Penthesilea - Luk Perceval zeigt Kleist als archaisches Klangstück
Wo Sprache tropft, da lass dich nieder
von Petra Kohse
Berlin, 21. Februar 2008. Kleist zeigt Schlimmeres als einen Alptraum. Er zeigt, wie der Augenblick der Hingabe, der dem Begehren folgt, als Vernichtung ausgelebt wird: Vernichtung des Begehrens und Vernichtung des Begehrten. Er zeigt den blinden Fleck in der Seele der Frau und Königin. Und wie dieser sie nicht nur beherrscht, sondern auch verschlingt. "Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder, / Gleich einem Schacht, und grabe, kalt wie Erz / Mir ein vernichtendes Gefühl hervor...".
Penthesilea sucht Achill, und Achill sucht Penthesilea. Sie treffen sich auf dem Schlachtfeld, wo er sich ihr als Mann ergibt, als Feldherr aber siegreich ist. Sich verbinden zu müssen, um ganz zu werden, was sie will, hält die Amazonenkönigin nicht aus. Sie flieht in Wahn, Blutrausch und den eigenen Tod.
Schon bei Kleist gibt es diesen klinischen Aspekt, wenn sich das Geschehen weniger vollzieht, als dass Vollzug bloß immerzu geschildert wird. Und diesen reißerischen Charakter durch das Dauerentsetztsein der atemlosen Berichterstatter, die die Schatten des Berichteten übergroß an die Wand werfen.
Heute nennt man es Angst vor Nähe
Luk Perceval sattelt auf beides auf, wenn er "Penthesilea" in der Schaubühne jetzt als archaisch bebildertes Hörstück in einer geschlossenen Anstalt vorführt. Mit Darstellern, deren Haare, Gesichter und Körper kalkweiß geschlammt sind und deren Augen und Münder in einem entzündlichen Rot glühen, als hätten sie seit Jahren keine Sonne mehr gesehen. Die mit nackten Beinen in schlabbrigen Männernachthemden (Amazonen) oder mit nackten Oberkörpern in schlabbrigen Hosen (Griechen) und allesamt in schwarzen Arbeitsschuhen stecken.
Für den Regisseur indessen scheint der Alptraum schon das höchste Ziel zu sein. Denn obwohl der (nicht nur) weibliche Double-Bind des Nicht-mit-mir-und-nicht-ohne-dich (auch bekannt als: Angst vor Nähe) in den zweihundert Jahren seit Entstehung des Stückes durchaus gründlich analysiert und trivialisiert worden ist (Tod des Märchenprinzen!), will Perceval trotzdem bloß darüber raunen, als handle es sich dabei nicht um sich gegenseitig blockierende Projektionen, sondern um einen gewissermaßen naturhaften Sündenfall.
Der Sound des Schicksals
In der Mitte der runden Bühne hat Annette Kurz ein riesiges Bündel von Holzstäben aufgestellt, vielleicht viermal so hoch wie die Darsteller und oben von einem Metallgeviert zusammengehalten. Zu Beginn verdrehen die Griechen die Hölzer wie Mikadostäbe, so dass man ab jetzt auf ihren Fall wartet, der am Ende auch erfolgt. Bis dahin wirft das Bündel den Schatten einer Sanduhr an das Rund der Betonrückwand, und das Licht wandert von links nach rechts.
Die Schicksalszeit also läuft, und der Experimentalmusiker Jean-Paul Bourelly steht mit seinen E-Gitarren vor einem Verstärker rechts am Rand und klopft und bürstet Herzschlagrhythmen auf die Saiten, instrumentiert die ganz große Angst und Zerstörung oder improvisiert zu leiseren Stimmungen.
Immer im Kreis herum
Das symbolische Arrangement und der Klang. Das Bühnenrund wird von herabhängenden Mikrofonen markiert, in die die Griechen so demütig Bericht erstatten, als hätten sie dabei direkten Kontakt nach ganz, ganz oben. Sie flüstern und hauchen, lassen keine Silbe auf den Boden fallen, sondern schicken alles sorgfältig in die Richtung einer so drohenden wie offenbar tröstlichen Außenwelt. Dann wieder schlurfen sie in geisterhafter Blässe vor der Betonwand entlang oder ziehen im Dauerlauf Kreise.
