Schiff der Träume - Am Volkstheater Rostock setzt Konstanze Lauterbach einen berühmten Stoff von Federico Fellini um
Kein Schiff wird kommen
von Melanie Huber
Rostock, 27. April 2018. In der Schlussszene geht auf, was aufgehen soll: Die dauerpalavernde Schickeria wird von der Bühne geschwemmt und verliert sich in den dunklen Stoffwellen des Parketts. Chorgesang der serbischen Geflüchteten (Singakademie Rostock) erfüllt den Zuschauerraum und der im Rang angebrachte Leuchtschriftzug "Gloria N." kommt endlich seiner eigentlichen, dem Wortlaut entsprechenden Bestimmung zu. (Gloria 'n cielo e pace 'n terra = Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden.) Langsam geht das Licht aus und von der Hinterbühne ist leises Glucksen zu hören: Selbst der Todeskampf ist ein egozentrisches Spiel für die publikumsheischende Künstlertruppe, das seine Wirkung nicht verfehlt.
Es ist die erste Regiearbeit von Konstanze Lauterbach für das Volkstheater Rostock: Das Publikum sitzt auf der Hinterbühne, die Schauspieler agieren im vorderen Bereich – auf dem zwei lange rote Teppiche so ausgelegt sind, dass sie ein X ergeben. Ein rotes Absperrband trennt das Hinterbühnen-Publikum von den Darstellern und ein sich bewegendes, den Seegang simulierendes, nacktes Metallgerüst vervollständigt auf Arianne Salzbrunns Bühne die invertierte vierte Wand.
Damit ist der Rahmen gesetzt, in dem die Theaterfassung des Filmklassikers "E la nave va" (1983) des italienischen Regisseurs Federico Fellini durchexerziert wird: Im Jahr 1914, kurz nach dem Attentat von Sarajevo, besteigt eine Gruppe illustrer Theaterstars und -liebhaber den Luxusdampfer "Gloria N.", um vor der Insel Erimo die Asche der berühmten Operndiva Edmea Tetua zu verstreuen.
Gesellschaftsbild kurz vor dem Untergang
Unter der Trauergesellschaft befinden sich auch Repräsentanten der österreichisch-ungarischen Monarchie, der Großherzog, die blinde Prinzessin Lerinia und der Premierminister. Unterwegs rettet die Besatzung eine Gruppe von serbischen Geflüchteten aus dem Meer, das dekadente Dasein der Künstler-Egomanen wird jäh unterbrochen, in dem hermetisch abgeschlossenen Mikrokosmos kommt es erst zu einer widerwilligen, dann zu einer versöhnenden Annäherung der beiden Welten. Am Ende wird die Asche der Diva verstreut, ein Kriegsschiff fordert die Herausgabe der Geflüchteten und der Ozeandampfer geht unter.
Was sich an gesellschaftsrelevanten Stichpunkten finden lässt in der Geschichte, die um vier Figuren aus dem 1965 prominent verfilmten Roman "Das Narrenschiff" (1962) von Katherine Anne Porter erweitert ist, wird jedoch nur angedeutet. In der Tiefe verhandelt, wie es das Programmheft mit Zitaten und Texten von Franz Kafka, Heiner Müller, Slavoj Žižek und Papst Franziskus verspricht, werden Themen wie Klassengesellschaft, Umgang mit Geflüchteten, Antisemitismus nicht. Doch bringen die Figuren aus dem "Narrenschiff"-Personal Schwere in die Geschichte, die dem Abend insgesamt gut tut.
Da ist zum Beispiel der Nazi Rieber. Bernd Färber zeigt ihn als gängelnden "Das wird man ja noch mal sagen dürfen"-Charmeur, der gerade durch sein ambivalentes Auftreten die unterschiedlichsten Reaktionen im Publikum auslöst.
Kaltes Arbeitslicht
Das Gros der Schiffsgesellschaft setzt sich aus schrägen Typen zusammen, die man entweder aus der Fellini-Verfilmung kennt oder aus anderen Klassikern der Filmgeschichte. Ihre Kostüme (ebenfalls Konstanze Lauterbach) wirken wie ein schreiend buntes Sammelsurium aus verschiedenen Stilepochen. All das hätte vielleicht traumhafter gewirkt, wenn die Bühne atmosphärischer ausgeleuchtet gewesen wäre. So aber spielen die fast vierzig Darsteller unter kaltem Arbeitslicht.
Wie Fellini wird auch Konstanze Lauterbach nicht allzu konkret, reiht grotesk-überzeichnete Traumbilder aneinander, deren Deutung sie dem Publikum überlässt. Die Übergänge der Szenen wirken – auch durch die immer leicht verspätete Einspielung der Musik – oft so holprig, dass selbst Slapstick-Nummern und diverse (Liebes-)Abgründe zwischen den einzelnen Figuren keinen Drive erzeugen. Lauterbach will mit diesem Stück viel, will Persiflage und Gesellschaftskritik zugleich. Aber das funktioniert nicht, weil sie zu unscharf bleibt. Schön allerdings sind die Gesangseinlagen der Darsteller und Mitglieder der Singakademie Rostock, die wunderbares Opernkribbeln erzeugen. Davon hätte es ruhig ein wenig mehr geben können.
