Cum-Ex Papers - Helge Schmidt präsentiert am Lichthof Theater Hamburg eine Recherche zum entfesselten Finanzwesen
Der ganz große Coup
von Katrin Ullmann
Hamburg, 25. Oktober 2018. Es wirkt wie die Geschichte einer Verführung. Einer hat sich zum falschen Zeitpunkt dem falschen Menschen zugewandt. Ein Pakt mit dem Teufel, ein faustischer womöglich. Aber nein, "Cum-Ex Papers" ist keine Goethe'sche Dichtung. Und Benjamin Frey, jener erste Kronzeuge im Fall um den Finanzbetrug, ist kein Faust. Seine Geschichte ist skrupellose Realität, Teil des größten Steuerraubs in Europa, verursacht durch die trickreichen Cum-Ex- und Cum-Cum-Geschäfte.
Erst vergangene Woche, am 18. Oktober 2018, hatte das Recherchezentrum Correctiv auf Basis jahrelanger Arbeit von 40 Journalisten in 19 Medien diesen Diebstahl öffentlich gemacht. Regisseur Helge Schmidt war in die Recherchen eingeweiht, erhielt exklusiven Zugang zu den Aussagen des Whistleblowers. Entsprechend wurde seine ursprünglich zur Spielzeiteröffnung geplante Premiere auf Ende Oktober verschoben.
Rasante Karriere
Schmidt will mit seinen Arbeiten gesellschaftlich Stellung beziehen. 2017 war das in seinem Erlanger "Weltverbesserungstheater" zu erleben, als er das Thema Nachhaltigkeit anging. Auf der Bühne des Lichthof Theaters erzählt Schmidt nun von der Unmoral jenes Kronzeugen Frey. Den roten Faden der Geschichte bildet das achtstündige Interview, das die Journalisten Oliver Schröm und Christian Salewski mit dem Insider fürs Fernsehen geführt haben. Es ist die Geschichte eines ehrgeizigen Jungen vom Land, der weder Bauer werden wollte noch arbeitslos. Sondern Jura studierte, ein exzellentes Examen ablegte, anschließend durch Testosteron getränkte Kanzlei-Empfänge schwebte, eine Turbokarriere hinlegte und schließlich dem Finanzberater Hanno Berger begegnete. Mit ihm – Mentor, Verführer, Mephisto – arrangierte er jahrelang Cum-Ex-Geschäfte im ganz großen Stil.
In Schmidts Inszenierung spielt Jonas Anders zunächst jenen Kronzeugen. Mit ausufernden Gesten, freudiger Erregung und ordentlichem Pennäler-Scheitel erzählt er von dem unglaublichen Aufstieg in die schwindelerregenden Hochhäuser der Finanzwelt. Im Lauf des Abends übernehmen Günter Schaupp und auch mal Ruth Marie Kröger. Die Rollenwechsel funktionieren ganz und gar reibungslos. Schließlich ist das "Phänomen Frey" kein Einzelfall.
Die dunkelblauen Anzüge der drei Schauspieler sitzen perfekt (Ausstattung: Lani Tran-Duc und Anika Marquardt), das Gewinnerlachen gefriert ihnen nur hin und wieder zur entstellten Grimasse, die Gier jedoch blitzt ihnen dauernd durch die lebenserhaltenden Teflon-Visagen. Es sind fantastische Darsteller, mit denen Regisseur Helge Schmidt diesen Abend gestaltet. Sie spielen die eiskalten, Porsche-orientierten Banker genauso überzeugend wie drei sich diebisch freuende Panzerknacker mit Strumpfmasken. Sie zitieren und persiflieren "Den Paten", ziehen den Zuschauern wortwörtlich das Geld aus der Tasche, schwimmen in Unmengen von Glitzerflitter, gefallen sich in Gewinnerposen und fallen auch mal animalisch übereinander her. Und, beinah wie nebenbei erklären sie natürlich auch, wie Cum-Ex-Deals überhaupt funktionieren. "6 Wochen Proben, davon vier nur für diese zwei Minuten", kommentiert Ruth Marie Kröger die Szene.
Unterhaltsam und entlarvend
Es gelingt dem Team mit wenigen Mitteln – ein Jalousien-Rund als Bühne, Videoeinspielungen, Nachrichtenschnipsel, ein Sparschwein und eine Windmaschine – die komplexen, kriminellen Finanzgeschäfte als Theaterstoff zu erzählen. Seriös, skandalös, performativ, zynisch, unterhaltsam und entlarvend. Der Abend ist kein Wirtschaftskrimi und er erzählt auch nicht die Geschichte eines vom Teufel verführten Heinrich Faust. Vielmehr gibt er ausreichend authentische Einblicke in eine perverse Parallelgesellschaft – schrecklich tagesaktuell. Dieser Abend zwischen Dokumentation und Fiktion, Hard Facts und Unterhaltung ist fast zu schön, ästhetisch fast zu gelungen für diese skrupellosen, von Geld und Gier getriebenen Verbrechen.
Cum-Ex Papers
Regie: Helge Schmidt, Choreographie: Jonas Woltemate, Recherche und Text: Franziska Bulban und Alexandra Rojkov, Ausstattung: LANIKA (Lani Tran-Duc und Anika Marquardt), Video: Johanna Seitz, Musik: Frieder Hepting, Licht: Sönke C. Herm, Produktionsleitung: Zwei Eulen, Produktionsassistenz: Laura Uhlig.
Von und mit: Ruth Marie Kröger, Jonas Anders und Günter Schaupp.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause
www.lichthof-theater.de
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In den besten Momenten des 90 Minuten kurzen Abends lässt Schmidt die Protagonisten selbst sprechen. In kurzen „Panorama“-Ausschnitten, die kurz vor der Premiere gesendet wurden, geben die Protagonisten Auskunft über ihre Motive. Die spannendste Figur in diesem Wirtschaftskrimi ist Hanno Berger, der die Seiten wechselte.
Den „Cum-Ex Papers“ ist aber an manchen Stellen zu deutlich der Wille anzumerken, das Publikum bloß nicht mit der trockenen, hochkomplizierten Materie zu überfordern oder abzuschrecken. Ein paar Mal zu oft wälzen sich die drei Protagonist*innen in den Lametta- und Konfetti-Schnipseln der ergaunerten Beute, etwas zu klischeehaft performen sie die Gier der porschefahrenden Investment-Banker und Finanz-Strategen.
Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2020/04/24/cum-ex-papers-lichthof-theater-hamburg-kritik/