Dass Katharina Schüttler als Penthesilea die Mikrofone in Schwingung versetzt, einfach draufhaut beim Vorbeirennen, ist die größtmögliche Provokation in diesem System und wird mit Unterwerfung geahndet. Und die Unterwerfung mit verzweifelter Rache. Was hier heißt: mit dem Bericht von verzweifelter Rache.
Bettina Stucky, Christina Geiße und Carola Regnier als die weiteren Amazonen, Rafael Stachowiak als Achill und seine Kampfgenossen performen ein Hör- und Schattenspiel. Einer lässt Sprache tropfen und die anderen stehen starr und stumm. Penthesilea, die entsetzte Entsetzliche, ist bei Schüttler eine hölzerne Halbwüchsige im Hemd, Stachowiaks Achill der Liebessieggewisse, ein sportlich-lässiger Kumpel von nebenan.
Bloß Ungesagtes statt Unsagbarem
Es herrscht hier in mehrfacher Hinsicht eine Dramaturgie der Leerstellen, die aufs Unsagbare zielt, aber im Ungesagten verharrt. Nicht, dass diese Hörspielästhetik nicht immer wieder konzentrierte Momente hervorbringen würde. Dann aber bewegen sich die kalkigen Darsteller plötzlich und stauben dabei albern oder posieren gruftig, als wäre es fürs Gothical oder die Geisterbahn.
Am Ende stürzen die Riesenmikados auf die Erde und bilden die Trümmer von etwas, das hätte entstehen können, derweil Katharina Schüttler immer wieder "Denn jetzt steig ich in meinen Busen nieder..." vor sich hinsagt und den Haufen umkreist. Kein Tod, sondern bloß die Hölle der Zwangshandlung, das zumindest ist realistisch, allerdings auch pathologisiert und dadurch endgültig dem Unbegreifbaren zugeordnet.
Penthesilea
von Heinrich von Kleist
in einer Fassung von Luk Perceval und Maja Zade
Regie: Luk Perceval, Bühne: Annette Kurz, Kostüme: Ursula Renzenbrink, Musik: Jean-Paul Bourelly. Mit: Christina Geiße, Manuel Harder, Ulrich Hoppe, Michael Rastl, Heiko Raulin, Carola Regnier, Katharina Schüttler, Rafael Stachowiak, Bettina Stucky.
www.schaubühne.de
Mehr zu Luk Perceval: Molière. Eine Passion – Luk Percevals Theatermarathon, Salzburg 30.7.2007. Luk Perceval wird Chefregisseur am Thalia Theater Hamburg, Meldung 8.11.2007.; www.lukperceval.info
Kritikenrundschau
"Dieses Theater kommt einem erstickend nahe. Es ist intensiv. Aber im Großen und Ganzen ist es doch Folter." schreibt Matthias Heine (Welt, 23.2.). Denn Perceval mache mit dem Stück das, was Penthesilea mit Achill macht: "Er zerfleischt das Stück. Und er spuckt die Fetzen in eine große Suppe, die mehr mit einem Ritual zu tun hat als mit einer konventionellen Aufführung des Dramentextes." Perceval und Co. wollten dort hinabtauchen, wo sie auf dem "tiefsten Grund des Antiklassikers Kleist archaisches Triebleben und nackten Wahnsinn vermuten". Und zum E-Gitarren-Sound merkt Heine an: "Viele hielten sich vor der Musik die Ohren zu. Mich überkam dieses Bedürfnis eher, wenn die Schauspieler sprachen." Das "Korsett der Inszenierung" erlaube nämlich nur vier Ausdrucksarten: "rennen, hecheln, schreien und flüstern". Schüttler sei dabei nur "eine Brüll- und Trampelzutat unter vielen".
