#MeToo im Führerhauptquartier

5. April 2024. Leni Riefenstahl bleibt eine Lieblingsfigur des Kulturbetriebs. Kaum irgendwo liegen Kunst und Verbrechen so nah beieinander wie in dieser Biographie. Autor Albert Ostermaier will in seinem neuen Stück nun an ein prominentes Opfer der Riefenstahl-Egomanie erinnern. In der Uraufführung von Frank Hoffmann geht es aber vor allem um sie. Und um Sex.

Von Michael Wolf

"STAHLTIER. Ein Exorzismus in memoriam Willy Zielke" am Berliner Renaissance Theater © Bohumil Kostohryz

5. April 2024. In einer 1982 ausgestrahlten Dokumentation schilderte die Regisseurin Nina Gladitz, wie Leni Riefenstahl für ihren Film "Tiefland" über hundert Sinti und Roma aus einem Konzentrationslager als Statisten zwangsverpflichtete. Viele von ihnen starben später in Auschwitz. Riefenstahl leugnete bis ins hohe Alter ihre Verstrickung in die NS-Verbrechen und verklagte alle, die etwas anderes behaupteten, darunter auch Gladitz. 

Aus dem Abspann gestrichen

Im Jahr 2021 brachte diese dann ein Buch mit dem Titel "Leni Riefenstahl – Karriere einer Täterin" heraus, das neue Vorwürfe bekanntmachte: Gladitz zufolge sei Riefenstahl nicht nur eine skrupellose Propagandistin gewesen, sondern auch keine ernstzunehmende Künstlerin. Denn die großen Bilder, die man mit ihr verbinde, stammten gar nicht von ihr. So wurde der berühmte Prolog ihres Olympia-Films von einem Mann namens Willy Zielke gedreht. Riefenstahl hat dafür gesorgt, dass sein Name weitgehend unbekannt blieb. Sie ließ ihn kurz nach der Premiere aus dem Abspann streichen und reklamierte noch Jahrzehnte später die Urheberschaft einiger seiner Fotografien für sich.

Glaubt man Gladitz, hat sie Zielke sogar in die Psychiatrie stecken lassen. Kurz nachdem er sein Filmmaterial für "Olympia" abgeliefert hatte, wurde er eingewiesen. Erst Jahre später ließ man ihn wieder frei, als Riefenstahl ihn dringend für die Arbeit an "Tiefland" benötigte. Der Dramatiker Albert Ostermaier lässt sich für sein neues Stück "Stahltier", benannt nach einem frühen Industriefilm Zielkes, von Gladitz' Recherchen anregen, doch interessiert er sich tatsächlich weniger für Riefenstahls Opfer als der Untertitel "Ein Exorzismus in memoriam Willy Zielke" nahelegt.

Immer schon Opfer

Denn Zielke kommt bei ihm kaum als das Kamera-Genie vor, das er gewesen sein mag. Er ist stattdessen immer schon Opfer, ein gebrochener Mann, der seine erzwungene Sterilisation und den Raub seines Werks beklagt, gegen Riefenstahl wütet und zunehmend wirr redet. Dialoge mit ihm und einer anderen Figur sind Mangelware. Ostermaier möchte offenbar nur an ihn erinnern, aber nicht wirklich von ihm erzählen. Das ist schade, denn so geht es einmal mehr um Riefenstahl, was doch eigentlich gerade nicht Sinn der Sache war.

STAHLTIER WolframKoch JacquelineMacaulay C BohumilKOSTOHRYZTanz am Abgrund: Wolfram Koch, Jacqueline Macaulay © Bohumil Kostohryz

Sie und Joseph Goebbels bestreiten das Gros der Szenen. Am Berliner Renaissance Theater, wo die Uraufführung als Koproduktion mit dem Théâtre National du Luxembourg in deutscher Erstaufführung läuft, übernehmen Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch diese Rollen. Regisseur Frank Hoffmann leitet sie mit ruhiger Hand durch den Abend. Ab und zu setzt er eine Idee ein, lässt sie zum Beispiel mit Perücken auftreten – ein Bild, das an Helmut Newtons Porträt von Riefenstahl erinnert. Vor allem aber geht es ihm darum, dem an Handlung eher armen Stück Dynamik abzutrotzen, was dank des engagierten Spiels von Macaulay und Koch auch gut gelingt.

Duett routinierter Intriganten

Als Goebbels und Riefenstahl belauern, drohen und reizen sie sich. Da treffen zwei routinierte Intriganten aufeinander, die ersichtlich Freude an ihren Machtspielen verspüren. Vielleicht sogar etwas zu viel. Denn nun, es ist schon etwas eigenartig, wie sich hier zwei nicht unwichtige Figuren der NS-Geschichte gegenüberstehen und die Basis ihrer Kommunikation über weite Strecken Sex ist. Ja genau, Riefenstahl und Goebbels flirten miteinander und das nicht besonders subtil. Sie bietet ihm an, sich auszuziehen ("Muss ich meine Brust entblößen, Sie zu überzeugen?"), während er sie, an ihre Vergangenheit als Schauspielerin in Bergsteiger-Filmen anspielend, als "Reichsgletscherspalte" bezeichnet.

