Im Weltall hört dich niemand seufzen

7. Oktober 2024. Hoch hinaus will man an der Berliner Volksbühne meistens. Diesmal geht's sogar bis auf die Raumstation ISS, wo Regisseur Kornél Mundruczó ein Splatterfest mit Starbesetzung angerichtet hat. Allerdings scheint die blutlüsterne Besatzung einiges auf der Erde zurückgelassen zu haben. Zuallererst: den Sinn.

Von Elena Philipp

"Method" in der Regie von Kornél Mundruczó an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz © Luna Zscharnt

7. Oktober 2024. "Worum geht's hier eigentlich?", brüllt Marvin. Und ich denke: Gute Frage. Kata Wéber und Kornél Mundruczó haben für die Volksbühne eine Method-Acting-Satire geschrieben. Mit Szenen von Machtmissbrauch am Filmset rahmen sie den Dreh eines Body-Horror-Movies auf der Raumstation. Und der Hauptdarsteller fühlt sich tief in seine Rolle als Werwolf ein. Crazy, oder?

Mit Blick auf die Erde

In der Anfangsszene sieht man Martin Wuttke und Zarah Kofler im Cockpit einer angeblichen Soyuz-Rakete sitzen, Kamera nah dran, über ihnen blinkt bunt ein Mischpult, Wuttke drückt imaginäre Knöpfe und Schalter. Von außen sehen wir vorerst nur Sperrholzwände, mit einer in Alu gehüllten Öffnung. Sobald sich die Drehbühne in Bewegung setzt, fällt der Groschen: Wir blicken in einen Nachbau der ISS-Raumstation, inklusive Modulen, vergurteten Lasten und Kabeln sowie dem berühmten Panoramafenster mit Blick auf die Erde (Bühne: Monika Pormale). Hochkonzentriert soll Wuttke angeblich manuell an der ISS andocken – aber weil seine Schauspielkollegin Parfüm trägt, fällt er aus der Rolle. Parfüm, in einer Raumkapsel, "geht's noch?". Cut, der Altstar braucht eine Pause, um seinen kapitalen Wutanfall herunterzukochen.

Rasend dreht sich hier das Karussell der Eitelkeiten. "Interstellar" habe Marvin (Martin Wuttke) die Szene gespielt, lobt Regisseur Stephen (Maximilian Brauer), der sich über die Unterbrechung ärgert. Stephen dreht offenbar ein D-Movie, als Hommage an Horror-Legenden wie George A. Romero oder John Carpenter. Sein Protagonist transformiert sich, so steht es im Script von Holly (Ann Göbel), die, rosa beblust und nur scheinbar naiv, knallhart ihre Dialoge verteidigt.

Method1 1200 c Luna ZscharntBerlin, we got a problem: Martin Wuttke (oben), Benny Claessens, Soma Boronkay, Maximilian Brauer, Sir Henry (unten) © Luna Zscharnt

Stephen wiederum muss seine halbgare Vision gegen die Interessen aller Beteiligten durchsetzen: Rose (Zarah Kofler) ist als Social Media-Star in den Cast gerutscht, aber weil der Platzhirsch Marvin sie nicht riechen kann, muss sie weichen. Verhandlung eines Auflösungsvertrages, mit Produzent Michael (Sir Henry) und viel Geschrei, bis Coach Bob (Benny Claessens) ihr – einer der vielen What-the-heck-Momente dieser Inszenierung – nach der tröstenden Umarmung einen Schlag vor die Stirn gibt, das Licht auf rot schaltet und Rose wie vom Teufel besessen schreit und sich windet. Kurzer Exorzismus mit Kreuz und Wasser aus der Karaffe, dann geht's wieder. Marvin und Maya (Johanna Wokalek) wiederum wollen einander lieber küssen als die Werwolf-Story voranzubringen – obwohl Marvin Maya in der Ehe geschlagen und gequält hat, weswegen sie ihre Besetzung an seiner Seite eigentlich "krank" fand.

