Empire of Oil - Die Costa Compagnie vollendet am Berliner Ballhaus Ost ihre multimediale Trilogie über den Rohstoff Erdöl
Und der Orca Wal fragt sich
von Christian Rakow
Berlin, 24. Mai 2018. Im Jahr 1972 prognostizierte der Club of Rome in seinem Weltwirtschaftsbericht "Die Grenzen des Wachstums" das Versiegen der Erdöl-Ressourcen binnen der nächsten zwanzig Jahre. Es waren die Zeiten der Ölkrise, der globale Kollaps schien greifbar. Heute, wiederum gute zwei Jahrzehnte nach dem errechneten Breakdown, sprudeln die Ölquellen wie eh und je, die aktuell geschätzten Vorräte übersteigen jene Anfang der 1970er bekannten um 600 Milliarden Barrel. Die Ressourcen-Ausbeutung wird effizienter, die Ölfirmen rücken in entlegene Territorien wie die Arktis vor. Und die Apokalypse ist einstweilen aufgeschoben, während die Ära der regenerativen Energien aufzieht.
Dem Öl auf der Spur
Gleichwohl ist der Schatten des fossilen Zeitalters lang. Und entsprechend verdienstvoll nimmt es sich aus, wenn die Costa Compagnie um Mastermind Felix Meyer-Christian mit ihrer Trilogie "Empire of Oil" aufbricht, dem Erdöl, diesem "Blut in den Adern der Weltwirtschaft", nachzuspüren. Das Team hat in Norwegen und im Irak recherchiert und präsentiert am Ballhaus Ost die Ergebnisse in einem 360 Grad Film, in einem weißen Zelt. Das Publikum sitzt lose im Rund verstreut, die Bilder flackern auf den umgebenden Zeltwänden (weiteres Bildmaterial kann man anschließend in einer elfminütigen Virtual-Reality-Version unter der Oculus Rift-Brille erleben).
Dem Charakter nach ist es ein impressionistisches Rechercheprojekt. Mit Statistiken und detaillierten politischen Analysen wie sie etwa ein Hans-Werner Kroesinger bieten würde, wartet die Costa Compagnie nicht auf. Stattdessen gibt es diverse Talking Heads, gerahmt von erhabenen Landschaftsbildern: Hügeln, endlosen Fjorden und Bohrinseln in Norwegen; Steppen und zerstörten Städten im Irak. Es reden Mitarbeiter von Ölfirmen sowie eine Umweltaktivistin (Norwegen), Kriegsflüchtlinge, regionale Experten oder auch ein US-Soldat (Irak).
Norwegen: das sind Ansichten des gemäßigten sozialstaatlich regulierten Öl-Booms im Konfliktfeld zwischen Mensch und Umwelt. Die Klimakatastrophe grundiert die Erzählungen. Die Berichte aus Mossul und Kirkuk im Nordirak künden dagegen vom Raubbau des Menschen am Menschen. Die Beiträge sind persönlich gehalten, der US-Soldat ringt mit den Tränen, als er sich erinnert, wie seine Einheit Zivilist*innen in einem Bus erschoss, der an einem Checkpoint nicht stoppte. Ein norwegischer Offshore-Arbeiter spricht von Orca Walen vulgo "Killerwalen", die sich oftmals an den Bohrinseln vorbei treiben ließen und mit einem Auge hochblinzelten, als wollten sie sagen: Was ist das?
Die Vortrags-Performance "The Underground Frontier" und die, an diesem Abend neu herausgebrachte, Choreographie "An Infinite Ending" als Teil Zwei und Drei des Projekts sind theatrale Verarbeitungen der im Film dargebotenen Recherche-Früchte. Allerdings gerät das Ganze hier eine ganze Ecke allgemeiner und unschärfer. Norwegen und der Irak werden umstandslos ineinander geblendet, während Maria Walser und Julia B. Laperrière von Ressourcen-Ausbeutung und Territorialgewinnen im globalen Großen und Ganzen sprechen, in einer Diktion, als seien sie gerade aus einem trendigen Kulturwissenschaftsseminar gestolpert. Dazu singt Timothy Lalonde mit stark computerverzerrter Stimme einzelne Statements aus dem Film nach: "Und der Wal schaut hoch und fragt sich: Waaa-s-iiist-daasss?"
Raunender Kunstkitsch
Als die belehrenden Vorträge weitestgehend absolviert sind, verkörpert Laperrière ausdruckstänzerisch einen Bohrturm. Und zum Finale wird andächtig ein kleiner Schwall Öl in eine Schüssel gekippt, als wolle man zur Taufe schreiten, oder auch nur Bert Brecht persiflieren: Drei Intellektuelle beten eine Ölschüssel an.
