Der Geizige - PeterLichts Molière-Nachdichtung von Dariusch Yazdkhasti zweitinszeniert
Der Sozialist zu Gast auf dem Klapphocker
von Heiko Ostendorf
Bielefeld, 12. November 2010. Dieser Abend ist Pop total. Das liegt nicht nur an PeterLichts Neubearbeitung von Molières Text. Auch Regisseur Dariusch Yazdkhasti folgt dem zum Theaterautor mutierten Musiker im Bielefelder TAMzwei ohne Mühe in die Welt des bunten, lauten Amüsierens und zeigt die von PeterLicht aktualisierte Version von "Der Geizige" als größtenteils schrill-komische Begegnung zweier Gesellschaftsformen: Sozialismus und Kapitalismus treffen aufeinander, streiten sich, bewerfen sich gegenseitig mit Plastikwasserflaschen und haben sich im Happyend ganz doll lieb.
Du machst mich ganz lulli
Nach der Uraufführung im Februar 2010 im Berliner Maxim-Gorki-Theater ist das Bielefelder Theater das zweite Haus, das diese Auseinandersetzung mit Reich-Arm/Haben-Nichthaben auf die Bühne bringt. In dem kleinen Raum über dem Theater am Alten Markt bleibt nicht viel Platz für die fünf Protagonisten. Vier Sessel bieten der Familie des geizigen Geschäftemachers Harpagon Platz. Der Sozialist und Freund von Harpagons Sohn Cléante, La Flèche – "Flechi" genannt –, muss sich mit einem Klapphocker zufrieden geben. Dieses Personal reicht PeterLicht für seine Variante der Komödie.
Die Geschichte um das Mädchen, das Vater und Sohn gleichermaßen begehren, bleibt bloße Andeutung. Die anderen Liebesverstrickungen sind ganz verschwunden. Das erspart dem Zuschauer immerhin das massiv-kitschige Molière-Ende, in dem jeder seinen Traumpartner findet. Und so streiten sich Clèante, der bei Georg Böhm leider zu gewollt jugendlich daher kommt, und Vater Harpagon nur mit Worthülsen und Satzanfängen. Das nervt schnell, denn die Sprache des Stücks besteht nahezu ausschließlich aus dem Slang der Hippen und Junggebliebenen: "Du machst mich ganz lulli."
Harpi, Flechi und Cleanti in der Spaßhölle
Clèantes Schwester Elise bittet zwar "Können wir nicht normal sprechen?". Aber dieses Ansinnen wird schnell vergessen. Sohn und Tochter titulieren ihren geizigen Erzeuger freudig weiter als "Arschkröte", da er sie am Konsum hindert. Der so Verschmähte hingegen sinniert in einem seltsam innigen Monolog über die Reinheit und Schönheit des Geldes. Thomas Wolff interpretiert dabei seine Rolle genussvoll. Er lächelt stolz, wenn seine Kinder seine Lebensweise beklagen und wirkt in seiner Sparsamkeit eher wie ein niedlicher Hamster, der für den Winter vorsorgt.
Zur poppigen Oberflächlichkeit passt Charlotte Puders Elise, die verhuscht durch die Inszenierung treibt. Auch die mit Bart und Rock ausgestattete Onkeltante von John Wesley Zielmann treibt den Spaßfaktor der Aufführung in die Höhe. Nur Christina Huckle als Flechi sticht als politische Agitatorin heraus. Yazdkhasti hat "Der Geizige" zu einem Spektakel aus schreiender Musik und großer King-Kong-Film-Sequenz gemacht. Zwischendurch versucht er allerdings dem Text Raum zu lassen. Doch dafür bieten die Ansprachen der Figuren nicht genug Substanz und bleiben nur humorvolle Einblicke in das fast schon religiöse Sparer-Denken eines Kapitalisten.
Der Geizige. Ein Familiengemälde
von PeterLicht nach Molière
Regie: Dariusch Yazdkhasti, Ausstattung und Video: Katja Reetz.
Mit: Thomas Wolff, Georg Böhm, Charlotte Puder, Christina Huckle, John Wesley Zielmann, Maziar Yazdkhasti.
www.theater-bielefeld.de
Mehr zu PeterLicht: Jan Bosse inszenierte PeterLichts Version des Geizigen im Februar 2010 am Maxim Gorki Theater Berlin. Noch mehr PeterLicht im nachtkritik-Lexikon.
Kritikenrundschau
PeterLichts Adaption entferne sich ziemlich weit von Moliére, "zum Glück", schreibt Antje Dossmann in der Neuen Westfälischen (15.11.2010). PeterLicht biete "komplexe, mit der Gegenwart verschränkte Monologe", die nicht für sich in Anspruch nähmen "im Besitz vollständiger Wahrheiten" zu sein. In einer Ära, die "für die Jugend kaum noch neue moralische Positionen" bereit halte, sei dieses "Bekenntnis zum Nichtbekenntnis" eine "treffliche Diagnose". Dariusch Yazdkhasti könne auf die "Spielleidenschaft" einer Akteure setzen. "Lange Sprecheinheiten" böten ihnen Gelegenheit zu eigenen "Akzentuierungen", die sich "gleichberechtigt zu einem überaus gelungenen Ganzen" fügten. Maziar Yazdkhastis Musikbegleitung und Katja Reetz' "Video-Finessen" seinen die I-Tüpfel auf einem an "Temperament und kritischen Anregungen reichen Stück".
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