Gundermann - Männer, Frauen und Maschinen - Mecklenburgisches Staatstheater
Konzert im Bällebad
von Frank Schlößer
Schwerin, 4. September 2020. Zwei Jahrzehnte hatte Gerhard Gundermann (1955-1998) als Geheimtipp aus der Lausitz überwintert, regional geduldet als Bauchmiezelbürste für trotzige Ossis. Man musste schon gehörig Arsch in der Hose haben, wenn man sich öffentlich als Gundi-Fan bekannte: Wer nach der Wende einem singenden Stasispitzel hinterherheulte, der musste auch ein unverbesserlicher Rote-Socken-Träger sein. Über ein Jahrzehnt musste der erfolgreiche und mit Preisen überhäufte Filmregisseur Andreas Dresen bei den Geldhabern der Filmbranche die Klinken putzen, um sie davon überzeugen zu können, dass es sich lohnt, einen Film über Gundermann zu machen. 2018 kam er endlich in die Kinos, 2019 räumte er etliche Deutsche Filmpreise ab und spielte auch an der Kasse sein Geld wieder ein. Jetzt, dreißig Jahre nach der Wende, haben an drei ostdeutschen Theatern die Gundermann-Uraufführungen Premiere: Am 11. September "Ich mache meinen Frieden" am Theater Magdeburg. Am 9. Oktober "Alle oder keiner" am Staatsschauspiel Dresden. Den Anfang machte gestern das Staatstheater Schwerin.
Abends Konzert, morgens Frühschicht
Für mich war dieser Abend ein Wiedersehen. In den Jahren nach der Wende fuhr ich zu seinen Konzerten, ich hab seine Texte in mir und ein paar prägende Erlebnisse. Wie diese Nacht, in der Gerhard Gundermann beim Fährmann im Blütengrund bei Naumburg ein Soloprogramm spielte, das nirgendwo angekündigt, aber brechend überfüllt war. Er saß mit meinem Freund und mir danach noch eine halbe Stunde am Tisch. Wir redeten, er mampfte seine vegetarische Stulle und trank Tee dazu. Dann setzte er sich in sein Auto. Und fuhr zur Frühschicht.
Nun also bei Patrick Wengenroth in Schwerin drei Gundermanns – ein junger, ein mittlerer, ein alter. Zwei Connys dazu – eine als Hausfrau und Mutter, die ihren schwierigen Mann managte und hinter ihm aufwischte. Und eine als die Künstlerin, die Conny Gundermann gern gewesen wäre. Dazu der Parteisekretär aus dem Tagebau, der auch in einem Dokumentarfilm über Gundermann dessen Parteiausschluss mutig vor laufender Kamera begründete. Und "Oma Else" – Connys Großmutter Elsa Nowotnick, die 2013 im Alter 98 Jahren starb und aus deren bewegenden Lebenserinnerungen Gerhard Gundermann zusammen mit Petra Kelling ein Programm machte, dass 2006 auf CD erschien.
Hochprozentige Collage
Die Bühne ist irgendwas mit Tagebau – Umkleide, Kulturhaus, Kantine, Werkstatt. Der Raum wird geprägt von einem industriellen Scheinwerfergerüst und einem Haufen aus nutzlos gewordenen Bauhelmen. Für die Durchquerung dieses Bällebades hat jeder Darsteller eine eigene Taktik entwickelt. Die einen staksen, die anderen pflügen, das produziert eine interessante Geräuschkulisse. Als schmutziger Arbeiter mit verdreckten Flügeln kommt der "Engel über dem Revier" (so der Titel von Gundermanns Platte von 1997) auch auf der Bühne sehr wenig engelhaft daher – kein Wunder, wenn man in der Braunkohle damit beschäftigt ist, die Kumpels aus den Rädern der Bagger zu zerren.
Der Abend ist eine hochprozentige Gundermann-Collage in 19 Bildern. Texte von und über ihn wechseln mit seinen Liedern, die Rockband bringt sie straight über die Rampe und natürlich geht einem das Herz auf, wenn man diese Lieder wieder hört und erleben kann, dass auch Gundermanns Alltagsphilosophien mitgenommen wurden, die er auf seinen Konzerten als Texte zwischen seine Lieder fügte.
