Die Tragödie des Macbeth - Deutsches Theater Göttingen
Hohler Kern der Macht
von Kai Bremer
Göttingen, 13. April 2019. Zusammen mit der Bühnenbildnerin Jennifer Hörr hat Christoph Mehler mit "Macbeth" eine Art optische Inversion seiner "Peer Gynt"-Inszenierung vorgelegt, die Anfang des Jahres in Darmstadt herauskam. Während damals ein leichter, die Schneelandschaften andeutender Vorhang die Bühne mal rahmte, mal ihren Boden auskleidete, bildet in Göttingen nun ein roter, die blutige Tyrannis symbolisierender Vorhang den Hintergrund. Immer wieder wird er exorbitant aufgebläht – zur gewaltigen Geschwulst, die den ansonsten schwarzen Bühnenraum ausfüllt, die ungezügelte Ausweitung der Schreckensherrschaft hervorragend versinnbildlicht und zugleich die Frage aufwirft, ob ihr Zentrum tatsächlich derart substanzlos ist, wie das der ballonartige Vorhang, der die Bühne überwölbt, nahelegt.
Psychische Deformationen
Mehler nutzt den Vorhang zudem, um facettenreich die Szenen in Shakespeares Tragödie anzudeuten. Der Vorhang kann so zusammengerafft werden, dass er einem gewaltigen Seil gleicht, mit dessen Hilfe die Glocken geläutet werden, um die Nachricht von der Ermordung König Duncans im Hause Macbeth zu verkünden. Auch die zahlreichen Toten verschwinden immer wieder darunter oder werden in das rote Tuch eingewickelt. Das sorgt für einfache wie eindringliche Bilder, die durch die Kostüme, die ebenfalls Jennifer Hörr gestaltet hat, kontrastiert werden: Elisabethanische Halskrausen und Pluderhosen kombiniert sie mit langen Unterhosen, Unterhemden und langhaarigen Zottelperücken. Derart ausstaffiert tobt und schleicht etwa Volker Muthmann als Macbeth wie ein machtgeiler Iggy Pop mit Krone unter wie vor dem roten Vorhang.
Die immer wieder neu entstehenden Bilder faszinieren dabei besonders, weil sie die Dynamik der Handlung und die psychische Deformation des Titelhelden wie von Lady Macbeth (Judith Strößenreuter) veranschaulichen. Allerdings fällt die Musik hinter den vielfältigen optischen Eindrücken deutlich ab. David Rimsky-Korsakow arbeitet regelmäßig mit Mehler und Hörr zusammen. Gleichwohl ist dem Komponisten kaum einmal mehr eingefallen, als eine filmmusikartige Untermalung.
Das fällt deswegen besonders auf, weil die Inszenierung ansonsten auf allen Ebenen ungemein konzentriert wirkt. Dieser Eindruck ist zunächst Folge davon, dass Mehler das Personal radikal reduziert. Er kommt mit Judith Strößenreuter und fünf Schauspielern aus. Neben den Macbeths hat allein Gabriel von Berlepsch als übertrieben naiver und liebestoller Banquo eine Einzelrolle. Den notwendigen Rest (Hexen, Mörder und die erforderlichen schottischen Adeligen) meistern Florian Donath, Daniel Mühe und Christoph Türkay großartig.
Das Spiel des Schicksals
Mehler lässt die Schauspieler die Übersetzung von Thomas Brasch oft aggressiv sprechen, manchmal lockert er sie mit kleinen Wortspielchen auf und dehnt die Betonungen. Das korrespondiert sehr gut damit, dass die Übersetzung eh vergleichsweise stark am Gegenwartsdeutsch orientiert ist und sich erkennbar von der klassischen Übersetzung von Dorothea Tieck abhebt. Nur Strößenreuter als Lady Macbeth akzentuiert ihre Verse nicht nur, sondern betont sie zudem, indem sie die Tonhöhe stark variiert.
