Gespenster der Geschichte

27. Januar 2024. Es ist Krieg. Doch der oberste Kriegsherr ist ein Zauderer. Oder ein Egozentriker? Die Indifferenz, mit der Friedrich Schiller diesen Wallenstein agieren läßt, löst eine Kette von Verhängnissen aus. Jan Philipp Gloger sucht in dieser Konstellation das Universelle.

Von Svenja Plannerer

Schillers "Wallenstein" in der Regie von Jan Philipp Glogers in Nürnberg © Konrad Fersterer

27. Januar 2024. Als könnte man Geister wispern hören, wenn man lange genug stillsitzt und den Atem anhält – so sieht es auf der Bühne zu Beginn aus. Stühle liegen in der Dunkelheit quer verstreut, ein Fernrohr mittendrin, von der Betondecke rieselt gelegentlich Staub. Ein von der Geschichte hinterlassener, menschenleerer Raum, ein Mahnmal für die Ruinösität des Krieges. Ein Raum, in dem gleich Loyalitätsknoten und Vertrauensfallstricke gewunden werden sollen, wenn die Geister der Historie erwachen.

Auf Schiller folgt Schiller: Vor weniger als zwei Wochen erst fiel der letzte Vorhang von Jan Philipp Glogers Inszenierung von "Don Karlos", die 2022 Premiere feierte. Nun folgt im Schauspielhaus des Staatstheaters Nürnberg "Wallenstein", zum ersten Mal seit 65 Jahren. Auch für die Region ein wichtiges Stück, denn in und um Nürnberg trafen 1632 im dreißigjährigen Krieg Wallenstein und der schwedische Feldherr Gustav Adolf aufeinander. Auch angesichts der Kriege in der Ukraine und in Gaza ist die Trilogie, hier gekürzt um den ersten Teil "Wallensteins Lager", eine nachvollziehbare Wahl.

Arrogante Unentschlossenheit 

Wallenstein hat sich beim Kaiser unbeliebt gemacht. Seine Strategien gegen die Schweden wirken zögerlich. Als auch noch herauskommt, dass Wallenstein überlegt, mit dem nordischen Feind ein Bündnis einzugehen, wird Octavio Piccolomini damit beauftragt, Wallensteins Heer zu übernehmen. Ausgerechnet derjenige, den Wallenstein für seinen engsten Freund hält, wird jetzt zu seinem größten Gegenspieler und sorgt dafür, dass das Heer, das Wallenstein sonst treu ergeben war, nach und nach von seinem geplanten Verrat erfährt und sich von ihm ab- und der kaiserlichen Intrige zuwendet.

Tjark Bernaus Wallenstein ist wankelmütig, jähzornig, gibt nie preis, was er wirklich denkt, und wird durch seine arrogante Unentschlossenheit gelegentlich zur Witzfigur. Er kann sich nicht entscheiden, ob er nun den Krieg oder den Frieden will, ob ihm sein eigener Vorteil, oder der seiner Soldaten am Herzen liegt. Für wen oder was er wirklich kämpft, weiß wohl nur er allein. Weder er noch Octavio Piccolomini – den Janning Kahnert mit der eisern-überheblichen Überzeugung spielt, stets der rechtschaffene Kaisertreue zu sein –, werden jemals zu Sympathieträgern.

Humanes Herzstück

Diese Rolle obliegt den beiden tragischen Liebenden, Max Piccolomini, Sohn Octavios, und Thekla, Tochter Wallensteins. Die beiden werden im wahrsten Sinne des Wortes zum Herzstück des Abends, denn sie sind die einzigen, so scheint es, die nicht vergessen haben, um was es eigentlich gehen sollte: den Krieg zu beenden. "O schöner Tag! Wenn endlich der Soldat / Ins Leben heimkehrt, in die Menschlichkeit", spricht Max.

Luca Rosendahl und Katharina Kurschat machen ihre Figuren zu starken Charakteren, die ihre eigenen Entscheidungen treffen, anstatt sich von Drohungen oder Warnungen beeinflussen zu lassen. Wo der Rest der Figuren emotional erkaltet zu sein scheint und nur noch strategisch denkt – man nehme als Beispiel Karoline Reinkes Gräfin Terzky –, bleiben sie als einzige human-warm. Auch als klar wird, dass sie nie zusammen sein werden können.

