Gräuliche Gestalten

27. Januar 2024. Sartres Stück kommt im Mantel einer neuen Übersetzung, aber ansonsten hat Mateja Koležnik wenig Interesse an einer Aktualisierung oder Bezügen zum politischen Heute. Sie zeigt das Politmord-Drama als Kammerspiel, in dem die sentimentalen Momente entscheidend sind.

Von Elena Philipp

Sartres "Schmutzige Hände" in der Regie von Mateja Koležnik am Berliner Ensemble © Matthias Horn

27. Januar 2024. Tausend Töne Grau. Kommunismus war schon mal bunter. Für Mateja Koležniks Inszenierung von Jean-Paul Sartres Politmord-Drama "Die schmutzigen Hände" hat Olaf Altmann einen Bretterkasten auf die Bühne des Berliner Ensembles gestellt. Portalhoch, mit Spalten, durch die helles Licht dringt wie zerscheibt. Nebel wallt. Schreie, eine Frauenstimme. "Nicht schießen!" Und dann stürzt mit großem Krach die vordere Wand nach hinten zu Boden. Zum Vorschein kommt: ein Mensch. Und um ihn: Leere.

Kommunist in Probezeit

Paul Zichner als Hugo wankt aufs Publikum zu. Effektvoller Auftritt. Hugo, um Sartres Polit-Parabel aus dem Jahr 1948 kurz nachzuerzählen, ist ein fanatischer Parteigänger. Abgeschworener Bürgerssohn, der sich den Kommunisten angeschlossen hat und nun beweisen muss, dass er "verwendbar" ist, ideologisch einsetzbar. Und nicht nur ein papierener Intellektueller, der die Parteizeitung vollschreibt, "immer acht Tage hinter der BBC und Radio Moskau hinterher", wie es in der Neuübersetzung von Eva Groepler heißt. Nein, auch er kann eine Aktion vollbringen, eine heldische Tat! So wie Iwan (Peter Moltzen), der von der patenten Parteiorganisatorin Olga (Pauline Knof) einen Rucksack aufgesetzt bekommt und mit zitternden Händen loszieht, um eine Brücke zu sprengen. 

Durch eine Bretterwand von der Erleuchtung getrennt: Lili Epply, Paul Zichner © Matthias Horn

Also lässt sich Hugo mit einer großen Aufgabe betrauen: Er soll Hoederer (Marc Oliver Schulze) erschießen, den Parteichef, der, dem rivalisierenden Apparatschik Louis (Gerrit Jansen) zufolge, die kommunistische Sache zu verraten droht. In Sartres fiktivem Illyrien steht die Rote Armee kurz vor dem Einmarsch. Um den Tod Hunderttausender zu verhindern, will Hoederer mit dem politischen Feind paktieren, bei Koležnik mit der faschistischen Regierung des Prinzen (Gerrit Jansen) und den Nationalliberalen von Karsky (Peter Moltzen). Sie haben die politische Macht und die Waffen, Hoederers proletarische Partei bietet ihnen Schutz vor den Moskauer Kommunisten. Eine win-win-Situation. Für Hugo inakzeptabel, beschmutzt diese realpolitische Taktiererei doch die Reinheit der Sache. 

Die Welt der großen Jungs

Eifrig eifernd spielt Paul Zichner diesen Idealtypus des Idealisten. Graues Hemd, graue Hose, grauer Gürtel. Aber glühende Gesinnung? Ganz nimmt man ihm das nicht ab. Auch, weil Mateja Koležnik, die ja eher eine Spezialistin für inner(lich)e Dramen denn für politisches Theater ist, seine Gewissensentscheidung vom politischen Tyrannenmord wegrückt. Schwang dieser Kontext bei Sartre im Post-Vichy-Frankreich mit, bevor das Stück zum Leidwesen des Autors antikommunistisch verstanden wurde, sieht man hier einen nicht mehr ganz jung wirkenden jungen Mann, der sich sein Initiationserlebnis in die Welt der großen, wichtigen Jungs ausgesucht hat. Und unfähig ist, abzudrücken. 

Mit der Geliebten aus Parteikreisen: Pauline Knof, Paul Zichner © Matthias Horn

Selbst als Marc Oliver Schulzes Hoederer sich auf den Boden kniet, ihm den Nacken zum Schuss darbietend, hat Hugo Hemmungen. "Ich könnte, wenn ich es beschlossen hätte", zischt Zichner sichtlich schwitzend durch seine Zähne, lässt sich vom überlegenen Hoederer aber widerstandslos die Waffe entwinden. Der ältere Charismatiker, der im Kostüm von Ana Savić-Gecan ein bisschen aussieht wie Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier, hat Hugo längst durchschaut. Und ihn, trotz so gegensätzlicher Ansichten (Hoederer: "Es gibt nur ein Ziel: die Macht" versus Hugo: "Es gibt nur ein Ziel: der Sieg unserer Ideen"), auf seine Seite gezogen. Auch, weil der brillante Stratege Gefühle offenbart: "Ein Mensch mehr oder weniger auf der Welt, für mich zählt das. Das ist kostbar", sentimentalisiert der neben Zichner an der Bretterwand kauernde Schulze mit Tränen in den Augen.