Mord mit der Rohrzange 

"Was ist denn die Situation in der Szene?", fragt der orientierungslose Marvin, will "in drei Sätzen" hören, was er spielen soll. Da es um Method Acting à Lee Strasberg geht, muss er es erleben. Bob (den Claessens als Figur freundlich an die Grenzen des Irrsinns laviert) füttert ihn an: erzählt Marvin die Geschichte seiner unglücklichen Kindheit und lockt ihn mit der Story von Miezi, seinem geliebten Hund, mit Leckerli und Motivationsgebrüll, bis Marvin in die Rolle als wild gewordener Hund aka Werwolf hineinfindet – und den Assistenten Kim (Soma Boronkay) totbeißt. Manager Michael muss ihm ein nächstes Opfer organisieren, damit die Verwandlung bestehen bleibt, doch Marvin erschlägt Michael mit der Rohrzange. Blut spritzt, breitet sich in Lachen in der steril weißen ISS-Umgebung aus, klebt dem mit Haarteilen zunehmend verwolfenden Wuttke im Gesicht. Widerlich.

Aber wozu das alles? Für eine überdrehte Horrorfilm-Satire ist das Tempo zu gering, auch weil die Herstellung von Spezialeffekten live zu lange dauert. Bietet Bob – Claessens, selig sockenfüßig als Rotkäppchen kostümiert – am Schluss dem zur Bestie transformierten Wuttke im Wolfskostüm seine eigene Hand zum Fraß dar, manierlich auf einem Teller angerichtet, muss der kichernde Wolfsdarsteller erst eine Blutkapsel zerbeißen, bevor er sich ans Händeverschlingen machen kann.

Method4 1200 c Luna ZscharntKurz mal abschalten: Johanna Wokalek (oben), Benny Claessens und Martin Wuttke (unten) © Luna Zscharnt

Man könnte diese Effekte zeitlich noch mehr strecken, um das Groteske zu verstärken – aber da die inhaltliche Ebene maximal dünn ist, dehnte sich die Zeit im Zuschauerraum noch weiter ins Öde. Was hier als Machtmissbrauch und Willkürherrschaft vorgeführt wird, ist sattsam bekannt.

Filmtheatrale Fingerübung

Auch mit Interpretationen à la 'dünn ist der Firnis der Zivilisation' oder 'das Horrorgenre legt die Aggressionen offen, die in uns allen schlummern' komme ich hier nicht weit. Zwischen den schlurfenden, selbstironisch eitlen Gestalten dieser filmtheatralen Fingerübung passiert nichts, was irgendeine Fallhöhe schaffen könnte.

Man ist sich hier selbst genug, jammert vielleicht ein bisschen, dass "das alles hier" (an der Volksbühne vermutlich und trotz neuer Interims-Intendanz) bald vorbei sein könnte. Und nimmt sich doch zu ernst: Darstellerisch scheint bei "Method" eine Art Überbietungslogik zu gelten. Claessens reizt die Rotkäppchen-Dialoge aus, noch schön Tisch decken, letztes Zigarettchen rauchen, dann erst zum Kannibalismus übergehen. Wuttke pumpt minutenlang Wasser aus einem rosa Gummipenis auf die herumliegenden Requisiten und markiert in Überlänge sauunkomisch sein Revier. Und Maximilian Brauer lutscht dem sich tot stellenden Soma Boronkay ganz in echt das unwillkürlich erigierte Glied – "hilft immer".

Viele schienen's lustig zu finden, aber ich fühle mich überzeugt in die Rolle der humorlosen Spielverderberin: Am Vorabend des 7. Oktober finde ich dieses Splatter-Schlachtfest der Eitelkeiten einfach nur unangenehm. 

