Der Tag und die Nacht und der Tag nach dem Tod - Esther Gerritsens Stück beim Go West-Festivalchen
Drei Männer und eine Tote
von Alexander Schnackenburg
Oldenburg, 24. April 2008. Prägnanter geht's nimmer: "Go West" nennen Generalintendant Markus Müller und Festivalleiter Jörg Vorhaben das gemeinsame Kind: Am Oldenburgischen Staatstheater dreht sich dieser Tage alles um neue Dramatik aus Flandern und den Niederlanden. Der Auftakt des Festivals aber, die Oldenburger Eigenproduktion von Esther Gerritsens "Der Tag und die Nacht und der Tag nach dem Tod" macht – vorsichtig formuliert – nur bedingt Lust auf mehr.
Am genauesten hat die niederländische Autorin ihrem Stück ausgerechnet eine Figur umrissen, die wir gar nicht zu sehen bekommen – weil sie gleich zu Beginn des Stücks stirbt. Sie ist bzw. war die Ehefrau des einen, die Schwester des anderen und die Mutter des dritten Mannes auf der Bühne. Und in den Erzählungen der Herren, so scheint's, beginnt die Dame zeitweise wieder zu leben. Es geht in dem Stück – unter anderem – um Trauer: darum, wie unterschiedlich die drei Männer mit dem Tod der geliebten Angehörigen umgehen und wie sehr sie einander brauchen, obwohl sie doch rein gar nichts miteinander anfangen können.
Momente eines Generationenkonflikts
Im Grunde ein schöner Nährboden für ein wahlweise makabres, perfides, lustiges oder auch besinnliches, leises und trauriges Theaterstück. Umso bedauerlicher, dass es Esther Gerritsen nicht gelungen ist, den sprechenden Figuren genauso viel Leben einzuhauchen wie der Toten aus des Stückes Vorgeschichte. Regisseur Jasper Brandis weiß sich zeitweise nicht anders zu helfen, als die zahlreichen Leerstellen des Stücks mit blanker Schaumschlägerei auszufüllen: Da wird etwa aus einem Goldfischglas im Text ein zweieinhalb Meter langes Aquarium, aus einem Schubser auf der Treppe eine wüste Schlägerei. Viel hilft's nicht.
Das größte Potential des Stücks liegt wohl in seinem Vater-Sohn-Konflikt. Während auf der einen Seite der Vater vorrangig darum bemüht zu sein scheint, den geregelten Gang des Alltags aufrecht zu erhalten, schnellstmöglich zu einer 'Normalität' zurück zu finden, fordert sein Sohn (Vincent Doddema) in pubertärer Intensität Gesten der Trauer. Mehr noch: Er will, dass der Vater seine Gefühle artikuliert, wohlwissend, dass dieser dazu nicht fähig ist. Momente eines Generationenkonflikts blitzen da auf, und für einen Augenblick, für eine kleine Szene packt die Handlung den Zuschauer dann doch.
Stotternd an der Rampe
Norbert Wendel in der Rolle des Vaters steht zu Beginn, das Mikrophon in der Hand, an der Rampe und stottert, hilflos nach Worten ringend: "... wenn deine Frau – wenn deine eigene – wenn deine Frau – die – Ja? Ja? Kapierst du? Wenn deine Frau – dann – dann – Verdammt noch mal, ja?" Ein Mensch der Kriegskind-Generation, der hier auftritt: durchaus sensibel, doch oftmals nicht in der Lage, über Gefühle zu sprechen. Wendel trifft den Ton genau; es bleibt jedoch die einzige berührende Szene des Abends.
Denn schon bald beginnt das Mikrophon an der Rampe, durch das nun jeder einmal ein paar Sätze singen oder sprechen darf, dem Zuschauer schlicht auf die Nerven zu gehen. Jasper Brandis muss man jedoch zu Gute halten, dass er kaum eine andere Wahl hatte, als den dünnen Text ein bisschen aufzuplustern, um das Stück so als Groteske oder gar als Comic zu inszenieren. So stellt sich der dritte Mann auf der Bühne, der Bruder (Thomas Birklein), bereits in Szene eins, "Der Tod", als verkappter Supermann vor: "Ich rette die Welt. Das ist mein Beruf", lauten seine ersten Worte. Und damit es jeder glaubt, hat Jasper Brandis ihn in ein grünes Supermann-Kostüm hüllen lassen: "RR" ("Rudolf rettet") prangt an Stelle des großen "S" auf der Brust des Helden, der doch womöglich gar keiner sein soll.
Deutlich wird das allerdings nicht. Auch nicht, ob es sich bei diesem Supermann 'tatsächlich' um den Retter der Welt oder lediglich um einen Spinner handelt. Regisseur und Autorin lassen es offen. Der Zuschauer aber hat nichts davon. Ihm bleibt eine nahezu bedeutungslose, letztlich überflüssige Figur, was bei nur drei Figuren insgesamt logischer Weise kaum aufzuwiegen ist.
Der Tag und die Nacht und der Tag nach dem Tod
von Esther Gerritsen, übersetzt von Eva Pieper, deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Jasper Brandis, Ausstattung: Saskia Louwaard, Dramaturgie: Anna-Lena Schulte.
Mit: Thomas Birklein, Vincent Doddema und Norbert Wendel.
www.staatstheater.de
Mehr am Oldenburgischen Staatstheater in der laufenden Saison: Marc Beckers Inszenierung des Faust 1 und Adams Äpfel, K.D. Schmidts Uraufführung einer Bühnenversion des Films von Anders Thomas Jensen
Kritikenrundschau
Als "steriles Zerrbild" habe Jaspar Brandis die deutschsprachige Erstaufführung von Esther Gerritsens "Der Tag und die Nacht und der Tag nach dem Tod" in Oldenburg inszeniert, meint Sven Kamin in der Nordwest Zeitung (26.4.2008). "Jeder Hauch emotionaler Illusion" sei auf der Bühne dadurch "weggerissen", dass die Figuren die Regieanweisungen mitsprächen, Soundeffekte auf offener Bühne selbst produzierten oder mit dem Souffleur redeten. "Umso schwerer" sei es für die Schauspieler, "ein wenig emotionale Wärme in das Stück zu bringen". Die "überzeichnete Künstlichkeit der Szenerie" bewirkt beim Kritiker "zuweilen fast körperliches Unbehagen, so dass man auf die Bühne springen und die Figuren wachrütteln möchte". Im "Ozean der Spielideen", in dem sich die Schauspieler "lustvoll" austobten, sichtet er durchaus "szenische Perlen", leider aber ebenso "viele überdrehte Regieblasen, die wirkungslos zerplatzen."
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