Spektakel im Schützenhaus

11. Februar 2024. Christina Tscharyiski inszeniert den populären Schwank von Franz und Paul von Schönthan aus dem Jahre 1883, um vom immergrünen Irrsinn des Theaters zu erzählen. Quatsch und Schabernack zur Karnevalszeit. Mit Wolfram Koch als König der Narren.

Von Leopold Lippert

"Der Raub der Sabinerinnen" in der Regie von Christina Tscharyiski in Frankfurt © Birgit Hupfeld

11. Februar 2024. Der Schwank ist zwar nicht mehr ganz taufrisch, kommt aber pünktlich zur Karnevalszeit auf den Spielplan: Im Schauspiel Frankfurt inszeniert Christina Tscharyiski das 1883 entstandene Stück "Der Raub der Sabinerinnen" von Franz und Paul von Schönthan, einen Tür-auf-Tür-zu-Theaterspaß über das Theater selbst, und all die großen Versprechungen und Enttäuschungen, die eben nur auf Bühnenbrettern Bedeutung haben.

Und das geht so: Kleinstadtgymnasialprofessor Martin Gollwitz (Isaak Dentler) hat in seiner Jugend eine Römertragödie verfasst, "Der Raub der Sabinerinnen", die er nun selbst eher peinlich findet. Doch der mit seiner Truppe vorbeiziehende Theaterdirektor Emanuel Striese (Wolfram Koch) wittert den Schauwert lokaler Prominenz und überredet Gollwitz zu einer Aufführung im örtlichen Schützenhaus. Und bis das Stück endlich Premiere hat, passiert alles, was dem Genre halt so innewohnt: Verwechslungen, Verheimlichungen, echte und falsche Romanzen, Notlügen und kalkulierte Irreführungen – und ein verflixter Papagei.

Theater mit dem Theater

Tscharyiski inszeniert das Ganze als Innensicht des Theaters ohne jede Welthaltigkeit. Es gibt für das Stück keine Historisierung, keine kulturelle Verortung, keine Haltung zu den plumpen Genderstereotypen aus dem vorvorigen Jahrhundert, kein interpretatorisches Angebot. Dass die Aufführung trotzdem erstaunlich charmant funktioniert, liegt daran, dass an die Stelle von Welthaltigkeit das Ausloten des Theaters als Form, die Freude am Vorführen komödiantischer Mittel tritt. Damit macht Tscharyiski aus dem "Raub der Sabinerinnen" nicht bloß ein Stück über das Theater, sondern führt uns das Theater mit dem Theater vor.

Raub der sabinerinnen 1 c birgit hupfeldMark Tumba, Wolfram Koch, Issak Dentler © Birgit Hupfeld

Auf- und Abtritte etwa: Stéphane Laimé hat ein schlichtes, leicht steriles Bühnenwohnzimmer gebaut, das hauptsächlich aus Türelementen besteht (eines davon sogar dreh- und verschiebbar!). Die sind bühnenräumlich zwar ziemlich überflüssig, aber beinahe selbst Akteure: Durch sie und mit der Klinke in der Hand zelebrieren die Schauspieler*innen blitzschnelles Kommen und Gehen, überraschende Einmischungen und unauffälliges und damit erst recht auffälliges Verschwinden. Oder der Bühnenumbau: Der findet sehr sichtbar und sehr geschäftig hinter halboffenem Vorhang statt und ist eigentlich gar nicht notwendig. Die Sofalandschaft wird von rechts nach links geschoben, was für die Erzählung keinerlei Konsequenz hat, aber dafür durch die darauffolgende Desorientierung der Schauspieler*innen sehr viel komischen Effekt.

Unter der Gürtellinie

Überhaupt das Ensemble, das die Komödie mit fröhlicher Körperlichkeit spielt, immer leicht verfremdet, aber doch nicht so sehr, dass es einem das Lachen verdirbt. In flatternden Outfits in knalligen Farben deklamieren sie emphatisch, sprechen sie beiseite, manchmal auch frankfurterisch (Michael Schütz); sie rangeln, rempeln, sie traumtanzen (Heidi Ecks), und sie fallen in Ohnmacht (Annie Nowak). Alles sehr theatral, alles sehr überdreht.

