Rondo - Alan Ayckbourns Zufalls-Szenen-Stück von Christian Schlüter in Bielefeld inszeniert
Griff in die Lostrommel
von Kai Bremer
Bielefeld, 5. November 2016. Wenn einer wie Alan Ayckbourn eine neue Komödie raushaut, findet sich selbstredend eine Bühne, die sie spielt. Immerhin ist der Engländer inzwischen seit Jahrzehnten einer der ganz Großen im Unterhaltungstheater. Dass er sein Handwerk wie kaum ein anderer beherrscht, muss er längst nicht mehr beweisen. Gleichwohl hat er sich für sein Stück "Rondo" aus dem Jahr 2014 einen netten Gag nicht zuletzt für die Schauspieler seines Stücks überlegt. Es besteht aus fünf Szenen, die zwar durch einzelne Figuren, nicht aber durch eine übergreifende Handlung miteinander verbunden sind. Als besondere Pointe hat Ayckbourn die Reihenfolge der Szenen nicht festgelegt, sondern wünscht sie sich von Aufführung zu Aufführung variiert.
Um dem gerecht zu werden, lässt Christian Schlüter in der deutschen Erstaufführung in Bielefeld zu Beginn seine Schauspieler wie in einer Revue auftreten und die Reihenfolge der Szenen vom Publikum mit viel Tamtam und Tutu aus einem Lostopf ziehen. Soweit, so gut.
Szenen-Kaleidoskop
Als unfreiwillige Zugabe an den Faktor Zufall löst sich in Szene "Der Politiker" - am Premierenabend die vierte der fünf Szenen – der angepappte Schnäuzer bei Stefan Imholz als schmieriger, auf zu junge Mädchen stehender Titelfigur. Er reißt ihn irgendwann entnervt ab, was nicht wenige Glücksgluckser im Publikum provoziert. Ansonsten läuft an diesem Abend freilich alles dermaßen geplant ab, dass es die meiste Zeit schwer zu ertragen ist.
Warum auch immer, Schlüter hat sich entschieden, seinem Publikum durchgängig mit dem Vorschlaghammer klar zu machen, dass das alles lustig sein soll. Deswegen betritt Imholz in der ersten Szene als Ashley Bücking, der zu viel CSI-Serien guckt und immer noch bei Mutti wohnt, mit Fahrradhelm die Bühne, damit mal gleich klar ist, dass der nicht mehr ganz so junge Mann immer noch ein Jüngelchen ist. In der Szene "Der Politiker" gibt Isabell Giebeler als Mutter Bücking eine üble Katharina-Thalbach-Kopie mit viel zu großem Damenhut und "Ne, ne, ne"-Gejammer. Und gesteht der Text tatsächlich mal den Schauspielern einen differenzierten Moment zu, kann man sicher sein, dass Schlüter aus irgendeiner Ecke eine Figur auftreten lässt, die mit Komik-Grimasse und Fuchtelfingern dafür sorgt, dass wieder Karnevals-Niveau erreicht wird.
Durch zwei Türen
Ayckbourns Stück besteht, bei Licht betrachtet, aus kaum mehr als eben der Idee, die Reihenfolge der Szenen zu variieren. Zwar haben seine Figuren durchaus eigene Geschichten, doch werden die regelmäßig auf eine Pointe runtergebrochen. Wenn etwa der Pastor Russ Timms (Jakob Walser) naiv-verträumt seiner ersten und einzigen Liebe Gale (Laura Maria Hänsel) von der einen gemeinsamen Nacht vorschwärmt, kommentiert sie das mit den Worten: "Ich hatte Panik, dass mir ein Tannenzapfen im Arsch stecken bleibt."
Anke Grots Bühne, auf der zentral ein von zwei Türen gerahmter Raum steht, lässt immerhin eine Ahnung davon aufkommen, wie man Ayckbourns Komödie hätte beikommen können. Mal ist die Bühne auf der Bühne nur Fenster, durch deren Vorhänge gelinst wird (in "Die Agentin"), mal Bühne im Gemeindesaal (in "Der Star"). Vor allem aber ermöglicht diese Anordnung Spiel-im-Spiel-Szenen, die in den wenigen leisen Momenten dieses langen Abends eine Ahnung davon aufkommen lassen, dass zumindest einzelne Figuren mehr verdient hätten, als verlacht zu werden.
Ahnung des Potentials
Wenn der alte Richter Holgate (Thomas Wolff als Titelheld in der Szene "Der Richter") die Prostituierte Lindy (Isabell Giebeler) bucht, damit sie seinem Wunsch gemäß seine verstorbene Frau spielt, kommt, während sie auf der Bühnenbühne sitzen, zu Abend speisen und Lindy immer mehr ihre eigene, abgründige Geschichte erzählt, ein Ahnung von den so unterschiedlichen Erinnerungen und damit von Figuren auf, für die man sich hätte interessieren können.
Schlüter, der sonst Unterhaltungstheater überzeugend vielschichtig zu inszenieren vermag, beschließt die Szenen mit dem Song "Enjoy yourself" von 1949, den ursprünglich Guy Lombardo, dann auch Größen wie Bing Crosby oder Doris Day gesungen haben. Das als fatalistischer Kommentar für die alles in allem doch recht konventionelle Szenerie von Ayckbourn ist nicht ohne feine Ironie. Nur hat Schlüter eben nicht auf die, sondern auf den Humorhammer vertraut.
Rondo
von Alan Ayckbourn
Deutsch von Inge Greiffenhagen
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Christian Schlüter, Bühne: Anke Grot, Kostüme: Franziska Gebhardt, Dramaturgie: Viktoria Göke.
Mit: Cédric Cavatore, Isabell Giebeler, Laura Maria Hänsel, Stefan Imholz, Nicole Lippold, Henriette Nagel, Jakob Walser, Thomas Wolff.
Dauer: 2 Stunden 45 Minuten, eine Pause
www.theater-bielefeld.de/
Kritikenrundschau
"Christian Schlüter setzt in der deutschsprachigen Erstaufführung ein bisschen zu sehr auf die Gags", so Stefan Keim in Dradio Fazit Kultur vom Tage (5.11.2016). Ayckbourns Szenen sein keinesfalls nur witzig. "Eine erzählt vom Kampf eines alten Mannes um seine Erinnerungen. Weil er die frühen Jahre mit seiner Frau vergessen hat, engagiert er ein Callgirl, das ein Abendessen mit ihm nachspielt. "Das ausgezeichnete Ensemble könnte noch einige Brüche und bewegende Momente aus dem Text heraus kitzeln." Denn darin liege die Meisterschaft Alan Ayckbourns. "Trotz dieser kleinen Einschränkung ist 'Rondo' in Bielefeld ein enorm unterhaltsamer, anregender und geistreicher Theaterabend."
Antje Doßmann schreibt auf der Website der Neuen Westfälischen (7.11.2016): Die deutsche Erstaufführung des Stücks in Bielefeld habe "komisch, heiter und chaotisch" begonnen, weil es die Auslosung der Szenenfolge durch das Publikum so gewollt habe. "Mächtiges Tamtam, (...) großes Geschrei und wildes Geraufe", aber auch viel "Raum für leise, komische Zwischentöne, witzige Wortwechsel und überraschende Volten". Schauspieler, die "Lust machten, sich auf den ganzen Theaterspaß" einzulassen. Stefan Imholz: "was für ein Schauspieler. Auch seine Kollegen hätten überzeugt. Der Abend habe "unterhaltsame Klasse" gehabt.
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