Schiff der Träume
nach Federico Fellini
Regie und Kostüme: Konstanze Lauterbach, Bühne: Ariane Salzbrunn, Musikalische Bearbeitung und Leitung: Achim Gieseler, Chorleitung: Frank Flade, Dramaturgie: Anna Langhoff.
Mit: Bernd Färber, Peter Beck, Frank Buchwald, Cosima Fischlein, Tanja Merlin Graf, Pascal Lalo, Anika Mauer, Ulrich K. Müller, Yasin Özen, Isabella Parkinson, Ulf Perthel, Brigitte Peters, Samer Rezek, Michael Rothmann, Sandra-Uma Schmitz, Steffen Schreier, Ilya Wolfsohn, Ana Yoffe, Singakademie Rostock e.V.
Dauer: ca. 2 Stunden, 30 Minuten. Eine Pause
www.hmt-rostock.de
www.volkstheater-rostock.de
Andere Inszenierungen von Schiff der Träume gab es im März 2016 in Dresden, der Regisseur war Jan Gehler. Karin Beier inszenierte ein "Schiff der Träume" im Dezember 2015 am Schauspielhaus Hamburg. Johan Simons kombinierte im September 2011 den Fellini Stoff unter dem Originaltitel "E la nave va" mit dem "Haarigen Affen" von Eugene O'Neill an dem Münchner Kammerspielen.
Serbische Flüchtlinge werden an Bord genommen, hier werde der Bezug zum ersten Weltkrieg erstmals deutlich, "das ist aber auch der Moment, in dem die heutige Flüchtlingsproblematik überdeutlich werde", schreibt Thorsten Czarkowski in der Ostsee-Zeitung (30.4.2018). Illustriert werde an dem Abend westliche Dekadenz mit allerlei Befindlichkeiten. Fazit: "Die Inszenierung ist ein wichtiger Beitrag zur Flüchtlingsproblematik, der seine Wirkung nicht verfehlt. Aber auch keine neue Perspektive bringt."
Die Inszenierung zeichne aus: "schillernde Figuren mit Tiefgang. Weltpolitischer Konflikt verbindet sich mit persönlicher Notlage", schreibt Matthias Schümann in den Norddeutschen Neuesten Nachrichten (30.4.2018). Eine dekadente Künstlergemeinschaft kollidiere heftig mit der wirklichen Welt. Regisseurin Lauterbach spiele auf die aktuelle Situation an. An Board ändere sich alles, als Flüchtlinge aufgenommen werden. "Intensiv ist das Stück dann, wenn sich die Abgründe auftun hinter dem roten Ansperrband, das Darsteller und Zuschauer voneinander trennt."
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Vor Allem, wenn man weiß, dass das Volkstheater Rostock kein Ort ist, an welchem Theatermacher aller Disziplinen "reich" werden können.
Diese Inszenierung ist eine, welche von Herzen kommt.
Dass dabei "Unschärfe" entdeckt werden kann, empfinde ich eher als Vertrauensbeweis an ein Publikum, welches sein Theater wieder lieben lernen soll. Ohne sich anzubiedern, darf ich auf der Hinterbühne, dem "Maschinenraum", meine ganz eigene Reflektion suchen.
Was haben wir gelacht! Was wurden wir still!
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Die Sache mit dem "holprig" habe ich empfunden, wie Melanie Huber. Da fehlte als Bindemittel das Nummerngirl...gleichsam als Pointe.
Von der Seite:
Es werden in kurzer Zeit einige wenige Vorstellungen gespielt (die Techniker werden dann für die Vorbereitung der Sommerbespielung der Sommertheaterhalle gebraucht), die Wiederaufnahme in der neuen Spielzeit ist ungewiss. Das Rostocker Korsett sitzt keuchend eng.
Dass Stadttheater dabei ist, sich neu zu erfinden, offenbart sich dabei in Rostock einmal mehr als herkulische Herausforderung.
Sewan Latchinian wurde sein Ansatz "zum Verhängnis".
Ich bin gespannt, wohin ein neuer Steuermann mit uns segelt.
Schiff der Träume - es war ein toller Abend.
Wie unreflektiert und vergesslich so einen Satz über den 'Ansatz' Latchinians zu schreiben. Der richtige Ansatz, die Sparten nicht schließen zu wollen? Das Ensemble- und Repertoire- Theater zu verteidigen und
ganz einfach wunderbares Spartenübergreifendes Theater für sehr viele Rostocker zu machen? Wir haben bei ihm genau in diesem Maschinenraum, den Sie jetzt so hervorheben, schon einige Abende erlebt, die uns begeistert haben (z. B. Stella, Ein Wintermärchen). Rostocker Volkstheater im besten Sinne, das wir geliebt haben. Sehr viele Rostocker haben gerade jetzt das Problem, ihr gesichtsloses Theater nicht lieben zu können, aber das ist natürlich etwas subjektives. Wir sehen gerade gar keinen Ansatz. Die Inszenierung, die Sie beschreiben wird 5 mal gespielt, und es spielen fast nur Gäste, obwohl wir ein sehr gutes Ensemble hatten. Aber jetzt nachzutreten, weil ein engagierter Theatermann wie Latchinian hier nicht gewünscht war, finden wir objektiv unfair und wohlfeil.
