Boing, boing, boing!

8. Januar 2023. Die neue Produktion des Performance-Kollektivs Showcase Beat Le Mot möchte uns mit dem Wahnsinn konfrontieren, dass es auf dieser Welt inzwischen mehr menschengemachte Dinge als Lebewesen gibt, die ihre Existenz der Schöpfung verdanken und lässt Dinge aus dem Schnürboden regnen.

Von Sarah Kailuweit

"1000 Things Falling" von Showcase Beat Le Mot © Dorothea Tuch

8. Januar 2023. Hallende Treppenschritte: Da klettert wer hoch auf den Schnürboden des Berliner HAU. Der erste Gegenstand fällt auf die Bühne und das blendende Licht von sechs Neonröhren strahlt. Dann gleitet eine Feder durch die Luft, eine Maracuja zieht schnurstracks nach. Die neonblau leuchtende digitale Anzeige über der Bühne zählt mit: drei Dinge auf dem Bühnenboden. Pause. Ein menschliches Skelett fällt, schlägt auf, bricht – die neonblauen Zahlen hecheln hinterher.

Die Idee der neuesten Produktion des Performance-Kollektivs Showcase Beat Le Mot ist denkbar einfach: Objekte fallen aus dem Schnürboden des Theaters auf die Bühne. Wenn das 1000. Objekt auf den Brettern angekommen ist, ist das Stück zu Ende. Der Abend will mit der Ausstellung des ganzen Zeugs, das uns so selbstverständlich jeden Tag umgibt, auch junges Publikum ansprechen. Und tatsächlich mischen sich unter das gewöhnliche HAU-Premierenpublikum ein paar Familien mit Nachwuchs. Auch die lachen, wenn an diesem Abend mal wieder etwas Unerwartetes durch den Bühnenraum segelt und schließlich aufprallt.

Elaborierte Fadenspiele

Es ist eine ausgesprochen hübsche Performance – eben, weil sie sich nicht um ihre Einfachheit schert, sondern eben nur die simple Schönheit, Dinge fallen zu sehen strahlen lässt. Die Bühne am Anfang des Abends scheint wie einer Konzeptprobe entrissen: hinten steht eine im Neonlicht metallisch-glänzende Leiter, dazu ein flacher Transportroller und andere tiefschwarze Behälter, die sonst vor allem hinter den Kulissen zu finden sind. Dazu stehen die Seitenwände des Bühnenraums offen und immer wieder laufen Bühnentechniker durch den Raum, um betont unaufgeregt dem Bühnengeschehen zu helfen.

Die braucht diese Produktion. Denn es wird im Laufe des Abends bühnentechnisch ausgepackt, was das HAU zu bieten hat: elaborierte Fadenspiele von oben, klamaukiges Durch-die-Gegend-fliegen-lassen von Dingen und Menschen, LED-Lichtshows, akustische Verstärkung vom Aufprallen der Gegenstände und ein wummernder Bass im Hintergrund. Manchmal kratzt diese Spielerei mit der Bühnentechnik an der Grenze zur Effekthascherei – zum Beispiel, wenn drei Akustikgitarren an dicken Gummischnüren vom Schnürboden fallen: boing, boing, boing … und sich schließlich in der Luft auspendeln. Warum das jetzt? Egal: macht Spaß zuzuschauen.

1000 Things Falling 03 805 Dorothea Tuch u© Dorothea Tuch

Die sechs Darstellenden machen sich mit und in dem Zeug, das langsam, aber sicher den Bühnenboden füllt, wundervoll lächerlich und sind dabei in ihrer Sprache und ihren Bewegungen bis zur Absurdität reduziert – als ob sie selbst vor allem Requisiten in diesem funky Spiel "für junge Klimaschützer:innen und Weltenverdreher:innen" seien. Aber ist das jetzt eine gelungene Kritik an einer Gesellschaft, die zu viel um den Besitz von Dingen kreist? Die Inszenierung scheint viel mehr eine Hommage an das Nicht-Existenzielle zu sein und feiert den Spaß an Gegenständen, an Spiel-Zeug.

Verspieltes Wimmelbild

Deswegen gleicht die Bühne irgendwann auch dem unaufgeräumten Zimmer eines Fünfjährigen: der Pumuckl fände es großartig. Man sieht Beat Le Mot während der 90-minütigen Aufführung viel beim Räumen zu. Das kann langatmig wirken, ergibt aber auch ein verspieltes Wimmelbild, das ständig verschoben und nach einer undurchschaubaren Logik neu sortiert wird. Verbissen könnte man nach dem sicher dahinterliegenden Sinn fragen – die Inszenierungsankündigung spricht schließlich auch von Quantenphysik und Materie, die flexibel und und dynamisch sein soll. Oder man freut sich einfach über das Teegeschirr, das Stück für Stück an der diagonal gespannten Seilschnur entlangsegelt, bevor es klirrend am Rollschrank zerbricht. Am Schluss nur noch die Frage: Wer räumt jetzt eigentlich die Bühne auf?

 

1000 Things Falling
von Showcase Beat Le Mot
Idee & Umsetzung: Showcase Beat Le Mot, Kostüm: Knut Klaßen, Marc Aschenberenner, Ausstattung: SCBLM, Knut Klaßen, Marc Aschenberenner, Şenol Şentürk, Künstlerische Mitarbeit: Florian Feigl, Christopher Felix Hahn, Sound: Melisa Su Taskiran, Technische Leitung: Joscha Eckert, Produktionsleitung: Olaf Nachtwey
Premiere am 7. Januar 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause 

www.hebbel-am-ufer.de

Kritikenrundschau

Im Grunde machten "die Dingforscher von Showcase Beat Le Mot seit 25 Jahren nichts anderes" als das, was sie in dieser Produktion auf den Punkt brächten, zeigt sich Doris Meierhenrich in der Berliner Zeitung (8.1.23) begeistert. "Radikaler als ihre Kollegen aus der Gießener Postdramatikerschule gehen sie bei der Materie selbst in die Lehre, erkunden ihre physikalischen, metaphysischen, gesellschaftlichen Geheimnisse und kombinieren dabei Installation und Spiel fantastisch neu", findet die Kritikerin. Worte würden dafür kaum gebraucht, "dafür aber das Denken angeregt wie sonst kaum wo."

"(D)as Bühnengeschehen ist erfrischend sinnlos und hat garantiert nichts zu bedeuten“, schreibt Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (28.2.2023). "Das hat etwas vom souveränen Gleichmut von Leuten, die niemandem mehr etwas beweisen wollen und einfach ungerührt ihr Ding machen, ganz egal, welche Katastrophen in der Welt außerhalb der Bühne gerade stattfinden. Showcase Beat Le Mot machen offenkundig Ernst mit einem Satz des Dadaisten Kurt Schwitters, 'Wir spielen, bis der Tod uns abholt', und das ist ja nicht das Schlechteste, was man über leicht versponnene Künstler sagen kann."

Kommentar schreiben