Unhappy Hipsters

20. Januar 2024. Jan und Eva leben ein Leben voll stilbewusster Langeweile, bis ein Krieg ausbricht. Mattias Andersson adaptiert Ingmar Bergmans Filmstoff von 1968 mit bösem Humor und verstörenden Irritationen für die Gegenwart – und das Theater.

Von Falk Schreiber

"Schande" nach Ingmar Bergman am Thalia Theater Hamburg © Armin Smailovic

20. Januar 2024. Alles so schön aufgeräumt hier. Die Wohnküche, die sorgsam abgeschliffenen Dielen, der Steingarten, und sogar der Komposthaufen. Jan (Jirka Zett) und Eva (Maja Schöne) haben sich eine kleine Hygge-Zuflucht an der Küste geschaffen, weitab von der Großstadt.

Vor Jahren spielten sie gemeinsam in einer Band, mittlerweile arbeitet sie als Architektin im Homeoffice, er schreibt an seiner Masterarbeit. Sie ist dabei die Patent-Überspannte, er der Lethargiker, kein glückliches Paar, aber ein Paar, das sich seine Weltflucht halbwegs funktionierend zusammengezimmert hat. Halbwegs.

Naheliegende Paarung

Vor rund zehn Jahren gab es eine Instagram-Seite namens Unhappy Hipsters, die die Leere und Abgründigkeit der Menschen mit Fotos aus High-End-Architekturzeitschriften beschrieb: Solch ein unglückliches Hipsterwesen ist Maja Schönes Eva, wie sie da jetzt barfuß und im leichten Nachthemdchen in ihrem sonnendurchfluteten Heim einen Spinat-Brokkoli-Smoothie zubereitet.

1968 beschrieb Ingmar Bergman in seinem Film "Schande", wie die Flucht eines Intellektuellenpaares aufs Land scheitert, und Mattias Andersson, im Hauptberuf Intendant des Stockholmer Dramaten, inszeniert seine eigene Theaterfassung des Stoffs in der Nebenspielstätte Gaußstraße des Hamburger Thalia Theaters. Vielleicht ist das ja eine allzu naheliegende Paarung: Ein schwedischer Theatermacher bringt einen Stoff des bis heute wichtigsten schwedischen Filmemachers auf die Bühne (der am "Dramaten" einst selbst Regisseur und Theaterleiter war). Allerdings weiß Andersson schon etwas mit der Vorlage anzufangen, indem er sie im klugen Abbildungsrealismus auf die Kriegsangst des Jahres 2024 anwendet.

Wankende Sicherheiten

Also: Jan und Eva leben ihr Leben in stilbewusster Langeweile vor sich hin. Sie wünscht sich ein Kind, er weiß nicht so richtig. Manchmal haben sie tendenziell unbefriedigenden Sex, manchmal kommt Nachbar Jacobi (Bernd Grawert) vorbei, dann wird eine Flasche geöffnet oder mehrere. Jacobi ist einsam, er genießt die Nähe der jungen, kreativen Menschen, entsprechend bleibt er immer ein bisschen länger als es schicklich wäre. Aber man spürt auch ein Machtgefälle, Jacobi hat Geld, und vor allem hat er was zu sagen, in einer Welt, in der Hierarchien plötzlich wichtig werden – es gibt anscheinend eine militärische Bedrohung, die Küste ist das Aufmarschgebiet einer feindlichen Armee, und der Nachbar befehligt eine Verteidigungseinheit. Die allerdings nicht verhindern kann, dass der Feind über die Grenze kommt, zunächst nur kurz, bevor er wieder verschwindet. Was die Sicherheiten nachhaltig ins Wanken bringt.

Schande1 ArminSmailovic uWeltflüchtlinge in der Wohnküchenbastion: Maja Schöne und Jirka Zett © Armin Smailovic

Gespielt wird das recht filmisch, wozu auch Ulla Kassius' ultrarealistische Ausstattung beiträgt. Mal inszeniert Andersson dazu komödiantische Schlenker (die Zett gut beherrscht), mal einen Zug ins Bittere (das eher Schönes Metier ist). Das ist unterhaltsam, es ist auch spannend, zu spüren, wie sich nach und nach die Gefahr in die beschriebene Welt einschleicht. Und zwar in Form von Jugendlichen, die vor dem Haus lungern – sie machen nicht Böses, aber sie hängen rum, in Hoodies und zu weiten Hosen, und sie sind nicht "hygge". Als dann der Krieg da ist, tragen sie Waffen, aber sie benutzen sie nicht, und die Verhöre finden im Off statt, mit Stimmen ohne Körper.