Atmosphäre des Unheils

Je enger sich die Schlinge aus Intrigen um Wallenstein zuzieht, desto näher kommt ihm die Decke aus Beton (Bühne: Franziska Bornkamm). Sie schwebt tiefer und tiefer herab, bis sie ihn schließlich zu erdrücken droht. Er legt sich schlafen, wird ermordet, die Decke kommt auf dem Boden auf, Wallensteins Licht erlischt. Octavio Piccolomini hat für seinen Kaiser gewonnen, der Krieg aber ist selbst nach sechzehn langen Jahren noch nicht zu Ende.

Während die Darstellenden Schillers Sprache gestochen scharfe Verständlichkeit verleihen, unterlegt der Komponist Kostia Rapoport das Stück mit einem Soundtrack, der mit wummerndem Brummen und Tinnitus-gleichen Piepsen eine Atmosphäre des Unheils schafft. In Kombination mit der minimalen Ausstattung und den historisierend angelegten, in Rot- und Brauntönen gehaltenen Kostümen von Annelies Vanlaere, wird die Handlung ins Überzeitliche gehoben.

Zwischen den Zeilen

Die Inszenierung zeichnet das Bild von Menschen, die weder vor noch zurück können. Die eingesponnen sind in universell vorhandene Netze aus Verpflichtung, Loyalität, Zuneigung. Bereits unentschiedene Vorhaben besiegeln Verhängnisse, und verschärfen noch das Leid – Leid, das vermeidbar gewesen wäre. Zwischen den Zeilen, in den kurzen Verweilpausen, denkt man die vielen Menschen, die eben keine Macht haben und mit den Konsequenzen der Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen leben müssen, die die Mächtigen immer wieder über sie bringen.

Wallenstein
von Friedrich Schiller
Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Franziska Bornkamm, Kostüme: Annelies Vanlaere, Dramaturgie: Brigitte Ostermann, Eva Bode, Musik: Kostia Rapoport.
Mit: Tjark Bernau, Janning Kahnert, Luca Rosendahl, Katharina Kurschat, Pius Maria Cüppers, Nicolas Frederick Djuren, Amadeus Köhli, Karoline Reinke, Sascha Tuxhorn, Thorsten Danner, Matthias Luckey, Joshua Kliefert.
Premiere am 26. Januar 2024
Dauer: 3 Stunden 10 Minuten, eine Pause

www.staatstheater-nuernberg.de


Kritikenrundschau

"Alles arbeitet gegen ihn, sogar das Bühnenbild", schreibt Wolf Ebersberger in der Nürnberger Zeitung (29.1.2024). Bedrohlich hänge eine steinerne Platte als Decke schräg über Szene, senke sich und begrabe am Ende den Feldherren unter sich. "Die bildgewaltige Idee gebe dem Stück zugleich einen Rahmen und eine Richtung: nach unten, zum Tode hin." Die Handlung um Treue, Verrat, Kriegstaktik, Rebellion um des Friedens willen sei in den wichtigsten Szenen verdichtet. "Gloger kann das." Aber "so richtig hell oder gar warm ums Herz ist es in uns an diesem Abend leider nie geworden".

Schillers Monumentaldrama sei hier beherzt wie geschickt gestrichen, "ein Wimmelbild mit Kriegsvolk also, Kampfgetümmel gibt es nur als Klangkulisse", so Christoph Leibold im Bayrischen Rundfunk (27.1.2024). Gloger inszeniere eine packende "Hinterzimmerschlachtfeldstudie über Ränke und Intrigen in einer Welt, in der persönliche Bindungen, Freundschaft und Familienbande unter dem Diktat politischen Kalküls stehen". Und er zeige "Männer, die sich das Militärische wie Rollen übergestülpt haben, die sie denn auch getreulich spielen. Nur, dass sich das kriegerische Schauspiel dann verselbständigt und eine Dynamik entwickelt, die alle überrollt – Wallenstein inbegriffen".

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