektlos wie ironisch über den Text herzumachen, wie es heutzutage schon sein muss?

Muss ein Stadttheater wie in Erlangen, dessen festes Ensemble aus sieben Schauspielern besteht, da nicht sofort an seine Grenzen stoßen? Die neue Intendantin Katja Ott, zuvor Schauspieldirektorin am Staatstheater Braunschweig, gab die Eröffnung aber zurecht vertrauensvoll in die Hände von Mario Portmann; er braucht für seine zeitlos-frische Inszenierung des ersten Teils der Tragödie sogar nur fünf Schauspieler. Und eine große Rutsche.

Ulrich Leitner baute auf die barocke Bühne eine Art nach vorn geöffneter Half-Pipe, eine Rutsch-Wand, von der Mephisto (Matthias Bernhold) herunterfällt, von der Schräge aufgenommen und dem Publikum entgegengeschleudert wird, um auf einer Bodenwelle zu verebben. Wer so in die Welt geschleudert wird, weiß für Sekunden nicht, wo oben und unten ist und hat erstmal keine andere Sorge, als alle Extremitäten sachgerecht wieder in Stellung zu bringen. Heinrich Faust indessen leidet am entgegengesetzten Zustand.

Nur wenige Zuschauer flüstern mit

Er denkt sich schon lange darüber in Verzweiflung, warum oben überhaupt oben ist, und nicht unten, fährt sich murmelnd durch seinen rotblonden Backenbart und zupft an der Großvater-Hornbrille. Ein Beweis dafür, wie erfrischend unverbraucht Hermann Große-Berg die berühmten "Habe nun, ach!"-Zeilen über die Lippen kommen, ist die niedrige Quote an mitflüsternden Zuschauern.

Erfolgreich umschifft Portmann die meisten Erwartungen und Klischees, mit denen das Stück gespickt ist. Ganz entspannt verbannt er Konkretes wie Bücher und Hunde von der Bühne. Allerdings hat er fast alle Handlungselemente erhalten, was zu einigen Längen führt, wie etwa beim Wein-Taschenspielertrick in Auerbachs Keller, der mit allen Windungen und Wendungen gezeigt wird.

Mephisto tritt – ganz ohne Feuer, Schall und Rauch – vorerst als Spiegelbild/Kopie/Teil von Faust auf. Ganz unspektakulär und leise mischt sich der böse Zwillingsbruder ein, verwandelt sich nach und nach in ein quirliges und meist sympathisches Schlitzohr, das lindwurmartig an den Trittbrettern der Rutschwand empor kriecht.

Zwei Schauspieler spielen 14 Figuren

An ihm vorbei fallen immer wieder Robert Naumann und Christian Wincierz auf die Bühnenwelle, die zusammen nicht weniger als 14 Figuren schultern, aber auch einige überflüssige Regieeinfälle im Gepäck haben. Warum muss in Auerbachs Keller betrunkener Capoeira getanzkämpft werden, Wagner chinesische Klangkugeln in der Hand haben oder Gretchen beim Kindsmord eine Wasserflasche in einen Schuhkarton entleeren? So einiges haftet der Inszenierung an, was im Verdacht steht, einmal ausprobiert und dann einfach nicht mehr gestrichen worden zu sein.

Bei der Liebe gibt es hingegen kein Zuviel. Gitte Reppin als Gretchen schafft den Spagat zwischen einem teeniehaften aber doch erotischen, einem kindlichen aber doch tiefgründigen Gretchen. So gelingt ihr Seltenes: Ihre Figur kann ernst genommen werden, ohne dass das Verstörende an der Beziehung einer 14-Jährigen zu einem 50-Jährigen (inkl. Verjüngungstrunk) verloren geht. Nur setzt Große-Berg eher Vaterliebe oder grobe Aggression dagegen, anstelle von Verliebtheit oder körperlichem Verlangen, und so wirkt die Beziehung ab und zu dann doch erzwungen.