Eifersuchtsmord statt Polithinrichtung

Das Dialog-Duell der beiden Ungleichen ist über weite Strecken dick mit den Sounds von Bert Wrede unterkleistert. In dieser von Mateja Koležnik psychologisch-realistisch angelegten Männerwelt kommen auch die Frauenfiguren nicht übers Klischee hinaus. Pauline Knofs Olga, mit der Hugo anbandelt, ist zackig in Parteidiensten unterwegs, dem Geliebten gegenüber dienstbar. Seine Ehefrau Jessica ist bei Lily Epple eine hinter dem Vorwand weiblichen Nichtwissens taktisch klug handelnde Verbündete. Als blond gleißende Femme fatale entsteigt sie anfangs oben ohne einer Truhe (die Stripperin als Assistentin des Magiers – ist das die Vorstellung einer weiblichen Regisseurin von einem Männertraum?). Was sie an dem blassen Jüngling findet, weiß sie irgendwann selbst nicht mehr und wendet sich Schulzes etwas weniger blassem Hoederer zu, der ihr, wider besseres Wissen, zitternd und schwitzend verfällt.

Am Ende fließt doch noch Blut: Marc Oliver Schulze, Peter Moltzen, Gerrit Jansen © Matthias Horn

Hugo überrascht die beiden beim Kuss – und knallt Hoederer jetzt doch ab. Die heroische Polithinrichtung, zum Eifersuchtsmord verzwergt, das ist Sartres böse Volte. Und ein Schuss Melodram im nur mittelmitreißenden Trockentext. Zaghaft und zahm mutet das bei Koležnik an, trotz kraftmeiernder Kulissen. In mittlerer Distanz zu allem Aktuellen und Philosophischen, vermag Sartre als Kammerspiel nicht sonderlich zu fesseln. Grau ist und bleibt die Grundstimmung. 

Die schmutzigen Hände
von Jean-Paul Sartre
Regie: Mateja Koležnik, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Ana Savić-Gecan, Musik: Bert Wrede, Licht: Rainer Casper, Dolmetscherin: Anja Wutej, Dramaturgie: Karolin Trachte.
Mit: Lili Epply, Gerrit Jansen, Pauline Knof, Peter Moltzen, Marc Oliver Schulze, Paul Zichner, Valentin Kleinschmidt, Adrian Grünewald.
Premiere am 26. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

www.berliner-ensemble.de

 

Kritikenrundschau

Sartres szenische Parabel könnte zu einer grellen Satire oder einem moralpolitischen Abziehbild verführen, so Simon Strauss in der FAZ (29.1.2024). Umso erstaunlicher und aufsehenerregender, dass Regisseurin Mateja Koležnik und Bühnenbildner Olaf Altmann "das Stück konzentriert als existenzialistische Darstellung scheiternder Hingabe zur Aufführung zu bringen." Denn darum geht es neben einiger Nachhilfe in politischer Grundsatzphilosophie eben auch. Zweimal, zu Beginn und am Ende, falle die Bühnen-Vorderseite knallend zu Boden. "Und dann sieht man den verlorenen Idealisten allein durchs Ungefähre stolpern. Ungläubig, so als könnte er nicht fassen, dass all seine Gedanken im Nichts enden." Fazit: Sartres altmodisches Stück bekomme hier eine neumodische Traurigkeit. Handelt vom Unglück eines Seins, das kein Bewusstsein mehr bestimmen kann. 

Kurz hoffe man, dass Mateja Koležnik, eine kluge Regisseurin der starken Formsetzungen, sich über die Apologie der strammen Revolutionäre lustig machen will, so Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (29.1.2024). "Aber leider biegt die Inszenierung zügig und gänzlich ironiefrei in Richtung schwere Pathosdröhnung samt Nebelschwaden und hartem Gegenlicht ab." Wenn Olaf Altmanns Bühnenbild-Wand, die die Spielfläche vom Publikum trennt, nach dem Prolog umstürzt, "ist das ein martialisches szenisches Ausrufezeichen: Wir betreten gefährliches Gelände. Rumms!" Hugo erschießt Hoederer am Ende aus Eifersucht, weshalb ihn die Partei, logisch, dann ebenfalls erschießen muss. "Wenn das dämlich klingt, könnte es daran liegen, dass es dämlich ist. Die Inszenierung bringt das Kunststück fertig, das ernst zu nehmen."