Durchaus "beeindruckend, aber leer" findet Nikolaus Merck (Frankfurter Rundschau, 23.2.) diesen Abend der "schweren Bühnenzeichen". Der "Glutkern aus Begehren und Fremdheit" prädestiniere die "Penthesilea" dabei geradezu für "Luk Percevals ethnologisches Theater. Hoch abstrakt konzipiert, operiert dieses Theater mit archaischen, essenzialistischen Bildern." Die "Stimmverfremdung per Mikro" und das "erschöpfende Rennen" seien die "bekannten Stilmittel des Perceval-Ethno-Theaters, das uns, vermeintlich, Bekanntes fremd macht". Es sei jedoch "die Schwäche des Abends, dass er statt der Geschichte zwar starke Stimmungen und kurz aufscheinende Bilder gibt, das in Fremdheit und Atmosphäre Aufgelöste jedoch nicht zu einem neuen Ganzen verbindet."
Christine Dössel (Süddeutsche Zeitung, 23.2.) sieht das anders. Der Abend komme zwar der "unspielbaren Tragödie" nicht wirklich bei, sie wisse aber davon zu raunen, "wie sie sich anfühlt". Perceval inszeniere das Stück "als Geburt der Tragödie aus dem Geist von Jimi Hendrix und der Experimentalmusik". Und die Musik "kann mal quälend sein bis an die Grenze zum Kitsch und zum Pathos, dann wieder sehr berührend – zwischen beiden Polen bewegt sich dieser Abend, der eine große Kunstanstrengung ist, und dessen Kunst deshalb auch nicht ganz ohne Anstrengung zu haben ist". Perceval erzeuge "eine kalte, klaustrophobische Atmosphäre vom Krieg als Endzustand", die Figuren hätten "etwas zutiefst Pathologisches". Und "wer sich mit offenen Sinnen einlässt", überdies "manch gezierte Pose verzeiht, der wird durchaus angefegt, angerührt von der eruptiven Wucht". Vor allem von den Frauen: "Katharina Schüttlers Penthesilea drückt (...) einen solchen Extremismus des Fühlens aus, dass der Blitzschlag der Liebe, der sie so unerwartet trifft und im Innersten zerreißt, glühende Funken des Hasses, des Stolzes und der tiefsten Verwirrung sprüht."
Nach Irene Bazinger (FAZ, 23.2.) habe man es dagegen mit einem "Kraft-durch-Unfreude-Theater" und mit Figuren zu tun, die "am dünnen Faden der Regie-Arroganz" regelrecht eingehen. Die Inszenierung sei schlicht eine "Frechheit", schimpft sie. Denn: Perceval setze "ausschließlich auf Krawall und Lautstärke". Dabei wisse "inzwischen jedes Kind, dass Schreien lediglich die Stimme steigert, nicht die Argumente".
Rüdiger Schaper (Tagesspiegel, 23.2.) sagt ebenso entschieden: "Nein. Dieses Theater nervt. Es bewegt sich nicht. Und wenn es sich bewegt, ist es vorhersehbar." Wie "bitter" das sei, "wenn ein so formbewusster Regisseur wie Luk Perceval das Drama schockgefriert. Zwei Stunden lang hält sich das Ensemble auf einer monotonen Oberfläche. Eine Zustandsbeschreibung, nicht die Beschreibung eines Kampfs". Und dann "diese Kälte!". "Grau-weiß ist die Grundfarbe der Inszenierung, und von Anfang an ist alles so gepolt, wie es am Ende sein wird." Perceval habe "eine solche Angst vor (falscher) Theatralik, dass er sich in Kunstformen des Ungefähren flüchtet". Diese "Penthesilea" sehe aus "wie eine Off-Produktion der Achtziger, nur sehr viel teurer".
Ulrich Seidler (Berliner Zeitung, 23.2.) zufolge ist es eine "graue Messe", die Perceval da inszeniert hat: "Es gibt Rituale, Gebete, Opfer, Heilsversprechen und viel Im-Kreis-Gerenne. Der Jazz-Musiker Jean-Paul Bourelly gibt, auf der E-Gitarre improvisierend, den Zeremonienmeister. Am Ende reinigt ein Gewitter, wenn die Balken niederkrachen und die Schaubühne zittern lassen." Das sei ein "guter Plan", nur leider werde er "viel zu gut durchlüftet von ästhetischem Wollen". So komme es, dass "die Realität, die Perceval hereinlässt" nicht zum Zuge komme: "Das Geschehen bleibt angefertigt, kunstgewerblich und sportiv." Und Katharina Schüttler? Ihre Kraft reiche "nicht für mehr als Trotzigkeit". Und die Musik? "Kunstkrach".
