Glück: unterschiedlich teuer

von Eva Biringer

Berlin, 21. Mai 2015. "20 Euro! Vorher habt ihr doch alle gesagt, ihr würdet es kaufen!" Recht hat die Performerin mit dem T-Shirt-Stapel in der Hand. Aufgedruckt auf die angeblich zu fairen Bedingungen hergestellten Oberteile sind die Geschichten derjenigen, die sie genäht haben. "18 Euro? 15?" Einige Zuschauer, die den Anfangspreis gezahlt haben, zögern, fordern dann aber doch ihr Wechselgeld. Andere warten, bis es noch billiger wird. So also funktioniert Textilwirtschaft.

Bereits vergangene Arbeiten der 1992 in Kassel gegründeten Gruppe Flinntheater beschäftigten sich mit Südasien, etwa das mit dem Förderpreis des Zürcher Theater Spektakels ausgezeichnete "Shilpa – The Indian Singer App". Für ihre neue Performance betrieben sie Feldforschung in Bangladesh. "Songs of the T-Shirt" beleuchtet die Zustände in Kleiderfabriken wie jener, die 2013 in Dhaka zusammenstürzte, was mehr als tausend Arbeiter das Leben kostete, die Mehrheit davon Frauen. Der eindringlichste Moment des Abends gedenkt dem Unglück von Rana Plaza in Form eines "Stromausfalls": das Saallicht erlischt, es leuchten nur die Lämpchen an den Nähmaschinen. Aus der Dämmerung dringen Berichte von eingeklemmten und abgetrennten Gliedmaßen zum Publikum und von Urin, das vorm Verdursten rettet.

Mit moralischem Impetus

Philipp Werhahn vom Berliner Label TingDing hat einen eigensinnigen Multilayerlook für die Performerinnen kreiert, der sich vom Schlauchschal zum Schleier verwandeln lässt, je nachdem, in welche Rolle die Trägerin schlüpft. Ist es die einer Näherin, nennt sie deren Namen, ihre Platznummer in der Fabrik und ihre – aus je einem Arbeitsschritt bestehende – Aufgabe: Linken Ärmel ansetzen. Oder: Rechten Ärmel ansetzen. Oder: Waschzettel annähen. SongsTShirt 560 alexander barta uIm Licht der Nähmaschinen: Lea Whitcher, Sonata, Lisa Stepf © Alexander Barta

Der Waschzettel dieser Performance wäre ein langer, so viel Theorie plus Recherche plus Aktionismus wurde in sie hineingepumpt. Bollywood-Tanznummern, Selbstprüfung der politischen Korrektheit, Verlesung von Sicherheitsstandards – stellenweise wirken Sophia Stepfs Regieeinfälle eher wie lose zusammengehalten als säuberlich vernäht, immerhin von einem quasi Brecht'schen moralischen Impetus. Sozialarbeiterhaft agiert Performerin Lisa Stepf, Lea Whitcher spezialisiert sich aufs Lehrstückhaft-Dozierende. Aus dem Rahmen fällt die (aus Bangladesh stammende) Sonata, die von ihrer Muttersprache zum Oxford-English-Akzent einer NGO-Mitarbeiterin zum Deutsch der T-Shirt-Anpreiserin wechselt.

Boykott oder kein Boykott?

Stimmig wird es immer dann, wenn die drei das Publikum aktiv miteinbeziehen, wie in der eingangs erwähnten Marktschreiersituation. Den Brecht im Hinterkopf, muss sich der Zuschauer fragen, wie er beim nächsten T-Shirt-Kauf vorgeht. Bei H&M gäbe es eine "Conscious-Collection", aber wie viel reines Gewissen steckt wirklich dahinter? Soll man lieber beim Neuköllner Jungdesigner kaufen, im "Sweatshop in der Reuterstraße"? Oder: doch bewusst "Made in Bangladesh" auswählen, weil mit Boykott niemandem geholfen ist? Oftmals, auch dies lehrt der Abend, greift unsere westliche Logik zu kurz. Wenn Lea Whitchers post-dramatischer, post-kapitalistischer, post-feministischer Wortschwall auf die am Boden im Schneidersitz hockende, fingerknibbelnde Sonata niedergeht, schämt man sich für Whitchers selbstgerechten Eurozentrismus. Dagegen steht das aufschlussreiche, im Programmheft nachzulesende Gespräch mit der Gewerkschaftsvorsitzenden Nazma Akter: Vier Millionen Textilarbeiterinnen halten Bangladeshs Wirtschaft am Laufen, gibt Akter zu Protokoll. Für viele dieser Frauen bedeute ihre Arbeit Selbstermächtigung. Alternativ könnten sie sich auf dem Feld schmutzig machen oder alleine zu Hause vereinsamen.