Method
von Kata Wéber
Regie: Kornél Mundruczó, Bühne & Kostüme: Monika Pormale, Grafikdesign Set-Layouts: Ģirts Korps, Video: Rūdolfs Baltiņš, Licht: Kevin Sock, Musik: Daniel Freitag, Dramaturgie: Stefanie Carp, Johanna Höhmann, Künstlerische Produktionsleitung & Dramaturgie: Soma Boronkay.
Mit: Soma Boronkay, Maximilian Brauer, Benny Claessens, Ann Göbel, Sir Henry, Zarah Kofler, Johanna Wokalek, Martin Wuttke.
Premiere am 6. Oktober 2024
Dauer: 2 Stunden 15 Minuten, keine Pause

www.volksbuehne.berlin

Kritikenrundschau

Die Volksbühne setze die Beschäftigung mit sich selbst fort, schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (7.10.2024). "Die gewollt abdrehende Story wird immer wieder etwas zu ordentlich auf ihre Motive zurückgebunden und verbleibt sicher hinter dem Panzerglas der Ironie. Immerhin kann man, anders als bei anderen selbstbezogenen Kunstfeiern der Volksbühne, ganz gut folgen und mitspinnen."

Tom Mustroph von der taz (8.10.2024) sah "eine muntere Horrorfarce". "Viel Nonsens gibt es, noch mehr Blut wird verspritzt. Und als gedankliche Klammer darf man sich ausdenken, dass Mundruczó die Rolle von rohester Gewalt als Produktivkraft in der Entertainmentbranche und darüber hinaus untersuchen möchte." 'Method' treibe die Lust an Untergang und Zerstörung auf die Spitze.

Der Filmregisseur Kornél Mundruczó und "seine Text-Lieferantin Kata Wéber" verhedderten sich in Selbstreferenz-Schleifen, so Peter Laudenbach von der SZ (8.10.2024). "Man sieht diesen im Prinzip natürlich tollen Schauspielern in einer komplett überflüssigen Veranstaltung zu und denkt die ganze Zeit: Könnten die nicht bitte in Zukunft in einer Müller-Vinge-Volksbühne wieder richtiges Theater machen? Es kann nur besser werden."

Es sei zwar konsequent, wie ein B-Movie hier "als schmalspuriges B-Theater" erzählt werde. "Schade ist es aber doch", notiert Barbara Behrendt vom rbb (7.10.2024). "Plot und Aussage des langen Horrorabends bleiben […] übersichtlich: Nicht alles darf womöglich der Kunst zum Opfer fallen. Und: Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse gibt es auch in der Filmbranche. Na, sowas.“ Dass man mitunter trotzdem Spaß an diesem irren Gemetzel habe, liege am Spitzenensemble.

"Das Ensemble hat die Geschichte per Improvisation entwickelt, ist zu lesen, und so wabert bald alles in die Richtung, die dem Team wohl den größten Spaß zu machen versprach", schreibt Felix Müller von der Berliner Morgenpost (8.10.2024). Beeindruckt vom Splatter-Ende staunt der Kritiker: "Ja, schon krass. Und so pittoresk schlecht! Aber warum, wohin, wozu? Das können in diesen 140 Minuten auch der großartig wildernde Martin Wuttke und die nuanciert-präzise Johanna Wokalek nicht beantworten."

"Die alte Frage, ob man als Künstler bereit sein müsse, sich für die Kunst aufzuopfern, lässt sich nach diesem Stück klar beantworten: Für diese Kunst besser nicht", winkt Peter Neumann in der Zeit (10.10.2024) ab und blickt auf einen der Stars des Abends: "Man muss sich Martin Wuttke als glücklichen Schauspieler vorstellen. Wie er diesen röchelnden, durchs Weltall schwebenden Werwolf spielt, das ist nicht nur kindlich albern, sondern auch auf eine geradezu naive Weise schön. Mehr Flughöhe gibt es bei Wéber und Mundruczó aber nicht. Dafür ist der Plot zu platt."

Kommentare  
Method, Berlin: Punktlandung
Raumfahrt, Punktlandung. Eine tolle Psychoanalyse vom (Theater/Film) - Betrieb.
Abgesehen von viel Freude am Schauspiel, resonierte eine gewisse Wut auf den Dirt in der Welt.
Der Abend ist sozusagen eine Art Metapher. "Der Mensch ist dem Mensch sein Wolf", in der Welt.
Method, Berlin: Mehr als unangenehm
Auch ich habe den Abend mit einem Fragezeichen verlassen. Zu langsam, zu langweilig und sinnlos. Flache, hohle Witze und eine Story, bei der man sich fragt, wo die zwei (!) Dramaturginnen eigentlich waren.
Ja, zum Vorabend des 7. Oktobers Tropes wie „Hollywood is evil“ und „ihr baby blood suckers“ herauszubrüllen ist in der Tat mehr als unangenehm. (...) Diesen Abend braucht man nicht.