"Krieg ist eine Droge", und die Musik in Percevals Inszenierung sei "ein Trip", schreibt Christiane Kühl in der taz (23.2.). Warum also bringt Penthesilea den um, den sie liebt? "Weil Krieg ist", antworte die Inszenierung. "Das "große Gefühl" als Hoffnungsträger hat Perceval aufgegeben. Die Liebe ist in seinem Drama nicht fehlgeleitet, sondern durch permanenten Kriegszustand und andauernde Erniedrigung unmöglich." So sei es folgerichtig, dass Penthesilea am Ende nicht aus ihrem Rausch erwache, wie alle Krieger ist sie "reif für die Klinik". Katharina Schüttler bleibe als Penthesilea dabei "blass". Ihr Nachthemd erscheine "bald wie eine Zwangsjacke, in der sie ausrastet oder wie sediert ins Leere starrt."
Christine Wahl (Spiegel online, 22.2.) behauptet, alles erstarre an diesem Abend "zur leeren Pathosformel mit erhöhter unfreiwilliger Komikgefahr". Weil dem Abend der Stoff fehle, würden "Stellvertreter-Pobleme nicht lange auf sich warten" lassen. Außerdem wisse Perceval mit Kleists "außerordentlicher Sprache" wenig anzufangen. Zu erleben sei eine "Mixtur aus Radiothriller und Flirthotline". Bei Katharina Schüttler würden, wie momentweise auch bei Carola Regnier, "immerhin blasse Ahnungen" aufscheinen, "wie es hätte werden können". Das indes sei nur ein "schwacher Trost".
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zwar habe ich die Aufführung (noch) nicht gesehen und meine Lese-Erkenntnis ist vor zehn Jahren geronnen, aber darf ich dennoch verwundert anmerken, dass Sie - offenbar - die Inszenierung von Perceval messen an Ihrer eigenen, im übrigen befragenswerten Meinung über das Stück?
"Sich verbinden zu müssen, um ganz zu werden, was sie will, hält die Amazonenkönigin nicht aus. Sie flieht in Wahn, Blutrausch und den eigenen Tod."
Was ist denn das für ein Geschwurbel? Und weiter...:
"Denn obwohl der (nicht nur) weibliche Double-Bind des Nicht-mit-mir-und-nicht-ohne-dich (auch bekannt als: Angst vor Nähe) in den zweihundert Jahren seit Entstehung des Stückes durchaus gründlich analysiert und trivialisiert worden ist (Tod des Märchenprinzen!)"
Vielleicht haben Sie Gelegenheit, das Stück noch mal zu lesen. Kleist's Thema ist der Geschlechter-Kampf, also die scheinbar notwendige Unterwerfung des einen Partners unter den anderen, um überhaupt ein Paar werden zu können. Eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft auf Augenhöhe ist das erstrebte Ziel, aber die (grossenteils verinnerlichte) Ideologie der Amazonen erlaubt die Realisierung nicht.
Kleist zu unterstellen, es ginge um "Angst vor der Nähe" heisst, ihn komplett fehlzuinterpretieren. Kleist ist gerade der Autor des unendlichen Sehnens nach Nähe, des Wunsches nach einer orgiastischen Selbstauslöschung des Individuums.
Das kann dann auch der Blutrausch sein.
Und bei Kleist führt dieses Sehnen zu seiner Sprachgewalt, die gleichsam formal das angestrebte Ziel bereits einlöst.
Angst vor der Nähe - sorry, das ist Küchenpsychologie des 19. Jahrhunderts.
Das Worte zu Musik werden und Musik zu Worten, dass man den Krieg und das Gefühl und den Rausch fast körperlich wahrnimmt.
Ich war lange nicht mehr so berührt.
Lichtjahre entfernt vom sonstigen Ostermeier- Richter- Deutschlandsaga- Schaubühnenkindergarten.