Ohnedies, Sie bestätigen es ja, die Debatte in der Kulturpolitik ist überfällig, inhaltlich. Schön wäre, wenn wir dieselbe befreit von absoluter Inanspruchnahme von Wahrheit führen könnten. Machen wir uns frei FÜR Ideen. Das Bekannte und Erprobte ist bekannt und erprobt. Ensembles zum Beispiel...
Die Chance liegt in der größten Möglichkeit.
Ihr Optimismus in allen Ehren, aber ich fürchte er ist zu naiv.
sowie in den NNN (Norddeutsche Neueste Nachrichten) für den 30.4./1.5. (Seite 6, "Was soll nur aus uns werden", von Matthias Schümann) finden sich zwei weitere Kritiken, die dann eher wieder zwiespältig ausfallen. Da ich jetzt hier -erneut HMT- nicht mehr ganz so viel Zeit habe, ausführlicher zu kommentieren, fasse ich mich zunächst etwas kürzer, indem ich für den 2. Abend (den Samstag) dieser Inszenierung an dieser Stelle wesentlich Hartmut Krugs Besprechung anschließe. Ich sehe einfach nicht, warum ich der Nachtkritikerin so einfach folgen sollte, den Abend auf versuchte Persiflage und Gesellschaftskritik ineins festlegen zu müssen. Vielleicht wäre auch der Seitenblick auf die Inszenierungen am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (Dezember 2015) und am Dresdner Staatsschauspiel (März 2016) hilfreich (zB. auch für den Kritiker der NNN, der sich offenbar darüber wundert, daß die Fellini-Adaption hier mit den aktuellen "Bildern" von Flucht und Ertrinken konfrontiert bzw. verschnitten wird, so kommt es im Subtext unter dem Titel dann auch zu der Formel "Das Volkstheater Rostock zeigt ein "Schiff der Träume" als pralle Revue mit zweifelhaften Momenten"); Nachtkritik hat beide Abende besprochen (und oft wurden derlei Inszenierungen ja auf dieser Seite miteinander verlinkt).
Was jene zweifelhaften Momente angeht, führt Herr Schümann aus: "Daß die von heftigem Selbstmitleid geschüttelte Künstlergemeinschaft an Bord sich der Gestrandeten annimmt, mag als sarkastischer Hieb angehen.Aber dann kostümieren sich alle und singen "Brüderlein, Schwesterlein". Das ist mindestens ambivalent.Eine starke Szene. Andererseits eine Ästhetisierung des unvorstellbaren Leids der Menschen auf dem Meer, die gerade nicht die europäische Kultur verinnerlicht haben, um in den Chor einzustimmen." Ich werde auf diesen Satz noch eingehen, wenn ich mehr Zeit finde. Ich sehe aber schon die Vorhandenheit solcher Sätze als Resonanz durchaus als Verdienst der in mancherlei Hinsicht überraschenden Inszenierung.
Nicht anders geht es mit dem Fazit-Satz aus der Ostsee-Zeitung:
"Die Rostocker Inszenierung -eine Kooperation zwischen dem Volkstheater und der Hochschule für Musik und Theater (HMT)- ist ein wichtiger Beitrag zur Flüchtlingsproblematik, der seine Wirkung nicht verfehlt, aber auch keine neuen Perspektiven bringt." Diese gediegenen nicht verfehlten Wirkungen ohne neue Perspektiven, ein hölzernes Eisen irgendwie, gehören, auch zur Herausarbeitung der je neuen Perspektiven einer neuen Bühnensache, vermute ich, auf den Prüfstand. Daß das Programmheft nebst "Narrenschiff" auch die heutige Kreuzfahrtschifferei und ihre Umwege ums Elend herum thematisiert,
und daß dies im Untergrunde der Inszenierung, indem wir förmlich selbst manchmal am ausgestreckten Arm des "Singt doch weiter, singt doch mehr" verhungern, ich sehe darin einen inszenatorischen Schachzug, auch in Verzögerungen, Ecken und Kanten, auch qua "Inversion der 4.Wand" wie die Nachtkritikerin es nennt (diese wird im übrigen verschiedentlich auch gebrochen, mag das rote X dafür stehen oder rote Kreuz für die Kreuzfahrer) quasi auf uns selbst zurückgeworfen bzw. verwiesen werden, raunt, schlummert, mit dem Schiff ins Schaukeln gerät, ist für mich mindestens eine dieser neuen Perspektiven. Und heißen die Schiffe nicht verräterisch von Alpha-Aida bis Omega-Opera, Schiffe, die hier in Rostock gewärtig sind ???