Schlangenbrut - Christian Schlüter inszeniert Steven Fechters Anti-Hütten-Idylle in Bielefeld
Bissiges Jungvolk
von Karin E. Yesilada
Bielefeld, 30. August 2015. Wie steht es um die Mittelschicht in Obamas Amerika, gibt es eine neue Generation "Hope"? Scheint nicht so zu sein, lautet die Botschaft des zeitgenössischen US-amerikanischen Dramas. Steven Fechter jedenfalls nennt Amerikas Zukunft in seinem neuesten, in Bielefeld in deutscher Fassung uraufgeführten Stück sardonisch "Schlangenbrut" – Serpent's Tooth im Original. Und die hat ziemlichen Biss, wie sich im Laufe des Abends herausstellt.
Herrliche Wildnis
Lustig lässt sich der Ausflug dreier befreundeter Familien an. Da stürmen die Erwachsenen die Hütte, räumen geschäftig Getränke, Verpflegung und Ausrüstung für den zehntägigen Aufenthalt im Blockhaus in den Wäldern British Columbias. Wohliger Countrysound erfüllt die Hütte, man scherzt, beschnuppert sich, die Kinder sind draußen, und dort werden sie auch bleiben für den Rest des Stückes. Trish und Drew, fesche Immobilienmaklerin und verklemmter Zahnarzt, Eltern der 15jährigen Roxanne, Josh und Amber, Wissenschaftler und Personal Trainerin mit den dreizehnjährigen Zwillingen Aaron und Aria, Sheryl und Kyle, sie Buchillustratorin, er Bauunternehmer und hauptberuflich Irakkriegsveteran, deren Sohn Kip seinen sechzehnten Geburtstag auf der Hütte feiern will.
Sticheleien, versöhnliches Gelächter, das erste Bier. Die Frauen mokieren sich über den männlichen Jagdtrieb, kein Wunder, die Hütte hängt voller Jagdtrophäen (auf der Bühne prangen ein riesiger Bärenkopf, ein Wolfskopf und ein Elchkopf). "Immer diese Scheißmänner", platzt es aus Trish heraus. Christina Huckle gibt die überagile Trish mit Noblesse ohne "Trash", was für die deutsche Version durchaus funktioniert. Die Kerle aber lieben es in der Wildnis, hier kann "der Mann Mann sein", und so finden gleich die ersten "Testosteronwettstreits" statt. Und wer ist nicht stolz auf seine Brut! Nobelpreisträger wähnen die einen ihre naturwissenschaftlich versierten Zwillinge, einen Star sehen die anderen in ihrer wohlgeratenen Sportlertochter, und der soldatisch gedrillte Kip ist in Vater Kyles Visionen gar ein neuer Alexander der Große. Derweil die Sprösslinge draußen im Walde "spielen", einigt man sich drinnen jovial aufs laissez faire: "Lasst die Kinder Kinder sein!"
Schwarze Komödie im dunklen Zauberwald
Die aber verhalten sich plötzlich ziemlich garstig, und noch bevor sich die Erwachsenen über ihre neu zu erprobende Intimität austauschen können, kracht's: Sportschützin Roxanne hat ein Streifenhörnchen, Lieblingstier ihrer Mutter, aufgespießt und an die Blockhütte geschossen, versehen mit der Botschaft "Gebt auf". Wunderbar, wie die verkopften Eltern nun erst mal räsonnieren: aufgeben, aber was?
Erst als der nächste Pfeil in Joshs Schulter landet, kippt die Stimmung. Jetzt übernimmt Kriegsveteran Kyle – ein wahrer military man, den der herausragende Oliver Baierl großartig schwadronieren und überschnappen lässt – den Laden und pfeift zum Angriff, schwadroniert von "Feind ausschalten", verwandelt die Blockhütte in eine "Kommandozentrale" und bringt die Männer gegen den Willen der Frauen in Stellung. Nutzt aber nichts, die Kinder verbrennen die Autos, vögeln miteinander und foltern später im wilden Tequila-Rausch ihre Geisel Drew, mit dessen abgeschnittenen Ohren sie den Abzug der Väter aus dem Wald erpressen.
Und dann kommen die Leichen im Keller amerikanischer Bürgerlichkeit auf den Tisch, es sind die üblichen Verdächtigen: Vernachlässigung (für Amber sind die Zwillinge Aliens), sexueller Missbrauch (Drew "entführte" seine Tochter schon mit sechs Jahren in den "Zauberwald") und seelische Misshandlung (Kyle schickt seinen Sohn ins Bootcamp und nötigt ihm das Wissen um seine Seitensprünge mit Amber auf). Am Ende ziehen die Eltern ab, geschlagen. Gewonnen haben die Kids deshalb noch lange nicht.
Wohliger Grusel
Sie bleiben wild geworden (Herr der Fliegen lässt grüßen) im Wald. Dieser ist übrigens eine höchst effektvolle, mobile Stamminstallation, die den Bühnenhintergrund bedrohlich ausfüllt. Überhaupt öffnet die eher puristisch gestaltete Bühne (Jürgen Höth) Raum, ohne falsche Hüttenromantik zu verbreiten. Der Generations- und Genderkrieg findet zwischen Kühlschrank und Esstisch statt.
"Voices of Change" hieß das zweite Bielefelder Festival 2010 zu zeitgenössischem amerikanischen Drama; seither ist Steven Fechter dem Haus verbunden und wird hier zum dritten Mal in deutscher Sprache erstaufgeführt. Es macht Spaß, diesem Neuaufguss des amerikanischen Alptraums beizuwohnen, zumal es mit viel Witz und Zeitkritik daherkommt. "Willst du sie auch noch waterboarden?", fragt Josh trocken, als Kyle gegen "den Feind" Amok läuft, um dann beim eigenen Seitensprung mit dessen Frau Sheryl herrlich zu versagen, er hat eben "keine Eier“. Lukas Graser trinkt dazu das Bier artig aus dem Glas und knöpft sich die Weste zu. Viel geändert hat sich eigentlich nicht in der Generation Hope, das ist der eigentliche Horror an dieser schwarzen Komödie. Edward Albee (lebt noch, ja!) hätte seinen Spaß.
Schlangenbrut (Serpent's Tooth)
von Steven Fechter
Aus dem Amerikanischen von Christine Richter-Nilsson und Bo Magnus Nilsson
Regie: Christian Schlüter, Bühne und Kostüme: Jürgen Höth, Ton: Thomas Noack, Morgan Belle, Christian Frees, Licht: Martin Quade, Dramaturgie: Viktoria Göke.
Mit: Christina Huckle, Judith Patzelt, Nicole Lippold, Thomas Wehling, Lukas Graser, Oliver Baierl. Dauer: 1 Stunde 30 Minuten, keine Pause
www.theater-bielefeld.de
Kritikenrundschau
Stefan Keim sagte auf WDR3 (31.8.2015), man merke, dass Steven Fechter sich mit der Spannungsdramaturgie a la Hollywood auskenne. Schlüter versuche, seine Inszenierung genau auf "der Kippe zwischen Boulevard-Komödie und Spannungstheater" zu halten. Das gelinge ihm mit den "ausgezeichneten Schauspielern" auch recht gut. Aber leider schaffe es das Stück nicht, die totale Entfremdung der Kinder von den Karrierewünschen ihrer Eltern für sie auf die Bühne zu bringen. 90 Minuten unterhaltsames Theater, "das war es dann aber auch".
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