Weiter wachsen oder sterben

28. Januar 2024. Der kleine Bauernhof ist Geschichte. Wer heute Landwirtschaft betreibt, benötigt viele Felder und Äcker, um profitabel zu bleiben. Doch diese Konzentration der Flächen führt zu Problemen, nicht nur für die Landwirt:innen. Helge Schmidt präsentiert eine wichtige Recherche zum Handel mit Argrarland.

Von Simone Kaempf

"Wem gehört das Land?" von Helge Schmidt und Team am TD Berlin © Fabian Raabe

28. Januar 2024. Die Proteste der Bauern haben es einem jüngst vor Augen geführt. Als so viele Landwirte mit ihren Traktoren und Anhängern etwa nach Berlin kamen, dass sie schon am Tempelhofer Feld in Schlange standen; Kilometer vom eigentlichen Protest-Ort am Brandenburger Tor entfernt. Begleitet von einer Diskussion, in der es längst nicht nur um Agrardiesel, sondern um eine existenzbedrohende Situation geht. Um einen umfassenden Wandel, in dem ein Hof mit 20 Milchkühen oder 20 Hektar nicht mehr konkurrenzfähig ist – auch wenn das immer noch unser Bild von Landwirtschaft prägt.

Lange vor den Protesten, die ja noch andauern, haben Helge Schmidt und sein Team den Handel mit Agrarflächen nachrecherchiert und jetzt zum Thema ihres neuen investigativ- journalistischen Theaterabends gemacht. Kein Zufall, dass die Probleme derzeit von allen Seiten in die Öffentlichkeit gebracht werden. Denn es schwelt etwas. Die Herausforderungen sind riesig, die Landwirtschaft ökologisch umzubauen, während andererseits Großunternehmen riesige Flächen aufkaufen. Dieses Land Grabbing ist ein weltweites Problem, das den globalen Süden ebenso betrifft wie Landwirte aus allen Teilen Deutschlands.

Monopoly mit Ackerlächen

"Wem gehört das Land?" erzählt tatsächlich ein wenig davon, wer hier und heute Ackerflächen in Besitz hält. Die Familienstiftung des Aldi-Erben Theo Albrecht junior zum Beispiel, die in den vergangenen Jahren in Ostdeutschland große Flächen aufgekauft hat. Oder der Agrarkonzern Lindhorst, der in Niedersachsen einen 250 Hektar großen Solarpark auf landwirtschaftlicher Fläche plant. Beispiele, anhand derer der Abend mit viel Faktenreichtum, Interview-Ausschnitten und Erzählungen den eigentlichen Kern umkreist: die gewachsenen Begehrlichkeiten um jeden Hektar, auf dem man eben nicht gleichzeitig Nahrung anbauen, nachwachsende Rohstoffe herstellen, Solarenergie erzeugen oder biodiverse Naturschutzgebiete errichten kann.

Erneuerbare Energien sind dem Agraranbau zur Konkurrenz geworden. Das ist eine der vielen kleinen bitteren Wahrheiten des Abends, die nicht anklägerisch, sondern mit melancholischer Ernsthaftigkeit erzählt werden. Und auch mit Willen, die Ärmel hochzukrempeln, anzupacken und zumindest auf der Bühne ein wenig den Mist wegzuschaufeln.

Das Trio ackert sich durch den Abend: Günter Schaupp, Jonas Anders, Ruth Marie Kröger © Fabian Raabe

Das Perfomer:innen-Trio Ruth Marie Kröger, Jonas Anders und Günter Schaupp hat in fast allen Arbeiten von Helge Schmidt mitgewirkt, man kennt sie aus Cum-Ex Papers, von ihm 2018 auf Basis der Correctiv-Recherche inszeniert, die den Steuerraub aufdeckte. Einen solchen konkreten Skandal liefert "Wem gehört das Land?" nicht, dafür viele Puzzleteile einer ungeheuerlichen Entwicklung, der die Politik nichts entgegenzusetzen schafft. Und so singen die drei zum Auftakt am Klavier in harmonischen Akkorden Sätze, die aus der bayerischen Verfassung stammen: "Die Verteilung und Nutzung des Bodens wird von Staats wegen überwacht". Genau dies geschieht aber nicht, auch davon erzählt der Abend collagenhaft mit Video-Interviews, Musikeinlagen oder kleinen Spielszenen. Playmobil-Bauernhof-Ambiente kommt mit Experten-Wissen zusammen, alles auf Video-Leinwände vergrößert, kurzweilig und absolut überzeugend vereint. 70 Minuten, in denen das ganze Ausmaß des weltweiten Lang Grabbing deutlich wird.

