Das Spa am Blutfluss

17. November 2023. Eine Schwarzkaltklinik: mit flachen Liegen, quälenden Schmerzen und technokratisch empathielosen Ärzten. Autorin Patty Kim Hamilton und Uraufführungsregisseurin Christiane Pohle zeichnen in "Schmerz Camp" ein ätzendes Bild des Medizinbetriebs, weil sie einen zentralen Diskurs anschieben wollen.

Von Jan-Paul Koopmann

Patty Kim Hamiltons "Schmerz Camp" in der Regie von Christiane Pohle in Bremen © Jörg Landsberg

17. November 2023. Da liegen sie im Krankenhaus wie andere am Strand: im Bademantel auf der Liege, mit der dringenden ärztlichen Anweisung, sich jetzt endlich mal zu entspannen und bei den Übungen mitzumachen, bitteschön. Und natürlich tun sie das auch, meistens jedenfalls, obwohl hier keine mehr so wirklich an Heilung glauben mag – und zwischendurch immer wieder beunruhigende Fragen an die Oberfläche drängen: wie Lebenswert ein Leben unter Schmerzen ist, zum Beispiel. Oder ob der Mann es zu Hause hinbekommt, die vorgekochte Bolognese aufzutauen. Denn chronische Schmerzen sind genau wie die Care-Arbeit eine Angelegenheit weiblicher Körper.

Klinikalltag mit Checklisten

Zur Uraufführung von Patty Kim Hamiltons "Schmerz Camp" wird das Bremer Theater unter Regie von Christiane Pohle zur Kurklinik. Die medizinische Fachrichtung mag nicht so ganz klar sein, aber irgendwie ist das auch nur folgerichtig, weil es bei chronischen Schmerzen schließlich um ein genauso diffuses Krankheitsbild, an dem auch Ärzt:innen noch rätseln. Aber eine "Expertenklinik" ist es, eine "weltberühmte", um genau zu sein. Und für manche der seit Jahren chronisch schmerzgeplagten Patientinnen liegt hier die vielleicht letzte Hoffnung zwischen Massagen und Meditation, zwischen progressiver Muskelrelaxation und Kunsttherapie.

Von Ärzt:innen ist hier nicht viel zu sehen, die sprechen meist aus einem Lautsprecher am Bühnenrand: Wie’s heute so gehe und ob man in akuten Schmerzphasen über Suizid nachdenke – bitte nur "ja" oder "nein", damit es in den Fragebogen passt.

Schmerzcamp1 1200 Joerg LandsbergKein Kurvergnügen: Claudia Gyasi Nimako, Moné Sharifi, Irene Kleinschmidt, Leila Abdullah, Susanne Schrader, Judith Goldberg und Fania Sorel im "Schmerz Camp". © Jörg Landsberg

Ja, sie ist scheußlich, die Empathielosigkeit der Technokratie. Gerade da, wo sie es genau wissen will: Sind die Schmerzen "Stechend, ja oder nein?" "Glühend"? "Brennend", "pochend", "klopfend" oder "ziehend"? Schon dem Runterrattern der Fragen zuzuhören ist unangenehm. Vielleicht, weil man sie zu gut kennt, vor allem aber, weil hier sehr schnell sehr deutlich wird, dass der detailfreudigen Anamnese eben keine passgenaue Therapie entspricht. Auch diese Ärzt:innen haben keine Ahnung, wo die Schmerzen herkommen, geschweige denn, was dagegen zu tun wäre. Und weil die Aussicht auf Heilung in weiter Ferne scheint, ist umso mehr von Hoffnung die Rede – und von den Abrechnungsmodalitäten der Krankenkasse.

Die Kliniktage sind dröge, die Aussichten trist: Eindrücke, die der Theaterabend in endlosen Wiederholungen und apathischen Gesprächsfragmenten genau so auch ans Publikum durchdrückt.

Ein Hauch von Rebellion

Großen Spaß macht immerhin die Bühne: Anton von Bredow hat eine zerklüftete Landschaft ins Kleine Haus gezaubert, die zwischen Maschendrahtzaun und Waldtapete fließend übergeht von Spa zu Klinik zu Zoo zu Knast zu Urlaubsparadies für kleines Geld. Aus einem überlaufenden Waschbecken im Hintergrund ergießt sich ein scheinbar endloser (und tatsächlich überraschend nasser) Blutstrom in einen Graben, an dem die Liegen der Patientinnen aufgereiht stehen. Das wirkt erstaunlich gemütlich für ein suizidales Horrorbild, so dass man mit der Zeit schon ins Grübeln kommt, ob der rote Strom am Ende nicht doch eher Regelblutung zwischen felsigen Beinen sind – oder was anderes harmloses.

