Othello - Düsseldorfer Schauspielhaus
"Sag, was geschrieben steht, Othello!"
3. September 2022. Der südafrikanischen Theatermacherin Lara Foot gelingt eine neue Perspektive auf Shakespeares Stück: Sie verlegt es in die Hochphase des europäischen Kolonialismus – mit einer Hauptfigur, die vor den Zuschreibungen ihrer Rolle von der Bühne flüchtet.
Von Sascha Westphal
3. September 2022. Im Zentrum der Bühne steht eine kleine, vielleicht drei mal drei Meter große Rampe, deren Oberfläche von einer alten, aus dem späten 19. Jahrhundert stammenden Karte Afrikas bedeckt ist. Um sie herum stehen drei hohe Offiziere des deutschen Kaiserreichs. Es hat Aufstände in der neuen deutschen Kolonie Deutsch-Südwestafrika gegeben, etwa 100 Siedler wurden getötet.
Nun plant die wilhelminische Generalität den Gegenschlag, einen Völkermord, und wer könnte den besser ausführen als Othello, "der Afrikaner", wie der General im Lauf von Lara Foots Shakespeare-Inszenierung immer wieder genannt wird. Die Logik der drei von Gunnar Teuber, Glenn Goltz und Nils David Bannert gespielten Offiziere ist so simpel wie zynisch. Sie nutzen gezielt den Schwarzen in ihren Reihen, um ihren Verbrechen an der afrikanischen Bevölkerung noch mehr Nachdruck zu verleihen.
Machthaber, die Gott spielen
Wenig später wird auf dieser Rampe der Sessel des Herzogs stehen, der seinem General Othello den Auftrag gibt, Krieg gegen die Herero und Nama zu führen. Damit ist dann tatsächlich schon alles über die Machtverhältnisse in den Hochzeiten des europäischen Kolonialismus gesagt. Die wilhelminischen Machthaber und mit ihnen auch alle anderen europäischen Herrscher und Militärs thronen auf einem Kontinent, den sie mit aller Gewalt an sich gerissen haben, und spielen nun Gott mit den Leben der Afrikaner. Als der von dem südafrikanischen Schauspieler, Tänzer, Musiker und Regisseur Bongile Mantsai dargestellte Othello schließlich mit seinen Offizieren und seiner ihm frisch vermählten Ehefrau Desdemona in Richtung Deutsch-Südwestafrika aufbricht, wird eben diese Rampe mit der Afrika-Karte auseinandergebaut und damit ein Kontinent symbolkräftig in mehrere Teile zerschlagen.
Die südafrikanische Theatermacherin Lara Foot schreckt zu Beginn ihrer Auseinandersetzung mit Shakespeares "Othello" nicht vor ebenso simplen wie drastischen Bildern zurück, die keinen Zweifel an den verbrecherischen Verhältnissen lassen, die den Nährboden für diese Tragödie bilden. So setzt sie ein Zeichen, das den ganzen weiteren Abend prägt und es einem zugleich ermöglicht, sich diesem schon so oft gesehenen Stück noch einmal neu zu nähern. Das ist bis zur Pause auch bitter nötig. Denn was auf diese starke, diese klare wie eindrucksvolle Setzung folgt, ist erst einmal eine ziemlich konventionelle Inszenierung, die über weite Strecken überraschenderweise auch sehr nah an Shakespeares Text, in diesem Fall in Erich Frieds Übersetzung, bleibt.
Eleganter Wechsel zwischen drei Sprachen
Ja, es werden drei Sprachen gesprochen, neben dem Deutschen noch Englisch und isiXhosa, eine der elf südafrikanischen Amtssprachen. Doch diese wunderbar fließenden, meist extrem elegant wirkenden Wechsel zwischen den Sprachen, die immer auch von deutschen Übertiteln begleitet werden, stehen der insgesamt fast schon altmodischen Anmutung des Abends nie im Weg. Schon die von Gerhard Marx und seiner Mitarbeiterin Juliane Molitor entworfenen Kostüme, die durchgängig die Zeit um 1900 evozieren, entrücken die Inszenierung in einen beinahe schon musealen Theaterraum. Dazu passt dann auch Marx' magisch-realistisches Bühnenbild, das durchaus einen poetischen Zauber entwickeln kann, vor allem in den Szenen, in denen Steine an Seilen von der Decke hängen und dadurch gut einen halben Meter über dem Boden zu schweben scheinen. So entstehen schöne, aber auch seltsam weit entfernte Theaterbilder, die perfekt zum Spiel des Düsseldorfer Ensembles passen, das immer einen deutlich erkennbaren Theaterton anschlägt.