Und das Theater hat natürlich auch seine Paraderollen: Wolfram Koch nimmt sich als schmieriger Theaterdirektor Striese, oder wie er fein französisiert, "Striesé", auf eine sehr altmodisch-pompöse Art die Bühne. Sein ausgestopftes Alpaka (oder Lama, wer weiß das schon) an der Leine hinter sich herziehend schüttelt er genüsslich sein staubiges Sakko und beginnt sich auszubreiten, mit großer Geste, großer Mimik, und durchgehend betonten Silben. Seine langen fettigen Haare (Kostüme: Svenja Gassen) bleiben auch gerne mal am Mund kleben, er hustet, rotzt, zieht unentwegt an seinem Gürtel, damit die Hose auch nicht runterrutscht. Großartig die Szene, in der er das Theaterskript in eben dieser Hose vor Gollwitz‘ Ehefrau Friederike (Christina Geiße) zu verstecken versucht, was natürlich misslingt, mehrmals. Koch spielt beinahe ein Klischee des komödiantischen Allrounders, und es macht großen Spaß, ihm dabei zuzusehen.

Alle miteinander nach Berlin (zum Theatertreffen?)

Das eigentliche Stück im Stück, Gollwitz' "Der Raub der Sabinerinnen" sieht man übrigens nie: Als es am Ende mit der Premiere losgehen soll, bleibt die Bühne leer und still. Stattdessen gibt es eine übersteigerte Musical-Schunkelnummer, bombastisch live mit großer Band (und kleinen Kunststückchen an Saxophon und Flöte). "Der Raub der Sabinerinnen" war ein Erfolg, mehr oder weniger. Euphorisiert singt das Ensemble: "Wir alle reisen miteinander nach Berlin!" Das ist natürlich auch ein bisschen ironisch selbstverliebt. Man wird sehen.

 

Der Raub der Sabinerinnen
Ein Schwank von Franz und Paul von Schönthan
Regie: Christina Tscharyiski, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Svenja Gassen, Musik: Thorsten Drücker, Dramaturgie: Katrin Spira, Licht: Frank Kraus.
Mit: Isaak Dentler, Heidi Ecks, Christina Geiße, Wolfram Koch, Manja Kuhl, Annie Nowak, Christoph Pütthoff, Michael Schütz, Mark Tumba.
Premiere am 10. Februar 2024
Dauer: 1 Stunde 50 Minuten, keine Pause
www.schauspielfrankfurt.de

Kritikenrundschau

Es brauche schon die Auftritte des erzkomödiantischen Wolfram Koch als Theaterdirektor Emanuel Striese, damit diese Komödie in Fahrt komme und man sich dahin lachen könne, wo man als Zuschauer hinwolle: Unter den Sitz nämlich, schreibt Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (12.2.2024). "Als Koch sich auf die Bühne wanzt, wird es sofort ernsthaft komisch, während er selbst überhaupt nicht ernsthaft komisch ist, im Gegenteil. Gerade Koch spielt heute Abend Boulevard in Reinform, er ist das Gegenteil des verbissenen Theatermachers, und der Stress des Striese ist nicht seiner."

"Dass Regisseurin Christina Tscharyiski aber im gesamten Ensemble eine unbändige Lust an wohldosierter Klamotte entfesselt, ohne in das oft erschöpfende Sperrfeuer eines Herbert Fritsch abzudriften, kommt dem etwas betulichen Schwank aus der Bismarck-Zeit zugute," schreibt Bettina Boyens in der Frankfurter Neuen Presse (12.2.2024). "Wohltuend auch, dass sich Tscharyiski weder um die verstaubten Geschlechterrollen kümmert noch die typischen inhaltlichen Schwank-Funktionsweisen hinterfragt." Stattdessen seien unter Tscharyiskis kundiger Regie unbekümmert losgelassene Schauspielerinnen und Schauspieler, die in den quietschigen Roben Svenja Gassens genießerisch über die Stränge schlagen."

Kommentar schreiben