Amphitryon - Am Schauspiel Frankfurt treibt Andreas Kriegenburg Kleist das Lustspielhafte aus
Triste Ich-Wahrheiten
von Shirin Sojitrawalla
Frankfurt, 9. Februar 2018. In Zeiten, in denen man bei Olymp an Herrenhemden denkt, haben Gottheiten keinen leichten Stand. Im Leben wie auf dem Theater. Kein Wunder also, dass die Götter in Frankfurt so geschäftsmäßig daherkommen wie die Erdlinge auch. Merkur als der Doppelgänger Sosias' erscheint als leisetretender Beamter, dem die intriganten Finger unterm Anzugärmel jucken. Und Jupiter (Fridolin Sandmeyer), der Gott der Wolken, ist als Wiedergänger Amphitryons alerter Geschäftsmann auf dem Sprung.
Verloren wie nicht abgeholte Gepäckstücke
Kleist führt in seinem 1807 veröffentlichten, aber erst 1899 uraufgeführten Lustspiel "Amphitryon" nach Molière zwei Paare spiegelbildlich an der Nase herum: Jupiter verführt in Gestalt von Amphitryon dessen Gattin Alkmene, während Merkur in die Gestalt von Amphitryons Diener Sosias schlüpft, wenn er auch die Finger von dessen Frau Charis (Friederike Ott) lässt. Eine Verwechslungskomödie im Geiste der Identitätskrise. Andreas Kriegenburg verpflanzt das Ganze, das bei Kleist in mythischer Zeit spielt, in einen Transitraum, der Flughafen, Subway, Wahnsinn, Traum oder die nahe Zukunft sein könnte. Eine Durchgangsstation, auf dem die Figuren so verloren herumstehen wie nicht abgeholte Gepäckstücke.
Zu Beginn ertönt Verkehrslärm, Hupen, Brausen. Dann Stille und Spot auf Harald B. Thors fantastische Bühne aus zwei übereinander gelegten Röhren, in denen laufstegbreite Spielflächen bereitstehen. Ein Paralleluniversum, das Unterschiedliches zur gleichen Zeit erlaubt. Zu Anfang sehen wir, wie oben Merkur (Sebastian Reiß) und unten Sosias (Christoph Pütthoff) auftreten, bis Merkur seinen Knecht regelrecht dirigiert. Ein schönes Bild für die Marionettenhaftigkeit des irdischen Seins, doch es blitzt nur kurz und folgenlos auf. Immer wieder ergeben sich oben und unten ganz unterschiedliche Stimmungen. Warmes Licht und heiter beschwingte Verführungsszenen oben, triste Ich-Wahrheiten unten.
Wo Kleist albern ist, wird es ernst
Doch auch wenn das Komische und das Tragische auf diese Weise eine Verbindung eingehen, hat Kriegenburg dem Stück das Lustspielhafte ziemlich ausgetrieben, schon indem er das Tempo rigoros drosselt. Zuweilen reden sie wie in Zeitlupe und bewegen sich auch so. Bizarre Tanzeinlagen, die an Falk-Richter-Inszenierungen erinnern, bei denen die Figuren plötzlich in Schräglagen kippen und den Eindruck erwecken, als wüssten sie nicht, wie ihnen geschieht. Bei Kriegenburg wirken die Allerweltschoreografien aber weniger kunstfertig als vielmehr deplatziert. Auch nicht marthalerhaft, sondern eher, Verzeihung, ein bisschen behämmert, wie Übersprungshandlungen. Womöglich ist es ja genau so gemeint.
Der Rätsel sind da viele an diesem Abend. Was soll uns etwa das stumme Zwischenspiel vor der Pause zur ausgiebigen Pling-Pling-Musik? Mal rennen sie in der unteren Röhre von hier nach da, dann renken oben die Frauen ihre Oberkörper eilfertig über das Geländer. Der Abend wird dabei lang, wie man überhaupt den Eindruck hat, Kriegenburg habe viel Luft ins Stück hineingeblasen. Das, was sich bei Kleist so irre temporeich liest, weil seine Sätze kaskadengleich hinunterstürzen, vibriert hier oft wie Brei. Wo Kleist albern ist, wird es ernst, wo Kleist aufs Ganze geht, scheint es haltlos, wo Kleist Tatsachen stemmt, flüchtet sich die Inszenierung ins Reich der Untoten und der Fantasie. Und das, was bei Kleist Albernheit mit Weitsicht ist, verlacht sich in Frankfurt schon mal als preiswerter Gag.