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Der Kommentar wurde um eine Passage gekürzt, die Unterstellungen enthielt.
Mit freundlichen Grüßen aus der Redaktion
Method, Berlin: Wo war Tscheplanowa?
Recht harmlos schippert die erste Hälfte der knapp zweieinhalbstündigen Stückentwicklung durch vertraute Gewässer: Maximilian Brauer gibt die Karikatur eines überforderten Film-Regisseurs, Martin Wuttke den exzentrischen Star Marvin der SciFi-Weltraum-Produktion und Zarah Kofler das TikTok-Sternchen, das vom Star ausgebootet wird.

Wuttke darf einige seiner markanten Ausrast- und Wutanfälle mimen und schwärzt die junge Kollegin beim Produzenten (Volksbühnen-Urgestein Sir Henry in einer für ihn seltenen Sprechrolle) und beim Schauspiel-Coach (Benny Claessens) an, bis letzterer entnervt nach Ersatz sucht und eine auf dem Abstellgleis gelandete Schauspielerin Maja (Johanna Wokalek) an Bord holt, die zuletzt nur in einer Schweizer TV-Produktion als „Isabelle Huppert für Arme“ mitspielen durfte und sich mit Yoga-Übungen die Langeweile vertreibt.

Die große Überraschung des Abends ist, wie nahtlos sich Wokalek in das immer groteskere Geschehen einfügt. Das Theaterpublikum kennt Wokalek nämlich als Weggefährtin von Andrea Breth, deren psychologisch genaue, sehr ernsthafte Klassiker-Inszenierungen das glatte Gegenteil dieser schrillen B-Movie-Farce sind.

Wuttke legt den Kosmonauten-Anzug ab und schlüpft in ein Werwolf-Kostüm. Von nun an nimmt der Abend immer abstrusere Wendungen voller Gemetzel und Kannibalismus. Die Storyline sei mittels Improvisationen entwickelt worden, verrät der Programmzettel. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie sich die beiden Volksbühnen-Stars Claessens und Wuttke bei den Proben die Bälle zuspielten und dann schließlich beim schrägen Rotkäppchen- und der Wolf-Finale landeten. Nach diesem letzten Duett gehört die Bühne Wuttke ganz allein für ein irres Werwolf-Tänzchen.

Ein Rätsel bleibt nach diesem leider ebenso quälend verqualmten wie hemmungslos durchgeknallten Abend: Wo blieb Valery Tscheplanowa, die im Nachtkritik/DeutschlandRadio-Podcast ihre Mitwirkung an diesem Projekt ankündigte und auch noch in der ersten Besetzungs-Ankündigung stand?

Komplette Kritik: https://daskulturblog.com/2024/10/06/method-volksbuehne-kritik/
Method, Berlin: Meinungsjournalismus
Meiner Tochter und mir hat der Abend sehr gefallen.
An die Radaktion richte ich mich mit der Frage: Weshalb konzentriert die Verfasserin der Kritik sich nicht auf den Inhalt des Abends? Ich wünsche mir in einer Kritik von den Redakteuren des Portals weniger Bewertungen wie "widerlich".
Das ist unprofessional.

(Liebe*r Kommentator*in Anke, das Wort "widerlich" fällt in der Kritik als Teil einer Szenenbeschreibung, nicht als Teil der Bewertung des Abends, dies nur als Klarstellung von Seiten der Redaktion. Mit freundlichen Grüßen, sd)
Method, Berlin: Vor 75 Jahren
Die "überzeugte Spielverderberin" empfindet "dieses Splatter-Schlachtfest am Vorabend des 7. Oktober" als unangenehm. Vielleicht hat mit Gründung der DDR vor 75 Jahren das selbstaufopfernde Method-Acting begonnen? Das hat Frau Philipp nur unzureichend herausgearbeitet.
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