Gezielter Einsatz von Kraft und Mitteln

So sehr Portmann die Besetzung eindampft, so reich bedient er sich anderer Mittel. Ernst Schießls Lichtdesign zeichnet scharfe Kontraste in Helligkeit und Farbe und sorgt für eine bilderreiche Walpurgisnacht, in der blauschwarze Gestalten vor einer orange leuchtenden Wand tanzen. Für die Lieder und Choräle (Sängerin: Sigrid Plundrich) sowie elektronisch geloopte Sounds und Geräusche zeichnen Jan-S. Beyer und Jörg Wockenfuß verantwortlich, die auf eine lange Zusammenarbeit mit dem Regisseur zurückblicken können.

Wenngleich der Diamant also noch etwas ungeschliffen und erdig daherkommt – Intendantin Katja Ott hat gleich zu Beginn gezeigt, zu was auch ein kleines Stadttheater fähig sein kann; wenn die Kraft nur gezielt und gebündelt einsetzt wird.

 

Faust. Der Tragödie erster Teil
von Johann Wolfgang von Goethe
Regie: Mario Portmann, Bühne und Kostüm: Ulrich Leitner, Musik: Jan-S. Beyer, Jörg Wockenfuß. Mit: Hermann Große-Berg, Matthias Bernhold, Gitte Reppin, Sigrid Plundrich, Christian Wincierz, Robert Naumann.

www.theater-erlangen.de

 

Andere Faust 1-Inszenierungen zeigten Alejandro Quintana im Juli 2009 in Heilbronn, David Mouchtar-Samorai im Januar 2009 in Linz, Laurent Chétouane im Oktober 2008 in Köln oder Tilmann Köhler im Februar 2008 in Weimar.

 

Kritikenrundschau

Man habe den "Faust" schon vielschichtiger gesehen, meint Katharina Erlenwein von den Nürnberger Nachrichten (5.10.) angesichts der Erlanger Neuinszenierung. "Regisseur Mario Portmann schürft nicht gerade tief in den Goetheschen Abgründen von Glaube, Liebe, Intellekt und Gefühl. Doch die dreieinhalb Stunden sind gut gemachte Theater-Unterhaltung."Hermann Große-Berg verleihe seinem Faust "ein großes Ego und wenig Zimperlichkeit", Matthias Bernhold, als Gast im Ensemble, gebe Mephisto "als smarten Witzbold, sportlich und komödiantisch unterstützt von Christian Wincierz und Robert Naumann in zahlreichen Rollen. Der Begrüßungsapplaus war herzlich – Ankunft geglückt."

 

Kommentare  
Faust in Erlangen: von Seiten des Hauses motiviert
Das klingt mal wieder wie eine "Kritik", die von Seiten den Hauses "motiviert" wurde, wie leider viel zu viele hier bei nachtkritik.de.
Gitte Reppin als "Gretchen" ist tatsächlich eine ENTDECKUNG, Kostüme und Inszenierung erinnerten mich eher an Jugendtheater.
Das künstlerische Profil wird sich erst dann zeigen, wenn man mal wieder nach langer Zeit eine Regie von Katja Ott sehen wird, also im Frühjahr 2010. Als inszenierende Intendantin das Haus nicht zu eröffnen, zeigt eher wenig Mut oder wenig Lust.
Faust in Erlangen: Danke für die Polemiksoße
...vielen Dank für die Polemiksoße, liebe Frankenquelle. Ich liebe allwissende Menschen.
Faust in Erlangen: Lob
Feine Arbeit.
Faust in Erlangen: nicht mutig genug
Zu Frankenquelle: Also die Insezenierung war gut, aber als Opener für eine neue Intendanz war sie nicht mutig genug. Und hier komme ich zu Frau Katja Ott.
Ich denke nicht, dass sie keine Lust hatte selbst zu inszenieren... Sie ist einfach nicht bescheuert und beginnt ihre Intendanz mit einer Inszenierung von ihr! Ich meine, sie hatte das Haus ja komplett umgekrempelt. Man muss ja erstmal Freiräume schaffen. Personal, sei es das alte Ensemble oder Technikleute, musste gehen und Neue Leute sind gekommen. Da kann so eine Inszenierung gerade zu Beginn einer Intendanz mit teilweise neuem Team ein Risiko sein/werden. Ihr Profil wird sich im Lauf der Zeit zeigen... Wenn die gewonnen Freiräume an ihre Grenzen stoßen.
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