Spätestens an diesem Punkt hat sich die Vertheaterung der respektabel gestarteten Öl-Recherche in raunenden Kunstkitsch verabschiedet. Die ekstatischen Tanzdarbietungen im finalen dritten Teil – von Lea Martini und Julia B. Laperrière in bewundernswerter Verausgabungsbereitschaft gestampft, rotiert, geschleudert – beschwören finsterste Endzeitatmosphäre. Dunkel glimmt das Licht, Nebel strömt herein, dass er einem die Lungen zerreißen möchte. Und man lernt den Orca Wal mit jeder Minute besser verstehen, der hochblinzelt und rätselt: Was ist das?
Empire of Oil
von Costa Compagnie
Künstlerische Leitung, Recherche, Text, Kamera, VR: Felix Meyer-Christian; Choreographie: Jascha Viehstädt; Bühne, Kostüme: Zahava Rodrigo, Nicole Nowak; Projection Mapping, VR, Video: Erik Kundt; Komposition, Soundart: Marcus Thomas; Dramaturgie: Caroline Erdmann; Kamera: Stefan Haehnel; Fixer Irak: Repak Dawdi, Hana Quader; Video: Michail Rybakov; Video-Support: René Liebert; Video-Cutter: Ana Catalá, Timothy Justin Lalonde, Stéphanie Morin, Miguel Murrieta Vásquez, Karo Serafin; Grafik: Fanny Wühr; Dramaturgieassistenz: Lena Mallmann; Produktionsassistenz: Nicole Nowak, Support: Doaa Ahmed.
Performance, Tanz: Martin Hansen, Timothy Lalonde, Julia B. Laperrière, Lea Martini, Anna-Lena Pappe, Maria Walser; Voice-Over: Hauke Heumann, Maria Walser; Gesang: Inger Lindsjørn Nordvik; Buzuq: Mevan Younes.
Part 1 – A Research in 360° (Dokfilm) – 1 Stunde 20 Minuten
Part 2 – The Underground Frontier (Performance) – 1 Stunde 10 Minuten
Part 3 – An Infinite Ending (Tanz) – 45 Minuten
VR-Installation – 11 Minuten
www.ballhausost.de
"'Empire of Oil' zählt, im Gelingen wie im Scheitern, zu den interessantesten Freie-Szene-Produktionen der jüngeren Vergangenheit", freut sich Patrick Wildermann im Tagesspiegel (26.05.2018). "Besonders der erste Teil, 'A Research in 360°', fächert ein bemerkenswertes Panorama auf." Im zweitel Teil fragt sich Wildermann etwas enttäuscht, "was ein Dokumentarspezialist wie Hans-Werner Kroesinger an Erkenntnissen herausdestilliert hätte". Der dritte Teil, der Tanz, bleibe nebulös. "Lea Martini und Julia B. Laperrière schaffen im künstlich zugedampften Ballhaus Ost zwar einige starke Momente von Verausgabung, Anrennen, Gefangensein im Kreislauf – aber ohne den Zusammenhang der Trilogie würden die letztlich in Ratlosigkeit verpuffen."
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Die Emotionen inmitten der Zusammenhänge kamen beim Publikum vor allem durch die Musik und die Tanzsequenz auf, aber mitfühlend, eher so als ob wir das selbe Los gezogen haben...
Wer geschmacklich und sinnlich offen war für die Poesie in dem Stück, konnte ziemlich viel von dem empfinden, was hinter all den Worten und Bildern steckt. Z.B.berührten mich die musikalischen Verarbeitungen der Recherchefragmente. Musste ich bei den ersten Musiken noch schmunzeln, konnte ich später bei dem Stück über die Toten in den Straßen sehr viel Schmerz mitfühlen. Ich fand die Interpretation des Musikers empathisch.
Die Gedankenreise am Ende hat mich als Format überrascht, doch ich fand sie irgendwie doch noch gerade so stimmig eingeführt, da die körperlich poetische Tanzsequenz und die einfühlsame Musik schon den ganzen Abend lang verschiedene Ebenen in die umfangreiche Auseinandersetzung gebracht hatten.
Davon sind mir Bilder im Kopf geblieben, die mir immer wieder im Alltag ins Gedächtnis kommen. Gerade wenn jetzt, während dieses heißen Sommers, die Abendsonne die urbane Architektur anleuchtet, muss ich an den Klimawandel denken und daran, was da gerade rasant auf uns zu kommt. Und in dieser realen Konsequenz für uns alle....fand ich das Ende von The Underground Frontier nicht kitschig, es hat mir irgendwie eingeleuchtet ... mit dem ganzen Öl hat die Menschheit etwas so Riesenhaftes erschaffen, dass wie ein falscher Gott angebetet wird...In meiner Auffassung wäre es zu frontal gewesen, das so zu sagen. Die symbolische Performance davon, das fiktive Ritual, das die Gäste aus der Gedankenreise zurück in den Theaterraum holte war aber in meinen Augen doch gelungen...