Den Kritiker hat das auf die Dauer zwar etwas genervt. Den meisten Zuschauer*innen jedoch ging das offenbar anders. Strößenreuter löste beim ohnehin schon begeisterten Schlussapplaus noch mehr Jubel als der Darsteller des Titelhelden, Volker Muthmann, aus. Doch unabhängig davon präsentiert Mehler den Text ausgesprochen zuverlässig. Lediglich die Schlussworte überlässt er nicht dem siegreichen Malcolm und der damit wieder ins Recht gesetzten Herrschaft, sondern den Hexen, wodurch das Spiel des Schicksals unterstrichen wird.
So wird auch betont, dass die Tragödie weniger Macbeths Weg zur Macht als vielmehr sein Ringen um deren Erhalt zeigt. Die expressive wie vielfältige Bildsprache von Mehler und Hörr unterstreicht das. Sie sorgt für deutliche Kontraste, ist gestisch und trotzdem nie aktualistisch. Stephen Greenblatt, der Erfinder des New Historicism und exzellente Shakespeare-Kenner, hat jüngst mit "Der Tyrann" eine Re-Lektüre verschiedener Tragödien des englischen Dramatikers vorgelegt, die zugleich als Parabel auf den Aufstieg und die Herrschaft Trumps angelegt ist. Mehler verweigert sich einer solchen Vereindeutigung. Er zeigt die grundlegenden Mechanismen der Macht, ihres Erhalts und – ja – ihres letzlich substanzlosen Kerns.
Die Tragödie des Macbeth
von William Shakespeare
Deutsch von Thomas Brasch
Inszenierung: Christoph Mehler, Bühne und Kostüme: Jennifer Hörr, Musik: David Rimsky-Korsakow, Dramaturgie: Verena von Waldow.
Mit: Gabriel von Berlepsch, Florian Donath, Daniel Mühe, Volker Muthmann, Judith Strößenreuter, Christoph Türkay.
Dauer: 2 Stunden, 10 Minuten, keine Pause
www.dt-goettingen.de
"Das ist eigenartig. Das ist packend. Vulgär freilich auch", schreibt Ulrich Meinhard im Göttinger Tageblatt (14.4.2019) über die Eingangsszene von Mehlers Inszenierung. Die Inszenierung wirke "wie ein Knäuel, beeindruckend untermalt mit dem überdimensionalen roten Stoff, der sich immer wieder und mehr und mehr aufbläht". In Sachen Geschmack sei die Inszenierung "an mancher Stelle eine Grenzerreichung": "Nichts gegen Freikörperkultur, doch ist das Zeigen von Geschlechtsteilen immer noch eine Intimität, die nicht unbedingt eines Publikums bedarf. Wozu also der ausgedehnte Nackttanz eines Mannes dienen soll, ist nicht ganz klar." Aber: "Das Ganze ist ein Spektakel. Zweifelsohne sehenswert."
Äußerst intensiv, teilweise aber auch etwas albern findet Bettina Fraschke von der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (15.4.2019) Mehlers "Macbeth". Die Inszenierung arbeite „das Monströse, Horrormäßige des Stoffs“ heraus und verorte es in der Psyche des Menschen. Poppig-grelle Bilder passten zum stringent gespielten Psychohorror. Die blutrote Fallschirmseide des Vorhangs spielt auch für diese Kritikerin eine Hauptrolle: "In Macbeths verzweifelten Monologen ist er mannshoch umgeben von rotem Gewölk. Wenn er von düsteren Ahnungen heimgesucht wird, nähern sich geisterartige Figuren unter dem Stoff, nur deren Konturen sind sichtbar – das erzeugt tolle Effekte". Lediglich die Textverständlichkeit leide, "durch den Windmaschinenlärm und eine recht dröhnige Musik von David Rimsky-Korsakow".
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es war kein ganz schwacher Abend. Aber mehr auch nicht. Und die Figuren bleiben gehörig auf der Strecke. Da war für mein Empfinden ( ja ich gebe es zu: ich bin Abonnent) schon sehr viel hausgemachter Premierenjubel dabei. Man bemerkt schon, von woher im Zuschauerraum der Hype kommt. Und dann erkläre mir bitte einer dieses endlose, in allen Tonlagen nervtötende, schier nicht aufhören wollende Gekreische der Lady Macbeth. Absolut sinnlos unerträglich und schlecht. Also ich habe schon weitaus bessere Abende im DT gesehen.