Nur die Großen gewinnen

Der Begriff meint den Aufkauf großer Flächen durch internationale Konzerne oder Konsortien. Den Menschen vor Ort wird der Boden mehr oder minder entzogen. In Video-Einblendungen erklären Expert:innen die Entwicklungen. Für die Agrarökonomin Insa Flachsbarth vom German Institute for Global and Area Studies (GIGA) ist der ungezügelte Flächen-Aufkauf eine moderne Form der Kolonialisierung, wenn die ländlichen Kommunen ihr Land erst verlieren und im zweiten Schritt nichts von der neuen Bewirtschaftung haben. Und immer wieder kommt in den Videos auch Andreas Tietz vom Bundesforschungsinstitut für ländliche Räume zu Wort, der klarmacht, wie wörtlich eng es wird, alles auf den knapp werdenen Flächen zusammenzubringen: Klimawandel, der Bau von Solarparks, Intensiv-Landwirtschaft bei gleichzeitigem Wunsch nach Bio-Produkten und Naturschutz. Mit der Konsequenz: das Land wird teurer, die Großen werden größer, die Kleinen geben auf.

Spiel mit dem Playmobil-Bauernhof © Fabian Raabe

Kühe, Hühner, den Bauer mit der Harke vor seinem Hof – all das gibt es noch in der Playmobil-Landschaft, die auf der Hälfte des Abends per Video-Kamera auf der Leinwand vergrößert wird. Idealbild einer urbanen Hipster-Community, die es aufs Land zieht. "Was suchen die hier", lästert denn auch Günter Schaupp und macht es sich breitbeinig im Liegestuhl bequem. Natur und Ursprüngliches? "In den Dörfern wird es gerade abgeschafft", heißt es denn auch weiter.

Einfach so passiert

Ja, aus der Illusion einer von Kleinbauern geprägten Idylle, wie man sie aus der Kindheit vor Augen hat, holt einen der Abend voll in der Realität. Und schafft dabei noch einiges an Unterhaltungswert im Stile des eigenwilligen Strukturwandel-Romans "Mittagsstunde" von Dörte Hansen. Dann fällt nämlich die Video-Leinwand, hinter der sich ein Gewächshaus verbirgt, oder ist es doch ein Viehstall, und im breiten Norddeutsch wird erzählt, wie es eben so kam mit dem Strukturwandel, mit Krediten für einen neuen Stall und hochmoderne Melkanlangen, mit gebändigter Natur, graderen Flüssen, größeren Äckern. "Es stand kein böser Plan dahinter, keine tückische geheimnisvolle Macht. Es war der Lauf der Dinge", heißt es dann.

Ein Wirtschaftskrimi entsteht nicht, aber mit kriminalistischem Gespür fügen Helge Schmidt und die Perfomer:innen die Details einer monströsen Entwicklung zusammen. Und sie beherrschen es bestens, das Thema auf die Bühne zu bringen. Nicht als großen Clou wie zuletzt Correctiv mit Das Kraftwerk und Geheimplan gegen Deutschland, aber als kleines feines Recherche-Stück.

 

Wem gehört das Land?
Recherche zum bodenlosen Handel mit Ackerflächen von Helge Schmidt und Team
Regie: Helge Schmidt, Bühne: Martina Mahlknecht, Kostüme: Sina Brüggemann, Video: Jonas Link, Lichtdesign: Sönke C. Herm, Musik: Frieder Hepting, Produktionsleitung: Kaja Jakstat, Künstlerische Mitarbeit: Judith Weßbecher.
Mit: Ruth Marie Kröger, Jonas Anders, Günter Schaupp.
Premiere am 27. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

td.berlin
www.lichthof-theater.de

Kritikenrundschau

Vieles bleibe an diesem Abend "sehr abstrakt" und wirke "sprunghaft", schreibt Patrick Wildermann im Tagesspiegel (29.1.24). Die Performer arbeiteten sich zwar "wacker" durch die agrarökonomischen Problemlagen, könnten die Sachlage aber "auch nicht immer nachvollziehbar machen", findet der Kritiker. "Fast am eindrücklichsten ist ein Moment, in dem es darum geht, dass wir den Bezug zu dem Boden verloren haben, auf dem wir uns bewegen (…). Wir leben, im wahrsten Sinne, bodenlos. 

"Schmidt und Co. haben breit und tief recherchiert, dann extrahiert. Und so wird in kompakten 70 Minuten, in denen das Zuschauerhirn jede Sekunde gefordert ist, die Landfrage von denkbar vielen Seiten angegangen", so Katja Kollmann in der taz (29.1.2024). "Eine extrem gute Dramaturgie (die im Besetzungszettel gar nicht aufgeführt ist!) macht aus den unterschiedlichen Meinungen, Ansätzen, Ideen und Fragen eine spannende Collage." An die protestierenden Bauern in Berlins Mitte denke man an dem Abend. "Dieses nachdenkliche Stück Aufklärungstheater verurteilt die Landwirte auch beim Rückblick auf die Entwicklung hin zur industriellen Landwirtschaft nicht."

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