Wie angeschlagene Ratten in der Kanalisation
Der gern gesehene Gast Max Simonischek spielt Amphitryon dabei als charmant virilen Businesstypen, der mit Rollkoffer in den Krieg zieht. Seine Braut Alkmene verkörpert die seit Spielzeitbeginn neu engagierte Schauspielerin Patrycia Ziolkowska als kraftvoll den Verstand Verlierende. Dass sie bei ihrem ersten Auftritt in Frankfurt häufig wie ein aufgeregter Vogel herumstakst, einknickt, sich klein macht und seltsam verrenkt beim Reden, passt ins Bild einer Frau nicht von dieser Welt. Da fügt es sich bestens, dass alle mikroportverstärkt mit Hall auf der Stimme sprechen.
Im letzten Bild dann hängen Amphitryon und Alkmene erschöpft resigniert in der unteren Röhre wie angeschlagene Ratten in der Kanalisation. Jupiter hat sich gerade als roboterhafter Replikant bewiesen und ihnen einen Herkules in die Wiege versprochen. Alkmenes berühmt berüchtigtes "Ach", das dieses Stück bekanntermaßen beschließt, klingt dann in Frankfurt folgerichtig wie "Mir doch egal".
Amphitryon
von Heinrich von Kleist
Regie: Andreas Kriegenburg, Bühne: Harald B. Thor, Kostüme: Andrea Schraad, Dramaturgie: Marion Tiedtke.
Mit: Max Simonischek, Patrycia Ziolkowska, Friederike Ott, Fridolin Sandmeyer, Christoph Pütthoff, Sebastian Reiß.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.schauspielfrankfurt.de
Konsequent sei an dieser Inszenierung nur das Bühnenbild, schreibt Hubert Spiegel in der FAZ (12.2.2018). "Es liegt etwas entschieden Unentschlossenes über dem dreistündigen Abend, der vor allem ein Problem mit dem Rhythmus hat." Kriegenburg setzte auf retardierende Momente, extreme Verlangsamung, elegische Bilder existentieller Einsamkeit. Seine Versuche, das Tempo ein wenig anzuziehen, kämen zu spät.
Kriegenburgs 'Amphitryon' sei von einem starken Formwillen geprägt, allerdings frage man sich immer wieder, was hier und zu welchem Zweck geformt werde. Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau (12.2.2018) sah einen eigenwilligen Abend, in der eine rasend komische Komödie "gedehnt und gedimmt", "verkompliziert oder eher verziert" werde. "Wenn Kriegenburg uns nicht zum Lachen bringen wollte, sondern dämpfen und irritieren, so ist das gelungen."
"Andreas Kriegenburg und sein Bühnenbildner Harald B. Thor holen das Stück in die global austauschbare Geschäftswelt von Heute: In den beiden übereinanderliegenden Röhren, die zwischen U-Bahn-Tristesse und Designerloft changieren, wartet, liebt, leidet und langweilt sich das Personal", schreibt Bettina Boyens in der Neuen Frankfurter Presse (12.2.2018). Das Übereinanderliegen der großen Tuben erlaube ein raffiniertes Spiel mit szenischer Gleichzeitigkeit.
"Die Inszenierung Kriegenburgs ist Choreografie ebenso sehr wie Sprachspiel – oder will es sein, denn überwiegend ist das eher neckisch als triftig", schreibt Stefan Michalzik auf op-online.de (12.2.2018). Dieser Abend sei in seiner Art vor allem stylish. "Polierte Oberfläche. Berührend, intensiv und dicht ist das nicht, und leider nicht mal komisch."
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