Kindergarten gibt es ja eigentlich nie an der Schaubühne zu sehen, ich sehe da eher sehr starke Versuche radikaler Setzungen, manchmal gelingen sie, manchmal scheitern sie, auch dies war immerhin eine sehr starke Setzung, aber hier hat das Konzept nicht so ganz ausgereicht - irgendwann hatte man dann einfach genug auf die Bühne geguckt und wollte auch mal irgendwas über die Protagonisten erfahren und denen nicht nur bei Rennen und theatralisch rumschreien zuschauen - und der Mann, der an der E Gitarre rumgeschrammelt hat -ähem - das war irgendwie olles Theater.
Ich fand Penthesilea auch toll!
ganz ehrlich, ich verstehe nicht, was der "Double-Bind des Nicht-mit-mir-und-nicht-ohne-dich" genau sein soll. Ist das etwa eine allseits (mir aber nicht) bekannte psychologische Formel? Wieso bedeutet "nicht mit mir" + "nicht ohne dich" = "Angst vor Nähe"? Und wieso ist diese Angst (hauptsächlich, aber nicht nur, wie Sie sagen) weiblich? Ist das auf das Stück bezogen? In der Realität sagt man solche Ängste doch eher männlichen Artgenossen nach, oder? Und was hat die Nähe-Angst genau mit dem "Tod des Traumprinzen" zu tun? Ich frage mich das alles wirklich. Vielleicht könnten Sie das noch mal erklären?
Dafür wäre ich dankbar.
MfG, Corinna
Um dieses hölzerne Kriegskalb zittern und hetzen sie herum, die Krieger beider Seiten. Irrgewordene in Anstaltshemden. Traumatisierte, die ihre Kriegsberichte kaum verständlich herunterstammeln oder hinaufschreien, sich gegenseitig noch hierbei ins Wort fallend, sich die Worte abjagend und diese doch nur mit Mühe überhaupt herauspressend. Ins Pathos greifen derweil die Glieder, krumm gespreizte Finger, kniegebeugte Ausfallschritte.
Allesamt sind sie bedeckt mit dem Staub der Schlachtfelder, von dem im kleistschen Text so viel die Rede ist. Eingehüllt in eine Kruste des Kampfes, unzureichende Hülle, die weder schützt noch abspringen will, sich nicht abschütteln lässt, nur ein bisschen staubt und bröselt. Dazwischen scheinen die Augen rot, wie wund gesehen, weil, was sie sahen, Blut und Schlachten war. Haut scheint rot auch um die Münder, die, was die Augen sahen, verkünden müssen.
Sie alle haben schon im Staub gelegen, niedergedrückt unterworfen gedemütigt. Aus Staub sind sie aufgestanden, taumelnd, verwundet, nicht mehr Herren, nicht mehr Frauen ihrer selbst. Und nur über den Umweg durch den Schlachtfeldstaub, bäuchlings gekrochen häuptlings geschleift, können diese Wesen sich begegnen. Können sich berühren nur auf eine Art: des einen Fuß auf des anderen Nacken. Bezwinger, Überwinder.
Was wird bei Perceval gezeigt? Liebe in den Zeiten des Krieges: seelenversehrte Veteranen, die zur Liebe verunfähigt sind? Oder immerdar Krieg in den Zeiten der Liebe? Eins sind Eros und Thanatos, Küsse und Bisse – fatale Sprachverwirrung. Blutroterosen. Statt Aug-auf-Augenhöhe das ewig alte Aug-um-Auge. So dass die Waage stets ins Asymmetrische schwankt. Allgemeines Muster oder Kriegsgebietsdiagnose?
Achills Umarmung ist hier Umklammerung, Inkettenlegung. Er könnte sie erdrücken erwürgen. Ihre Rache später der Kuss. Unfähig beide zu gewaltlosen Gesten. Taub ist sie für seine Kusshände, die er ihr auf dem Weg zur letzten Schlacht zuwirft, ungeschickte, törichte Vorboten seiner siegessicheren Kapitulationsbereitschaft. Auch das ist für sie bitterernste Kampfansage: seine arrogante Annahme, sie würde den Kampf nur als Spiel zu nehmen bereit sein.
