Und fickt euch!

von Falk Schreiber

Hamburg, 4. Mai 2018. Zunächst ist da babylonische Sprachverwirrung. Im Video blicken die russische Pussy-Riot-Aktivistin Mascha Aljochina, der kroatische Theaterregisseur Oliver Frljić und der iranische Musiker Shahin Najafi ins Publikum. Und reden. Russisch, kroatisch, persisch, ein großes unverständliches Durcheinander, das erst nach einigen Minuten aufgelöst wird, als Janina Rudenska, Tina Keserović und Arash Marandi von den Rängen aus ins Geschehen eingreifen und simultan übersetzen. Von diesem Moment an versteht man überhaupt erst, mit wem man es in Branko Šimićs "Protest Portraits" zu tun hat, von diesem Moment an versteht man, um was es hier geht.

Šimić kuratiert zum wiederholten Male das Minifestival "Krass" im Hamburger Produktionshaus Kampnagel, das traditionell mit einer eigenen Regiearbeit des Festivalleiters eröffnet wird. Und weil das "Krass"-Thema dieses Jahr Widerstandsstrategien sind, geht es in "Protest Portraits" um Figuren, die in Šimićs Augen beispielhaft für künstlerischen Widerstand stehen. Im Video sieht man, wie eine Pussy-Riot-Performance zusammengeprügelt wird, und Aljochina beschreibt (von Rudenska gedoubelt), dass es sich hier um eine Aktion während der Olympischen Winterspiele in Russland gehandelt habe, und dass die Schläger putintreue Kosaken seien. Man sieht Demonstrationen von Hooligans und Rechtsradikalen, und Frljić erläutert, dass das Demonstrationen in Kroatien und Polen gegen seine Inszenierungen seien (und Keserović kichert böse, dass sich in Osteuropa die Rechten anscheinend fürs Theater interessieren würden). Man sieht das Video zu Najafis Song "Mammad Nobari", lustig-arabesker Elektropop, und der Sänger erzählt (in Marandis Worten), dass er für sein Lied "Naghi" mit einer Fatwa belegt worden sei – ein Lied, das sich auf einen für seinen Humor bekannten Imam bezieht.

Versatzstücke aus dem Pathosbaukasten

Das sind inhaltlich klug gesetzte Tiefschläge, die eindrücklich begründen, weswegen Šimić diese drei Künstler als Beispiele für sein Widerstandstableau ausgewählt hat. Auf der Bühne ist das Ergebnis allerdings ein schwer textlastiges Unterfangen, das aus theatraler Sicht nicht besonders weit über die gezeigten Videos hinaus weist (und die Performer angesichts der schieren Textmenge mehr als einmal an ihre Grenzen führt). Die wenigen genuin bühnenspezifischen Elemente, das wütende Donnern gegen die Blechwand, auf die die Videos projiziert werden, die musikalischen Akzente, die Susana Bradarić an der singenden Säge setzt, schließlich die Distanzierungen, die die Performerinnen zu ihren Stellvertretern auf der Videoleinwand einnehmen, sind Versatzstücke aus dem Pathosbaukasten, die angesichts der beschriebenen politischen Verwerfungen seltsam formelhaft daherkommen. Aus den Boxen dräut Abbas "SOS" in der verschleppten Portishead-Version, und Keserović sackt dazu in Zeitlupe in sich zusammen – ja, meine Güte, was will man zu solch hundertfach gesehenen Bildern noch sagen? Das politische Diskursniveau des Abends ist damit jedenfalls auf einer Höhe angekommen, auf der Rudenska beseelt "Eine andere Welt ist möglich!" in den Raum wirft – und dass sie dann ein "Und fickt euch!" anschließt, hilft vielleicht ein bisschen. Aber nicht wirklich viel.

ProtestPortraits 560 MarioIlic Live-Trailer: Performer*innen vor Videobildern © Mario Ilic

Aber vielleicht will "Protest Portraits" ja gar nicht wirklich politischer Diskurs sein, der über die Aufforderung hinausgeht, dass sich Chamenei, Putin und Kaczyński (die mittlerweile im Video feist vor sich hingrinsen) ficken sollen. Vielleicht ist "Protest Portraits" überhaupt kein Stück, sondern ein überlanger Trailer für das weitere Festival – am 4.5. jedenfalls läuft auf Kampnagel der Dokumentarfilm "Pussy Riot Portraits" mit Mascha Aljochina, am 10.5. das Filmporträt "Wenn Gott schläft" über Shahin Najafi, am 11.5. gibt Najafi ein Konzert, und am 12.5. ist Oliver Frljićs Inszenierung "Der Fluch" zu sehen. Und, wer weiß, vielleicht ist es ja gar nicht verwerflich, dass einem Šimić vor allem Lust macht, die Kunst zu sehen, über die hier lange und ausdauernd geredet wurde. Als Schlussbild jedenfalls flexen die Performerinnen drei Löcher in die Blechwand, Durchgänge in die Sphäre, um die es eigentlich gehen wird: Kunst. Politik. Widerstand.


Protest Portraits
von Branko Šimić
Regie: Branko Šimić, Kostüme: Ines Balić, Bühne: Ute Radler, Musik: Susana Bradarić, Video: Marat Burnashev, Dramaturgie: Nikola Duric.
Mit: Arash Marandi, Tina Keserovic, Janina Rudenska.
Dauer: 2 Stunden, keine Pause

www.kampnagel.de

 

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