Deutsches Theater in Göttingen
Ich bin ein Kulturbanause. Ja, ich schäme mich dafür, die Leistung des Weltklasse Balletttänzers Sergei Polunin, vor wenigen Wochen in München nicht mit einer stehenden Ovation und lauten Pfiffen gewürdigt zu haben. Er hatte sich einige, auch für den Laien deutlich erkennbare Patzer erlaubt, nachdem er es nicht für nötig gehalten hatte der Generalprobe beizuwohnen.
Hätte ich geahnt was mich bei der Premiere von Macbeth am Abend des 13. April 2019 in Göttingen erwartet, würde ich wohl noch heute in der Bayerischen Staatsoper voller Begeisterung für Polunin, Purzelbäume schlagen. Denn im Gegensatz zu dem was Göttingen gestern Abend an Unterhaltung bot, hat in München jeder Kulturanfänger erkannt, was professionelle Unterhaltungskunst mit „kulturellem Touch“ von Tänzern, Musikern, Bühnenbildnern und dem Rest der Beteiligten abverlangt.
Der gestrige Abend war sprichwörtlich maßgebend. Künftig wird man die Qualität von Theaterstücken, weltweit, wohl in der Einheit GÖM messen – dem „GÖttinger Macbeth“. Je größer die Werte für das GÖM, desto schlechter das Stück. Werte nahe 0 GÖM spiegeln demnach ein gelungenes Stück und das Maximum, 1 GÖM, etwa die Qualität dessen wider, was dem Zuschauer gestern Abend geboten wurde. Ein Wert von ein wenig mehr als 1 GÖM geht dann - und das lässt sich an dieser Stelle nur vage vermuten – mit unmittelbaren Vergiftungserscheinungen, wie erbrechen, spontaner Erblindung und dem nicht unterdrückbaren Drang nach Suizid einher. „Nah dran“, das kann man den Verantwortlichen des gestrigen Abends jedenfalls versichern. Die beteiligten haben wohl versucht die Grenzen des Machbaren an schlechter Unterhaltung zu sprengen. Es ist gelungen. Hätte einer der Zuschauer aus den oberen Rängen, durch einen Sprung in die Tiefe den Freitod gewählt, wäre es nicht nur mehr als verständlich, sondern auch für alle anderen die Rettung des Abends gewesen – natürlich in der Hoffnung, das Stück hätte durch dieses Ereignis sein vorzeitiges Ende gefunden.
Was war los, in Göttingen? In einem Satz: Der Anus des Mannes und sein Johannes. Selbst die Bezeichnung „moderne Inszenierung“ wäre als Vorwarnung für all jene, die das Wort „Kultur“ auch nur im Ansatz buchstabieren können ein Schlag ins Gesicht. Bereits nach 5 Minuten zog der erste Kunst- bzw. Sozialpädagogikstudent (aka „Schauspieler“) blank und streckte seinen Anus in Richtung Publikum, um nur wenig später bar-hodig, mit seinem Geschlechtsteil wild durch die Luft wedelnd über die Bühne zu hüpfen. Das war mindestens sexistisch. Warum? Ich habe an diesem Abend einen männlichen Anus und viele Penisse gesehen, und letztere der Größe nach – viel war nicht zu holen – vergleichen dürfen. Da hätten wenigstens die sekundären Geschlechtsmerkmale der einzigen Frau auf der Bühne auf genauso sinnfreie Art inszeniert werden können.
Am meisten beängstigt mich, dass das Gezeigte tatsächlich so geplant und nicht – wie zunächst vermutet - das Ergebnis eines spontanen Treffens von 6 LSD-Konsumenten war.
Bühnenbild? Praktisch nicht vorhanden. Gut. Etwas roter Stoff, Luft und Nebel kann durchaus visuell beeindrucken. Wenig erträglich wird das Ganze, wenn gefühlt während 75% der Spielzeit 5 junge Männer, die es gar nicht abwarten konnten entweder Brust, Anus oder wahlweise Hoden zu zeigen, und eine Frau in besagtem Stoff chaotisch herumtrampeln und unverständlich sinnentleerte Sätze vor sich hin brabbeln.