Amazonen, wie sie die Rezeptionsgeschichte nicht kennt. Keine vitalen Mannsweiber. Keine kraftstrotzenden Zicken. Auch keine Lara Crofts. Stattdessen: Eine Oberpriesterin, alt, irr, stockenden Schrittes in schweren Schuhen schlurfend, als trüge sie unendlich schwer an erfahrener Last. Ununterbrochen ihre Finger der Reihe nach abtastend, als sei es ein Wunder, dass diese noch vollzählig sind. Daneben füllige Mutterfiguren, so gar keine Busenlosen. Und schließlich knabenhaft schlank: Penthesilea. Ein gliederschlackerndes Wirrnis mit einem maßlosen Gefühl in der viel zu engen Brust. Es schleudert sie ins Exzentrische. Sie wiederum schleudert die Mikros gen Zuschauerraum, gen Betonwand. Kaum dass die bodenständigen Matronen sie halten können. Ein scheues, ein unzahmes Tier. Unbändig ungebärdig.
Als käme mit diesem Gefühl, das gesetzt, nicht erklärt wird, aus ihrer Brust auch das Dröhnen der E-Gitarre. In seiner Wucht ununterscheidbar vom Schlachtenlärm – unheilvolles Kriegsgeheul, das, unweigerlich physisch spürbar, im Zuschauer widerhallt, dessen Brustkorb zur Resonanz gezwungen. Gitarren-Rhythmus muss den Rhythmus der Sprache ersetzen, deren Versmaß in größere Verständlichkeit aufgelöst ist, über das man hinwegzusprechen versucht, aber das doch oft aufgesagt bleibt. Gewalt auch am kleistschen Formbau, mit dem so schwer fertig zu werden ist. Wie mit so manchem hier.
Und was die zugrunde liegende "Angst vor Nähe" anbelangt: Ist es ein zu trivialer Ausdruck für die Unmöglichkeit, die Liebe eines anderen auszuhalten, obwohl man sie ersehnt? Oder ist es trivial, Penthesileas Wollen und Morden darauf zu reduzieren? Ich finde nicht. Für mich ist es im Gegenteil etwas Archaisches. Wer seiner selbst nicht sicher ist, wird aggressiv, wenn die Schutzgrenze überschritten wird. Darin liegt eine große persönliche Tragik. Wird diese Angst tatsächlich eher den Männern nachgesagt? Nun, hier betrifft sie eine Frau, und dass dies kein rein weibliches Problem ist, habe ich ja geschrieben.
Der Link zum "Tod des Märchenprinzen" von Svende Merian ist der, dass dieses Buch in Westdeutschland repräsentativ war für eine falsch verstandene, aber umso tiefer empfundene Emanzipationsbewegung. Ich habe das als Beispiel für die Trivialisierung des Themas genommen: Eine Frau, die einen Mann mit all ihren Projektionen überfrachtet und dann verdammt.
Herzlich
nikolaus merck
ich möchte mich herzlich bedanken für Ihre Antwort und Gesprächsbereitschaft. Dass die Nachtkritiker tatsächlich 'mit sich reden' lassen, ist absolut anerkennenswert. Was Sie meinen, verstehe ich jetzt viel besser. Und dass es ganz und gar kein 'Geschreibsel' ist, natürlich nicht, aber das wissen Sie.
Gewisse Hallodris hier sollten sich an Ihrer Sachlichkeit ein Beispiel nehmen: souverän.
Was will man ihr? Was will man mir?“
kann das pathetische Jungmädchenherz da nur ausrufen!
Doch bitte bitte auf keinen Fall irgendwelche Texte oder Personen, seien sie nun professionell oder pubertär, gegeneinander ausspielen! In meinem Sinne wäre das jedenfalls ganz und gar nicht. Um das noch mal klarzustellen: Mein Wortbeitrag war weder gegen die Nachtkritik von Petra Kohse gerichtet noch selbst als Kritik angelegt.