In den Fabriken sei es sauber, sagt eine von ihnen, dort seien sie in Gesellschaft, und ihr Lohn mache sie unabhängig. "Ich bin glücklich", stellt eine Performerin stellvertretend für sie fest. Ein Satz, der mehr Erleichterung bringt als alle T-Shirt-Stapel zusammen. Um welchen Preis?

Songs of the T-Shirt
von Flinntheater
Regie: Sophia Stepf, Musik: Andi Otto, Florian Hacke, Kostüm: Philippe Werhahn von TingDing.
Mit: Lisa Stepf, Lea Whitcher, Sonata.
Dauer: 1 Stunde 10 Minuten, keine Pause

www.sophiensaele.de

 

Kritikenrundschau

Diese kleine Produktion sei "so gut gemacht, dass die spielerisch vorgestellten Fakten tatsächlich im Gedächtnis haften bleiben", meint Ute Büsing auf der Internetseite des rbb (22.5.2015). Und es berühre "zutiefst, wie unter den Trümmern des eingestürzten Rana Plaza Gebäudes begrabene Frauen sich Beine und Arme abschneiden oder abschneiden ließen, um frei zu kommen." Verwöhnte Westler könnten "die Situation in den Fabriken kaum nachzuvollziehen. Aber durch dieses aufklärerische und dabei unterhaltsame 80-minütige Theaterstück vermittelt sich immerhin ein Eindruck."

 

Kommentare  
Songs of the T-Shirt, Berlin: nicht die Welt retten
Ich bin froh ein Westler zu sein und ich will auch nicht alles Elend auf dieser Welt nachvollziehen müssen.Ich kann und will die Welt nicht retten. Und mittelmässige Performance tun das auch nicht.
Songs of the T-Shirt, Berlin: Kaufverhalten ändern
@ lotte1925: Nein, vielleicht nicht die Welt retten. Aber vielleicht können Sie sich globalkapitalistische Mechanismen bewusst machen? Und die eigene Rolle darin? Klar kann ich beispielsweise H&M als Einzelkonsument nicht ändern, wenn, dann nur, wenn ALLE dort nicht mehr einkaufen würden, was wohl leider nie passieren wird. Ich kann aber mein eigenes Kaufverhalten ändern. Wo ich was kaufe, darauf achten, was woher kommt bzw. wie/unter welchen Bedingungen es gefertigt wurde usw. Und vor allem, ich kann, besonders bei Klamotten, mehr Second Hand-Ware kaufen.

Davon abgesehen, sind mir ganz allgemein Menschen aus/in Bangladesh wichtiger als T-Shirts in hiesigen Modekettegeschäften oder auch "singende T-Shirts".
Songs of the T-Shirt, Berlin: geht um Profit
Und das ist es eben, wir reden über T-Shirts und fair produzierte bzw. ökologisch-vegane Mode usw., aber wir reden nicht MIT Menschen. Auch nicht mit Menschen von hier, die sich "korrekt produzierte Mode" möglicherweise einfach nicht leisten können. Und zudem, welche Marke produziert schon korrekt? Sicher nur sehr wenige. Und manchmal steht eben auch nur das Label drauf, ein Label wie "conscious". Es geht nur noch um Profit, nicht mehr um die Bedürfnisse aller Menschen, dort und hier. Ich muss nicht zum Ostler bzw. Ost-Nostalgiker werden, um das zu verstehen. Wirklich nicht.
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