Zu der Zeit der Königinmutter - Deutsches Theater Berlin
Im Streik gegen die Wirklichkeit
von Michael Wolf
Berlin, 8. Dezember 2019. Kommt ein Cowboy in einen Saloon. So beginnen Witze, so beginnt dieser Abend. Mit Hut und Trenchcoat betritt Harald Baumgartner die New Jersey Bar, verlangt ein Bier und beschwert sich, es schmecke wie Urin. Keine Pointe. In dieser kurzen Szene ist bereits die Poetik des Stücks enthalten.
Geschichten von der goldenen Zeit
Es könnte ein Witz sein, doch für einen solchen fehlt der Szene die Auflösung. Ein Witz stellt zunächst Regeln auf, die wir nicht kennen. Mit der Pointe entweicht der Druck, lachend drücken wir unsere Erleichterung aus, diesen kleinen Ausflug in das Absurde überstanden zu haben, und nun zurückkehren zu können in die Wirklichkeit.
Fiston Mwanza Mujilas "Zu der Zeit der Königinmutter" hingegen entlässt den Leser oder Zuhörer nicht. Der Text gibt keine Auflösung, ermöglicht keine Erleichterung. Im Gegenteil. Mit dem Auftritt des Cowboys, des "Neuen", wie er im Text heißt, fürchten sie den Einbruch des Realen und widersetzen sich ihm, suchen ihr Heil im Spinnen und steten Weiterspinnen ihrer Geschichten. Sie bestreiken die Wirklichkeit. Kämen sie zu einem Ende, wären sie selbst am Ende, mit der Pointe müssten sie zu Staub verfallen.
Sie: Das sind ein paar Übriggebliebene, Männer und Frauen, die in der Jersey Bar herumlungern, Karten spielen und von früher erzählen, von der goldenen Zeit, als die Frauen "leuchteten vor Schönheit" und die Männer "brannten vor Ritterlichkeit". Sie erzählen von Solo, dem Jungen, der aus Ton geschaffen war und eines Tages im Regen zerfloss. Sie erzählen von Jakob, der in Europa den Verstand verlor und sich in eine Schlange verwandelte, die meuchelnd über den Kontinent zog. Sie erzählen von Metamorphosen, vom Zwischen als Chance, nicht zu erstarren, nicht festgelegt zu werden. Nur so können sie Herren der eigenen Geschichten bleiben.
Bordell oder Gemach?
Darin steckt auch eine rebellische Geste, ein Widerstand gegen das drohende Schicksal als Objekt der anderen, der Aggressoren, vielleicht auch gegen einen europäischen Blick, der die Welt ins Auge gefasst hat, sie dort festhält und bis heute nicht freigeben will. Der Autor Fiston Mwanza Mujila ist 1981 im Kongo geboren, seit einigen Jahren unterrichtet er Afrikanische Literatur in Graz. "Zu der Zeit der Königinmutter" ist sein erstes Stück in deutscher Sprache. Philipp Hauß' Uraufführung am Wiener Burgtheater fiel bei großen Teilen der Kritik durch. Nun bringt Charlotte Sprenger den Stoff in die Box des Deutschen Theaters.
Zum Glück vermeidet sie dabei eine Übertragung in allzu naheliegende Settings, was den zarten Text nur in Bedrängnis brächte. Die New Jersey Bar ist hier keine Bar und erst recht keine im Kongo. Was Ausstatterin Aleksandra Pavlović auf die enge Bühne gezwängt hat, könnte ein Bordell oder auch das Gemach der Königinmutter sein. Gemusterte Wände, an der Rückseite ein blauer Vorhang, in der Mitte eine Toilettenschüssel, die Niklas Wetzel mit Hingabe poliert; rechts kuschelt sich Franziska Machens in Spitzendecken. Sie trägt rote Hotpants und ein T-Shirt mit dem Aufrduck "Breakfast Club". Wenn sie sich von ihrer Lagerstätte aufsetzt und die monströse Sonnenbrille hochschiebt, wirkt sie wie ein Teenager kurz vor der Pubertät: zufrieden darüber, dass die Welt ihr bislang noch nicht zu nahe gerückt ist.
Musikalische Gedankensprünge
Machens, Wetzel, Baumgartners Cowboy sowie Kara Schröder und Caner Sunar (beide in roten Abendkleidern) teilen sich den Text, springen in ihm umher – und fallen dabei immer wieder in Spannungslöcher. Die Schauspieler agieren wie überzeichnete Figuren, aber ohne dass zu erkennen wäre, was da eigentlich überzeichnet wurde. Das ist sicher auch der Vorlage geschuldet, deren Reiz gerade darin besteht, vor ihrer eigenen Konkretisierung davonzulaufen. Sprenger müsste sie einfangen und in Form bringen. Eine musikalische Interpretation läge nahe, trägt der Text sich selbst doch durch seinen Rhythmus fort. Schwer verständlich, warum sie nicht auf diese Stärke baut. Statt auf den Klang der hochartifiziellen Sprache zu vertrauen, baut sie neue Lieder ein.
Caner Sunar gibt eine Drag-Variante von "Sag mir wo die Blumen sind", Franziska Machens singt einen Popsong über die Unfähigkeit bei Depressionen das Bett zu verlassen, und Niklas Wetzel probiert sowohl ein Rap- als auch ein Rülps-Solo. Wenig zwingend sind diese Assoziationen, vor allem aber sind es nur Assoziationen. Gedankensprünge weist der Text ohnehin schon in Fülle auf, es scheint kaum nötig, ihm noch weitere hinzufügen. Statt weiteren Stoff anzuhäufen, müsste das Vorhandene eher entflochten werden. Es bleibt also abzuwarten, ob sich der Text noch als Bühnenstück bewährt. Bis dahin sei Mwanza Mujilas Debütroman "Tram 83" empfohlen.
Zu der Zeit der Königinmutter
von Fiston Mwanza Mujila
Regie: Charlotte Sprenger; Bühne/Kostüme: Aleksandra Pavlović; Musik: Jonas Landerschier; Live-Musik: Jonas Landerschier, Philipp Haagen; Licht: Peter Grahn; Dramaturgie: Franziska Trinkaus.
Mit: Harald Baumgartner, Franziska Machens, Kara Schröder, Caner Sunar, Niklas Wetzel.
Premiere am 8. Dezember 2019
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.deutschestheater.de
Kritikenrundschau
Das Besondere an dem Text sei der Rhythmus. "Es ist eine unglaublich musikalische Sprache und eine flirrende, ganz fiebrige Sprache, die immer an den Abgrund drängt", so Barbara Behrendt im RBB (9.12.2019). Auf der Bühne distanziere man sich soweit wie möglich von diesem Stil. Der Inszenierung fehle es grundlegend an Rhythmusgefühl, an Gefühl für die Musikalität des Textes. Der hochartifizielle Kunstraum auf der Bühne presse jedes Leben aus ihm heraus.
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Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2019/12/08/zu-der-zeit-der-koeniginmutter-deutsches-theater-berlin-kritik/
Was ich allerdings lese: Menschen, die schon vorher wussten, was mit dem Text zu tun sei, und das nicht serviert bekamen. Merkwürdige Herangehensweise, mindestens.
Aber was wissen schon Theaterbesucher, die nicht aus der Hauptstadt kommen, nicht wahr?
(Danke für den Hinweis, die Kritik steht leider nicht online, aber wir fragen sie an. d. Red.)