"Außer der Wand fällt nichts, nicht der Maßstab und erst recht nicht der Abend. Im Gegenteil", so Sophie Klieeisen in der Berliner Morpenpost (29.1.2024). Koleznik und ihr durchweg fulminantes Ensemble bringen dieses fast 80 Jahre alte Diskursstück derart Nagel-auf-Kopf auf die Bühne, "dass einem Hören und Sehen verginge, wären Ohren und Augen, Herz und Hirn nicht weit geöffnet." In den Disputen leuchten Sartres Psychogramme und moralische Perversionen wie grelle Blitze über die Drehbühne. Fazit: "Der Abend ist noch klüger als sein Text: Unschuldig ist nur, wer nicht handelt, niemand."

"Ein Regisseur müsste die Transparenz des Stücks ins Heute offenlegen, müsste es mit Gegenwart anfüllen. Koleznik aber tut das Gegenteil: Sie zieht es zusammen, klebt am Text und macht ein dunkles Kammerspiel für gehetzte Eckensteher daraus", schreibt Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (online 27.1.2024). Dunkel, verstohlen und ausgesperrt aus dem eigentlichen Zentrum der Öffentlichkeit, versetzt in einen schmalen Hinterbereich der Konspiration, bleibe es eineinhalb Stunden lang. "Am Ende wieder viel Getöse, ohne Widerhall."

Von "Themen, an die sich heute durchaus anknüpfen ließe", berichtete Christine Wahl im Tagesspiegel (online 27.1.24, €). Leider aber "bleibt der Sartre’sche Cast – seinem optischen Zeitlos-Look zum Trotz – konzeptionell arg von gestern" und der Abend so "ein randständiger kleiner Politschocker" der antiquierten Sorte.

Solle man "den immer noch starken Sartre-Text vordergründig aktualisieren?" fragt Gunnar Decker im nd (30.1.2024) und beantwortet seine Frage so: "Mir scheint es ein Vorzug, dass dies Koležnik in ihrer Inszenierung ganz bewusst nicht unternimmt. So kann man sich als Zuschauer mit Schaudern der Tatsache überlassen, dass Lügen und Verrat schon immer zur Politik gehörten – und Intellektuelle gut daran tun, zu dieser auf Abstand zu gehen, wenn sie ihre Worte nicht entwerten wollen."

Kommentare  
Die schmutzigen Hände, Berlin: Unentschlossen
Die slowenische Regisseurin Mateja Koležnik hat wieder tief in die zweite oder dritte Reihe im Regal der kanonischen Stücke gegriffen und ein Stück hervorgeholt, in dem sich Politisches und Privates kammerspielartig verknäueln. Wie schon in ihrer Bochumer Inszenierung von Maxim Gorkis „Kinder der Sonne“, die 2023 zum Theatertreffen eingeladen war, lässt Koležnik die Figuren in einer Halbdistanz.

Überraschend an dem Abend ist die Ästhetik: statt ihres Stammbühnen-Bildners Raimund Orfeo Voigt, der auch in Bochum den verwinkelten Flur anlegte, in dem die Gorki-Figuren auf engstem Raum ihre Seelennöte besprachen, setzt sie diesmal auf zwei Weggefährten Michael Thalheimers, deren Handschrift dem Berliner Publikum bestens vertraut ist: Olaf Altmann hat einen seiner wuchtig-kantigen Räume auf die Bühne gestellt, der mit lautem Knall im ersten und letzten Bild herunterknallt und Zichners Hugo fast zu erschlagen droht. Bert Wredes unverkennbar wummernder Sound droht das Geschehen auf der Bühne ebenfalls zu erdrücken.

Es wird nicht klar, was Koležnik an dem von Eva Groepler neu übersetzten Sartre-Stück interessiert: unentschlossen bleibt der knapp 90minütige Abend zwischen historischem Ideendrama und privatem Eifersuchtsmelodram. Matt schleppt sich der Abend dahin, begleitet von der wummernden und erdrückenden Sound- und Bühnenbildkulisse.

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/01/27/die-schmutzigen-haende-berliner-ensemble-kritik/
Die schmutzigen Hände, Berlin: Pur
Ja, eine Inszenierung ohne Auffälligkeiten, verständlich, zügig und den Schauspielern gelegenheitgebend, ihre Fähigkeiten zu zeigen … sicherlich nicht „bemerkenswert“ … das Stück wird immer wieder gespielt, zuletzt in Frankfurt in der Regie von Lilja Rupprecht, dort war alles grell, mit merkwürdigen Kopfmasken, sehr unter Druck, dem Vorwurf entgehen zu müssen, keine „Phantasie“ entwickelt zu haben; in Berlin jetzt eher pur … unentschlossen? mais qui …
Schmutzige Hände, Berlin: Unbedingte Empfehlung
Wie schön, dass die Kritikenrundschau sich so uneins ist. Ich habe den Premierenabend als schauspielerisch brillant und ästhetisch stimmig empfunden. Über das Stück kann man streiten (siehe FAZ vs. SZ oben: Lob und Spott fürs Ernstnehmen des Texts direkt nebeneinander), ich bin in jeder Inszenierung des Stoffs wieder begeistert davon, wie Sartre spannende Handlung und politische Philosophie verwebt. Daher: Unbedingte Empfehlung des Abends!
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