Ostdeutsche Inhalte, gesamtdeutsch angeboten
Für mich war es spannend zu erleben, dass aus "meinem" Gundermann ein Material geworden ist. Wie die "Authentizität", die Gerhard Gundermann seinerzeit bescheinigt wurde, sich jetzt in diesen Interpretationen fortsetzt. Allerdings kann ich mir kaum vorstellen, wie dieser Abend auf jemanden wirkt, für den Gundermann Neuland ist. Können diese Lieder jemanden erreichen, der nicht diese sehr ostdeutsche Prägung hat? Der nicht zu diesen Jahrgängen gehört? Regisseur Patrick Wengenroth wurde 1976 in Hamburg geboren. Gundermann füllte erst ab 1990 in Ostdeutschland wirklich die Säle, seine erste Solo-Platte erschien 1988 unter dem Titel, den sich dieser Theaterabend in Schwerin leiht: "Männer, Frauen und Maschinen". Patrick Wengenroth könnte Gundermann als Jugendlicher also durchaus auf einer Bühne erlebt haben. Vielleicht sind es Typen wie er, die Gundermann zwei Brücken bauen: eine in den Westen Deutschlands und eine zur neuen Generation. Wengenroth hat ja mit "Ab jetzt ist Ruhe oder die fabelhafte Familie Brasch" 2016 schon einmal in Schwerin daran gearbeitet, ostdeutsche Inhalte gesamtdeutsch anzubieten.
Nun hat er die anderthalb Stunden dieses Abends dicht vollgepackt. Die Abstandsregeln lassen sich derweil auf der großen Bühne gut als Stilmittel tarnen, zumal die Vereinzelung der Figuren in der Inszenierung durchaus Sinn hat: Jeder der Darsteller zeigt einen anderen Bezug zu Gundermann. Selbst der jüngere Gundermann distanziert sich vom mittleren und älteren Gundermann. So wie sich der echte Gundermann auch gnadenlos mit sich selbst auseinandergesetzt hat. Der Abend hätte eine grandiose Premierenfeier verdient gehabt. Stattdessen war das Publikum angehalten, sich nach dem Applaus flugs aus dem Theater zu entfernen. Das ist echt verrückt.
Gundermann – Männer, Frauen und Maschinen
von Patrick Wengenroth, Nina Steinhilber und Ensemble
Inszenierung: Patrick Wengenroth, Bühnenbild: Mascha Mazur, Kostümbild: Marc Freitag, Musikalische Leitung/Keyboards: Matze Kloppe, Dramaturgie: Nina Steinhilber.
Mit: Jennifer Sabel, Antje Trautmann, Oscar Hoppe, Robert Höller, Sebastian Reck, Vincent Heppner, Katrin Heinrich, Christoph Götz, Emre Akca, Matthias Strass, Stefan Endrigkeit.
Premiere am 4. September 2020
Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.mecklenburgisches-staatstheater.de
"Das Mecklenburgische Staatstheater hat in seiner ersten Inszenierung im Großen Haus nach der halbjährigen Isolationsverbannung dem leidigen Virus unseres Missvergnügens einen Premierenabend um die Ohren gehauen, der so recht angetan war, das Leben und die Freude an großer, emotionaler, kluger und mitreißender Schauspielkunst zu feiern," schreibt Holger Kankel in der Schweriner Volkszeitung (7.9.2020). In kurzen Szenen erzählten die Spieler das ruhelose Leben dieses Ausnahmekünstlers und zeichneten dabei nach und nach "das Porträt eines zerrissenen Träumers und zugleich eines der möglichen Bilder von jenem untergegangenen Land, das vielen noch immer in den Knochen und im Herzen steckt." Fans der Musik von Gerhard Gundermann werden der Einschätzung des Kritikers zufolge kaum etwas vermissen "und doch zeitgemäße, musikalisch neue Akzente entdecken können. Wir warten auf die CD zur Inszenierung!"
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nachtkritikvorschau
Tatsächlich steckt, bzw. steckte (Die letze Vorstellung der Produktion fand vergangene Woche statt) erstaunlich viel drin in diesen 100 Minuten. Knapp 20 Lieder, die die Band wuchtig über die Bühne brachte (Gundermann hätte eine Band dieser Qualität gut zu Gesicht gestanden). Darsteller (hier vor Allem die drei Gundermänner), denen es sichtlich Vergnügen bereitete, sich die Repliken zuzuwerfen und deren Vergnügen sich auf den Zuschauerraum übertrug. Ein einfacher aber packender Raum. Erkenntnis und Wiederbegegnung mit Liedern und Themen und Situationen. Rundum gelungen.
Fast.
Schade: Die leider sehr unausgewogene Verteilung der Songs (Quantität) auch innerhalb der Gundermänner.
Unschön: Den Conny-Darstellerinnen ist leider nur recht wenig zu ihren Figuren eingefallen. Am Ende bleiben schlechte Laune und Frustration darüber, das Gundermann-Anhängsel (gewesen) zu sein. Das ist dann doch recht wenig.
Den anscheinend unvermeidlichen lustig-lustig-Stasi-Mann, könnte man eigentlich auch so langsam aussortieren.
Wirklich ärgerlich: Kurz vor Schluß darf eine der Connys noch ein Gedicht von Inge Müller zum Besten geben. Und das ist dann wirklich schrecklich mit wie wenig Sinn für den Inhalt und die Form des Gedichtes das dann geschieht. Dass das fast 30-mal so über die Bühne gegangen sein muss, gruselt.