Was Christiane Pohles Zugriff auf Hamiltons engagierten Text ebenfalls mit verblüffender Selbstverständlichkeit gelingt, ist es, diese groteske Klinik bei aller Freude am Spezifischen immer auch Metapher für das medizinische System bleiben zu lassen. Denn es stimmt ja, dass ganz besonders Frauen um Diagnosen kämpfen müssen, weil Ärzte Schmerzen leicht abtun und die Forschung sich nach wie vor am männlichen Normkörper abarbeitet. Ob nicht wenigstens die Tierversuche mal an weiblichen Ratten durchgeführt werden könnten, fragt eine Patientin in "Schmerz Camp" – und ein Hauch von Rebellion weht durch die Klinik.

Wahrheiten in der Ursuppe

Am Ende aber tappt der Abend dann aber doch in die selbst gestellte Falle. Die doppelte Totalität von Schmerzerfahrung und der Institution Klinik kennt kein Außen, nicht mal eine Zukunft, keine Geschichte – und keine Handlung. Und so plausibel die klinische Gleichmacherei der Figuren nun sein mag: Es macht nicht unbedingt interessantes Theater, wenn zwischen Frau X, Frau K, Frau Sonnenschein von Anfang an kein Blatt passt und selbst verdienstvolle Schauspielerinnen wie Irene Kleinschmidt, Susanne Schrader oder Fania Sorel höchstens Nuancen auszuspielen bleiben.

Schmerzcamp3 1200 Joerg LandsbergLeidenslandschaft: das Ensemble im Bühnenbild von Anton von Bredow © Jörg Landsberg

Was bleibt, ist der Diskurs. Aber auch politisch wird es fahrig, wo der Text es aufgibt, die hilflosen von den ignoranten oder böswilligen Lösungsansätzen der Wissenschaft zu unterscheiden. Gendermedizin, Sterbehilfe, Gesundheit als soziale Frage: So überdeutlich der Text komplexe Fragen vor sich herträgt, so verblüffend einfach macht er es sich mit den Antworten, denunziert das medizinische Personal als unfähig – und beschwört spätestens in den immer wieder eingestreuten Traumvideos von Laura Weissenberger und Anna-Sofie Lugmeier eine mystische-weibliche Gegenidentität in triphaften Bildern: mit viel Wasser, Morast, Loops, Überblenden und irgendwie unbestimmt Organischem.

Kein Zweifel: Solange Patriarchat und Kapital die Ziele abstecken, ist vom Gesundheitswesen keine bessere Welt zu erwarten, und wenn es noch so tapfer rumforscht. Es aber eben einfach so besser zu wissen und irgendwelche Wahrheiten aus der Ursuppe zu fischen, ist allerdings auch keine sonderlich einladende Vorstellung. Und genau danach fühlt sich die Rebellion im "Schmerz Camp" an.

 

Schmerz Camp
von Patty Kim Hamilton
Regie: Christiane Pohle, Bühne: Anton von Bredow, Kostüme und Video: Laura Weissenberger und Anna-Sofie Lugmeier, Licht: Daniel Thaden, Sounddesign: Evamaria Müller, Dramaturgie Regula Schröter.
Mit: Susanne Schrader, Leila Abdullah, Claudia Gyasi Nimako, Moné Sharifi, Irene Kleinschmidt, Judith Goldberg, Fania Sorel.
Uraufführung am 16. November 2023
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause

www.theaterbremen.de

Kritikenrundschau

Das Bühnenbild habe ihr eingeleuchtet, so Christine Gorny von Bremen Zwei (17.11.2023). "Auch die kleinen surrealen Filmeinspielungen von den Akteurinnen waren stimmungsvoll, wenn sie draußen in der Natur tanzen, rennen oder Erde umgraben. Aber das ganze Geschehen hat mich nicht überzeugt. Die Dialoge und Monologe sind langatmig und berühren einen nicht." Wo das Stück witzig sein solle, wirke es eher albern.

 

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