Der zerbrochne Krug - Mareike Mikats Kleist-Inszenierung am Auftaktwochenende der neuen Intendanz des Mecklenburgischen Staatstheaters
Schwerins kriminelle Struktur
von Christian Rakow
Schwerin, 25. September 2016. Das Schönste kommt nach etwa siebzig Minuten. Da tritt Robert Höller für ein kurzes Intermezzo aus seiner Rolle als Gerichtsrat Walter heraus und rein in eine nonchalante Publikumsbespielung: Wie es denn um die "kriminelle Struktur" im Saal bestellt sei, fragt er. Ob man schon einmal schwarzgefahren sei oder Steuern hinterzogen habe und dergleichen. Hier und da gibt's Handzeichen. "Ich bin ja neu hier", extemporiert Höller. "Ich dachte mir schon, in Schwerin geht alles mit rechten Dingen zu." Lachen schwillt an. Das "rechte Dinge" war seltsam zweideutig betont. Man weiß, knapp gegenüber dem Mecklenburgischen Staatstheater liegt der Schweriner Landtag, in dem neuerdings die AfD-Fraktion zweitstärkste Kraft ist.
Das Schweriner Schauspiel begreife sich als politisch, hatte Martin Nimz, seit dieser Spielzeit Schauspieldirektor unter Neu-Intendant Lars Tietje, im Vorgespräch gesagt. Das neue Team, das das Ensemble kräftig umgekrempelt hat, setze auf ein Repertoire mit Klassikern von Goethe bis Brecht, schon um die Schulen zu erreichen. Aber man wolle die Klassiker mit Regiewagnis angehen und nicht "deutschnationalen" Lesarten überlassen.
Wille zur Politisierung
Heinrich von Kleists Komödie "Der zerbrochne Krug" eignet sich fraglos für eine solche Politisierung. Richter Adam ist ja nur auf den ersten Blick die feiste Lachnummer, die nachts dem Mädchen Eve nachstellt, aber von Eves Geliebtem Rupprecht vertrieben wird und unerkannt auf der Flucht den Krug der Marthe Rull zerbricht. Beim fälligen Prozess am nächsten Morgen sucht Adam, unter den gestrengen Augen von Gerichtsrat Walter, nach Leibeskräften das Geschehen zu vertuschen.
Als politische Parabel aufgefasst, gibt der richtend-gerichtete Missetäter Adam den Blick frei auf Macht (und Willkür) der Instanzen, auf ein Grundgefühl instabiler Ordnung. Wobei zu klären wäre, wie viel Vertrauen man in die Figur des Walter setzt. "Die Zeit scheint eine neue Ordnung der Dinge herbeiführen zu wollen, und wir werden davon nichts, als bloß den Umsturz der alten erleben", zitiert das lesenswerte Programmheft den in dieser Frage pessimistischen Heinrich von Kleist.
Im Mitternachts-TV
Leider steht Regisseurin Mareike Mikat abseits der kleinen Stand-up-Publikumsbefragung von Robert Höller der Sinn eher nach Popanz denn nach Politik. Mit der Betonung auf Po. Mit übermächtig aufgeplusterten Gesäßbacken trippeln die Frauen daher. Sie werden auch geschwungen, wenn Anja Werner als Marthe Rull die an sich legendäre Beschreibung des Krugs im Stile einer Verkaufssendung im Mitternachts-TV präsentiert. Mit Rollwurst-Bizeps und Knödel-Sixpack ward Janis Kuhnt als Ruprecht aufgepumpt, dass man nicht sagen kann, ob er ein Zwilling von Popeye dem Seemann sein soll, oder doch eine Parodie auf die Boys der "Mantastic Sixxpaxx", die im November die Schweriner Stadthalle anheizen kommen.
Alle stolpern und taumeln und stürzen mit Wonne über die schiefen Ebenen, die Ausstatter Bernd Schneider vor den Eisernen Vorhang des Staatstheaters gezimmert hat. An Richter Adam (Martin Neuhaus) fallen vor allem die überdimensionalen Pantoffeln auf, derweil allenthalben Sprechtexte per Eilpost ins Reich der Unverständlichkeit verschickt werden.
Zuviel Lust-Fantasien
Einzig Robert Höller schafft es, seinem Gerichtsrat Walter Momente von anrührender Skurrilität bei gedanklicher Präzision zu schenken. Sofern nicht der allseitige Wille zum Zotigen obsiegt: "Ich spür große ... Lust ... in mir, der Sache auf den Grund zu kommen." Nur echt mit gebührlicher Lustmolch-Pause vor dem Komma und Rüttelei unter der Gürtellinie. So greift der Abend unbeirrt nach dem Discountangebot auf Hirnkasperles Wurstigkeitstheke. Und die Kleist'schen Verse finden aufs Derbste ihren Doppelsinn: "Stockfinster war's, und alle Katzen grau."
Der zerbrochne Krug
von Heinrich von Kleist
Regie: Mareike Mikat, Ausstattung: Bernd Schneider, Dramaturgie: Jenny Flügge.
Mit: Martin Neuhaus, Robert Höller, Axel Sichrovsky, Anja Werner, Janis Kuhnt, Stella Hinrichs, Sebastian Reusse.
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.mecklenburgisches-staatstheater.de
Die "Comic- und Slapstik-Ästhetik" des Abends beschreibt Holger Kankel für die Schweriner Volkszeitung (27.9.2016). Die Figurenzeichnungen der Akteure werden gewürdigt und dabei Robert Höller als Gerichtsrat Walter für seine "artistischen Glanznummern" hervorgehoben. Zur "Sprechkultur" an diesem Abend gibt es eine größere kritische Anmerkung: "Premierenfieber hin oder her: Man hätte gern den Text aller Figuren bis aufs letzte Wort verstanden."
"Eine runde Sache das Ganze", lobt Dietrich Pätzold in der Ostseezeitung (27.9.2016) den Abend. Mareike Mikat habe Kleists Lustspiel mit "kräftiger Lust am intelligenten Slapstick" inszeniert. Zu den "Stärken des Abends" gehöre aber auch, wie die Komödie "am Ende gar nicht mehr lustig ist", wenn Eve (Stella Hinrichs) "mit ausführlichem, groß und berührend erzähltem Bericht von ihrer – versuchten – Nötigung/Vergewaltigung durch Dorfrichter Adam" erzählt.
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ich war voller Vorfreude und Neugier auf den Schweriner Anfang. Ich war lange kein Anhänger mehr der vorherigen Direktion und konnte Ihre unverhohlene Kritik, dass Sie jetzt keine Liederabende usw mehr im Schauspiel wollen, nachvollziehen.
Aber besser war das, was am vergangenen Wochenende gezeigt wurde, leider auch nicht, im Gegenteil. Es strotzte vor Überheblichkeit und Inhaltsleere und war so rein überhaupt nichts. Der Faust sah aus wie aus der Mumienkiste von 1981 (nur mir ein paar modernistischen Einfällen des doch auch schon ziemlich alten Regisseurs) und gestern Abend kam ich mir vor wie in einer Schultheateraufführung (womit man damit dem Schultheater unrecht tut). Bitte, liebes neues Team: es ist in Ordnung, sich von der Zeit vor Ihnen, absetzen zu wollen. Aber mit Penälerwitzchen bitte nicht.