Ist das jetzt #MeToo im Führerhauptquartier? Der Fokus auf die Beziehung zwischen dem Minister und der Regisseurin drängt die Figur Willy Zielke jedenfalls noch weiter ins Abseits. Er ist bald nur noch Spielball in einem rhetorischen Zweikampf. Warum die beiden überhaupt ständig von ihm reden sollten, selbst noch kurz vorm Untergang, als Goebbels bereits die Zyankali-Pillen sortiert, bleibt das Geheimnis des Autors.

Eine weitere Frage ergibt sich mit Blick auf das Videodesign von Sebastian Pircher. Er hat Ausschnitte aus Riefenstahls Werken, aber auch aus "Stahltier" von Zielke und weiteren filmischen Zeugnissen montiert. Die Projektionen des Materials machen etwas zu großen Eindruck, gerade inmitten des zurückgenommen psychologischen Settings. Warum, denkt man sich unweigerlich, wird diese Geschichte eigentlich auf einer Bühne verhandelt? Besser wäre sie im Kino aufgehoben.

STAHLTIER. Ein Exorzismus in memoriam Willy Zielke
von Albert Ostermaier
Uraufführung
Regie: Frank Hoffmann; Bühne: Christoph Rasche; Kostüme: Jasna Bosnjak; Musik: René Nuss; Dramaturgie: Florian Hirsch; Videodesign: Sebastian Pircher.
Mit: Jacqueline Macaulay, Wolfram Koch.
Premiere am 4. April 2024
Dauer: 1 Stunde 20 Minuten, keine Pause

www.renaissance-theater.de

 

Kritikenrundschau

In der Berliner Morgenpost (5.4.2024) lobt Peter Zander die Arbeit: "Ein starker, eindringlicher Abend, der mit wenigen Mitteln auskommt und doch ein Maximum an Assoziationen weckt. Und überhaupt auf diese grausame Geschichte aufmerksam macht. Eine späte Rehabilitierung eines zu Unrecht fast Vergessenen."

Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch "machen aus dem Theaterabend ein kurzweiliges, intensives Erlebnis. Kleine Details wie das beiläufige Zur-Seite-Sprechen werden zum Genuss. Das Duell der beiden Manipulatoren wird zum spannenden Machtkampf", schreibt Stefan Kunzmann im Luxemburger Tageblatt (16.3.2024) über die Uraufführung am Théâtre national Luxemburg.

"Eine Inszenierung, die inhaltlich, ästhetisch und schauspielerisch auf ganzer Linie überzeugt" sah Nora Schloesser vom Luxemburger Wort (16.3.2024). Hervorgehoben wird die filmische Arbeit. "Ein Highlight: Wenn die Schauspielenden selbst zur Kamera greifen und diese Aufnahmen live im Saal gezeigt werden." Fazit: "Dank der Multimedialität und der vollkommenen Nutzung des Saals erhält man das Gefühl, hautnah mit dabei zu sein. (...) Eine der ansehnlichsten Inszenierungen der bisherigen Saison."

"Im Renaissance-Theater teilen sich zwei hellwache Hochenergie-Schauspieler den Absturz in diese gequälten Träumereien: Jacqueline Macaulay und Wolfram Koch spielen sich mit schöner Leichtigkeit die Bälle und wechselnden Figuren zu, wenn sie gemeinsam zu Zielke werden oder sich den Irrsinn von Riefenstahl und Goebbels teilen", berichtet Peter Laudenbach in der Süddeutschen Zeitung (6.4.2024) über einen Abend in einer "etwas kunstgewerbehaften Regie".

Es "wird viel in Stanzen gesprochen, um zum Punkt zu kommen. Wobei Macaulay und Koch das Beste draus machen", berichtet Patrick Wildermann im Tagesspiegel (6.4.2024). Regisseur Frank Hoffmann sei "bemüht, Leben und Bewegung in ein Stück zu bringen, das gerne von der Korrumpierbarkeit der Kunst durch Macht erzählen möchte – aber letztlich seinen eigentlichen Gegenstand aus den Augen verliert."

"Expressiv und leidenschaftlich beschwörend ist dieser 'Exorzismus' eine scharfsinnige Reflexion über die Position des deutschen Films im Dritten Reich", schreibt Irene Bazinger in der FAZ (8.4.2024). "Albert Ostermaiers poetische Vergangenheitsbewältigung ist ein ästhetisches Experiment, das konzeptuell wie in der Regie von Frank Hoffmann auch theatralisch überzeugt." Dem Regisseur gelinge "eine souverän verdichtete, berührend erzählte Aufführung".

 

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