Es geht auf dieser Seite, zumindest idealerweise (und diesem Ideal kann man – in schwärmerischer Verblendung? – wohl anhängen), doch darum, ein Gespräch über Theater zu führen. Eben nicht beim üblichen Kritikermonolog stehen zu bleiben, sondern den Dialog zu versuchen. Oder auch: Zusammenführen von Stimmen, die sich ergänzen, aufnehmen, weiterdenken, aufeinander antworten, auch widersprechen, befragen. Einem Theaterabend mit Worten nachhängen. Wahrgenommenes festhalten. Eindrücke vermitteln. Assoziationen anlagern. Gedanken aufhäufen. Bedeutung ausbuddeln. Vielleicht dabei auch Erkenntnis stiften. Gemeinsam der Kunst nach-denken. So würde ich es verstehen wollen. (Andere mögen das sehr anders sehen.) Und dieses Nachdenken, zumal es eines über Kunst ist, kann doch in viele verschiedene Richtungen gehen, die nicht einfach als ‚richtige’ oder ‚falsche’ Wege zu markieren sind.
Über Percevals „Penthesilea“ kann man sich doch vortrefflich unterhalten, auch streiten. Und damit können wir ja jetzt einfach weitermachen.
Erkenntnis ist nach wie vor und KörperKopf-sei-dank dem jeweils teilhabenden Subjekt vorbehalten.
Es war an der Schaubühne eine großartige, aber sehr umstrittene Aufführung. Gespielt wurde wenig. Die Schauspieler rannten im Kreis, standen und stöhnten in die kreisförmig angebrachten Mikrofone. In der Mitte stachen Holzpfähle in die Höhe, gedreht und am Ende fielen sie wie Mikadostäbe auf den Boden. Eigentlich wäre dass eine Gefahr für die Schauspieler gewesen, wenn sie nicht alle vorher an der Bühnenrand gegangen wären. Man ahnte, jetzt wird es passieren. Dann brechen sie zusammen und zerstören alles. So ist es halt im Krieg und in der unerfüllten Liebe. Sie zerstören alles. Die Musik ist gigantisch. Wer Hendrix mag, gewöhnt sich schnell an die Lautstärke und die Riffs. Allen Kritikern sei gesagt, so regte man sich in den 70er über den Gitarrenkrach auf, heute gehört Hendrix zum Kulturgut.
Insgesamt war dieser Percevalabend ein Kunstwerk, Musik, Tanz, Sprechtheater und Rauminstallation trafen aufeinander. Es ging nicht nur noch um das Kleistwerk. Perceval holt den Text in die heutige Zeit und spiegelt ihn im archaischen Ursprung. Damit gelingt ihm der Sprung über 3000 Jahre Geschichte. Hat sich der Mensch seitdem wesentlich verändert? Liebe, Krieg, Bündnisse, Geschlechterkampf, gegenseitige Bedrohung, Intrigen, göttliche Gewalten und Glaubensfragen, die in irrationalen Auseinandersetzungen enden.
Es dreht sich alles immer im selben Kreis. Die archaisch anmutenden Schönheiten umrunden diesen Kreis ein um das andere Mal an diesem Abend, bis alles zusammenfällt und alle am Rande stehen. Penthesilea verkündet ihren Abschlusssatz, nachdem sie noch eine Runde gewagt hat: „Ich sage vom Gesetz der Fraun mich los, und folge dem Jüngling hier.“
Dann verlischt das Licht und Buh- und Bravorufe sind zu hören. Ich schließe mich den letzteren an, meine Nachbarin macht gar nichts. Sie klatscht auch nicht. Nach vier „Vorhängen“ ist auch schon Schluss. Die Befürworter geben schnell auf, aber wir sind ja auch an der Schaubühne, tief im bürgerlichen Westen.
das mag ja alles sein, lieber an andrea, aber Sie wollen doch nicht sagen, die kommentardichte zur schaubühne in diesem forum, spiegelt den eher davon verschiedenen geschmack der theaterbesucher zB in berlin wieder? da ist das dt eindeutig vorne. und etwas anderes zu behaupten, das tut eben die claque. Sie haben ja recht: Die Geschmäcker sind verschieden. Und zwar der Geschmack hier in diesem Zahnarzt-Forum und der da draussen.