Konsequente Verrätselung

Das macht Andersson sehr schön: Er baut Irritationen in seine Inszenierung ein, er lässt während einer (eher unoriginell choreografierten) Sexszene schamhaft das Licht abblenden, aber dann wird es wieder hell, dann wieder dunkler, man versteht nicht mehr, was hier gerade als Theater passiert, so wie die Figuren nicht verstehen, was bei ihnen los ist. Nur dass ihre sanft aufgeräumte Welt nicht mehr zusammenpasst, das verstehen sie durchaus.

Gegen Ende allerdings hält die Inszenierung diese konsequente Verrätselung nicht mehr durch und verrennt sich im Eindeutigen. Die Angreifer waren kurz im Land, sie haben Eva und Jan verschont, weswegen die Verteidiger das Paar der Kolaboration verdächtigen. Jacobi räumt diesen Verdacht aus, allerdings nicht uneigennützig: Er macht Eva zu seiner Geliebten. Und als der Feind ein zweites Mal angreift, rächt Jan sich grausam für diese Demütigung. Zett spielt diesen Umschwung des halb sanften, halb nervtötenden Charakters sehr genau. Er nimmt dabei aber der Figur auch ein Stück ihres Geheimnisses, was insofern schade ist, weil das Geheimnisvolle eigentlich der Mehrwert von Anderssons Theaterfassung gegenüber Bergmans Film war.

Entsprechend gibt es dann doch noch explizite Gewalt, die in einen langen, vielleicht zu langen Schlussmonolog Schönes mündet, der den Titel "Schande“ offensichtlich macht. Das apokalyptische Ende der Filmvorlage hingegen spart sich die Inszenierung, sie hat es auch nicht nötig. Wirklich freischwimmen von ihrer Vorlage kann sie sich trotzdem nicht. 

 

Schande
von Ingmar Bergman
in einer freien Bearbeitung von Mattias Andersson
Deutsch von Hannes Langendörfer
Uraufführung
Regie: Mattias Andersson, Bühne und Kostüme: Ulla Kassius, Sounddesign und Komposition: Anna Sóley Tryggvadóttir, Dramaturgie: Susanne Meister
Mit: Bernd Grawert, Maja Schöne und Jirka Zett sowie Viktoria Homeniuk, Tiddiane Jamayn Dialio / Moritz Leon Hübner / Jon Löhrs / Jan Philipp / Paul Smolich, Stimmen: Mattias Andersson, Julian Greis, Michael Grötzsch, Yida Guo, Johannes Hegemann, Felix Knopp
Premiere am 19. Januar 2024
Dauer: 1 Stunde 25 Minuten, keine Pause 

www.thalia-theater.de

 

Kritikenrundschau

Peter Helling vom NDR (20.1.2024) bestaunt Maja Schöne und Jirka Zett. "Man möchte ihnen immer weiter zuschauen. Den beiden gelingt ein Bravourstück des psychologischen Spiels." Mit dem Auftreten der Jugendlichen, der Stimmen von außen, bekomme der Abend allerdings etwas Hermetisches. Der Kritiker schließt: "Der kurze Abend, der keine Sekunde langweilt, ist mehr eine Etüde, ein Wurf, eine dunkle Melodie. Er spiegelt uns, weitet aber nicht den Blick."

Joachim Mischke vom Hamburger Abendblatt (22.1.2024) stört sich am erhobenen Regie-Zeigefinger, mit dem der Abend ende. Für den bis dahin stimmigen, schmerzhaft treffenden, stark gespielten Abend sei das ein enttäuschend plumper Schluss.

"Verstörend aktuell" findet Egbert Tholl Bergmanns Film, wie er in der Süddeutschen Zeitung (24.1.2024) schreibt. Andersen inszeniere den Plat in Hamburg "ruhig, leise, außerordentlich präzise - und doch in der stillen Wirkung dröhnend laut". Vieles bleibe offen. "Der tote Deserteur, der tote Jacobi, das vollkommene Unentschieden, auf welcher Seite sie stehen - das alles findet seinen Abdruck in einer zerfallenden, im Schmerz weiter behaupteten Liebe, die keine Chance in dieser Welt hat."

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