Warnend kann man allen Beteiligten nur zwei Ratschläge geben:
1.) Finger weg von harten Drogen! und
2.) nach dem Sozialpädagogikstudium und dem obligatorischen Auslandssemester nie wieder ein Theater zu betreten.
Und das Publikum? Der Altersdurchschnitt lag gefühlt deutlich über dem Rentenalter. Im Mittel war es damit etwa doppelt so alt, wie ich. Es klatschte, mindestens zum Teil. War es Höflichkeit? Ich hoffe es inständig. Eine plausiblere Erklärung wäre hingegen, dass die Besetzung unbemerkt „Drogen-Sharing“ mit einem Teil des Publikums betrieb oder den Rauch mit Lachgas vermengte, um den Schmerz erträglicher zu machen.
Was soll ich sagen? Ich bin zu alt für diesen präpubertären Zwangsvulgarismus.
Ich kann den Kritiken der Nachtkritik und des Göttinger Tageblatts nur zustimmen. Ein Theaterspektakel, dass man gesehen haben muss, Aber nicht jedem gefallen wird. Endlich ist das DT mal erwacht und mit ihm das Ensemble. Das wurde auch vom Premieren -, Abonnentenpublikum und Gästen mit starkem Applaus übrigens auch für die Regie belohnt. Kann man nicht leugnen. Danke Herr Mehler.
Das Ensemble schien mit dem Regieteam verwachsen, sie haben hochenergetisch, präsent und punktgenau gespielt. Die spielerische Form wurde von allen virtos verteidigt und ihren Shakespeare haben sie beherrscht. Inhalt und Form waren schlüssig miteinanderverwoben. Handwerklich sauber und hinreißend expressiv und körperlich von Regie und Ensemble durchdekliniert und von der Ausstattung wunderbar durchgestylt.
Ja, auf Nacktheit, Orgien und die Grobheit kann man auch verzichten, da bewegt man sich nun wirklich in der Welt des Geschmackes. Eine intellektuelle Großleistung war es nicht. Aber ich glaube es musste wohl mal raus aus dem sonst auf braver, humorloser Sparflamme spielenden Ensemble. Es hat gefetzt. Aber geschockt oder empört war da aber gestern nun wirklich keiner. Das nahmen auch die Abonnennten ordentlich hin.
Wer Psychologie und tiefe Emotion sucht, sucht da vergeblich. Das Konzept war eher grob und kraftvoll, aber immerhin eine ehrsehnte Ansage und nicht weichgespült und pseudointellektuell wie sonst.Einfach ehrlich. Gut gearbeitet, im Gegensatz zu eben erwähnten Liederabend Schwanengesang. Bei dem sich zwar alle Gewerke voll reingehauen haben, die Regie aber nicht mal in der Lage war dem Ensemble wenigstens die richtigen Töne beizubringen. Ein Macbeth Besuch in Göttingen lohnt sich, um sich ein eigenes Bild zu machen.
Mir ist es zum Glück besser ergangen, als dem Premierenbesucher, der mit der Inszenierung offensichtlich nichts anfangen konnte. Für mich war es ein dynamisches Spektakel mit tollen Bildern, spielfreudigen Schauspielern und einer durchaus erkennbar erzählten, immer wieder spannenden Geschichte von Macbeth Macht- und Mordgier. Genial fand ich das Spiel im Spiel und die Idee des roten Tuches, mit dem in diesem blutrünstigen Stück Blut vermieden werden konnte. Langweilig war der Abend für mich keinen Moment...
Mir hat der Abend im Großen und Ganzen gut gefallen. Auch wenn es ein paar Durststrecken gab und nicht jeder der Kollegen über die nötige Schauspielerische Qualität verfügt. Ein Theaterabend, der mich und meine Begleitung aber sehr aufgewühlt und am Tag nach der Premiere noch zu reichlich Diskussionen geführt hat.