Positiv gewendet könnte man sagen, hier besinnen sich eine Regisseurin und ihre Spieler:innen auf die klassischen Tugenden der Bühne. Alle setzen auf die Kraft, die im Erzählen liegt, und versuchen so, eine direkte Verbindung zum Publikum zu erzeugen. Das fällt Wolfgang Michalek in der Rolle des Intriganten Jago, der seinen Vorgesetzten Othello zunächst in die Arme des "grünäugigen Monsters Eifersucht" und schließlich in einen mörderischen Wahnsinn treibt, besonders leicht. Immerhin kann er sich immer wieder direkt ans Publikum wenden, um es in seine Pläne einzuweihen. Doch gerade Jagos direkte Ansprachen haben hier etwas Aufgesetztes, etwas im Grunde zutiefst Abstoßendes. Michalek ist anders als Wolfram Koch in der "Othello"-Inszenierung von Stefan Pucher 2004 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg kein schillernder Verführer. Dafür ist sein Auftreten einfach zu plump, was allerdings perfekt zu Foots Ansatz passt. Sie will dem Bösen in Gestalt Jagos keine ominöse Faszination verleihen, sondern es als das porträtieren, was es ist: eine dumpfe, von Ressentiments und Rassismus getragene Lust an Vernichtung und Zerstörung.
Entmystifizierung des Bösen
Diese Entmystifizierung des Bösen geht im zweiten, deutlich stärkeren Teil der Inszenierung mit einer Re-Vision der Figur des Othellos einher. So wie Bongile Mantsai, der in dieser Spielzeit eine künstlerische Residenz am Düsseldorfer Schauspielhaus hat, den Feldherrn und Fremden, den Liebenden und vor Leidenschaft Rasenden spielt, hat man ihn bisher nicht gesehen. Je näher die Tragödie ihrem mörderischen Ende kommt, desto deutlicher distanziert sich Mantsais Othello von Shakespeares Text und damit von seiner Rolle. Einmal flüchtet er sogar von der Bühne in den Zuschauerraum. Dieser Schwarze will sich nicht den Fantasien eines weißen Theaterautors und all der anderen weißen Künstler, die sich dessen Text zu eigen gemacht haben, unterordnen. Er sucht nach seinem eigenen Weg. Doch Jago holt ihn mit der Aufforderung "Sag, was geschrieben steht, Othello!" wieder auf die Bühne zurück.
So sehr sich Bongile Mantsai auch gegen die Zuschreibungen wehrt, dem Schicksal, das eine durch und durch von Weißen geprägte Kultur für ihn vorsieht, kann er sich nicht entziehen. Er wird zwar nicht zu Desdemonas Mörder, die Tat begeht Jago, aber Rettung gibt es für ihn nicht. Am Ende bleibt ihm nur ein Wunsch: "Beerdigt mich bei meinem Volk." Nachdem er diesen Satz ausgesprochen hat, wandert er rastlos – die Leiche Desdemonas in seinen Armen – über die Bühne, während die von der Decke hängenden Steine zu Boden fallen. Ein letztes großes und zugleich großartiges Bild, das den verstaubten magischen Realismus von der Bühne fegt, so dass nichts bleibt als das nackte Leid Othellos und die Sehnsucht eines Schwarzen, den Verheerungen des Kolonialismus wenigstens im Tod zu entkommen.
Othello
von William Shakespeare in einer Fassung von Lara Foot
Deutsch von Erich Fried mit ergänzten Übersetzungen von Henning Bochert (Deutsch) und Sanele kaNtshingana (isiXhosa)
Regie: Lara Foot, Bühne und Kostüme: Gerhard Marx, Mitarbeit Kostüm: Juliane Molitor,Musik: Kyle Shepherd, Licht: Jean-Mario Bessière, Dramaturgie: Robert Koall, Mitarbeit Dramaturgie: Miriam Owusu-Tutu.
Mit: Bongile Mantsai, Ben Daniel Jöhnk, Jonas Friedrich Leonhardi, Wolfgang Michalek, Florian Lange, Gunnar Teuber, Glenn Goltz, Valentin Stückl, Nils David Bannert, Pauline Kästner, Friederike Wagner, Blanka Winkler, Stella Maria Köb, Gesa Schermuly.
Premiere am 2. September 2022
Dauer: 3 Stunden 20 Minuten, eine Pause
www.dhaus.de
Kritikenrundschau
Dass Jago hier der Schuft ist, dem auch alle Morde zugeschrieben werden, verharmlose den Text, so Martin Krumbolz in der Süddeutschen Zeitung (5.9.2022). "Othello kann man allenfalls noch seine Naivität und Gutgläubigkeit anlasten; bei Shakespeare hat er Abgründe. Zusammen mit dem doch sehr naturalistischen Gestus der Inszenierung, vor allem in den Gruppenszenen, den hiesige Theatergänger seit Langem nicht mehr gewohnt sind, ist das Ergebnis eine Arbeit, deren Essenz man gerne beipflichtet, die aber auch niemandem wehtut und deren weichgezeichnetem Schrecken man sich mit wohligem Schauder entziehen kann."
Lara Foot habe "zurecht so viel Ehrfurcht" vorm Großmeister Shakespeare, dass sie ihm nicht "über Gebühr ins Handwerk pfuscht", so Bertram Müller in der Rheinischen Post (5.9.2022, €). Der Abend speise sich ebenso aus Shakespeares "überzeitlicher Menschenkenntnis" wie aus einem "klugen Empfinden für die Gegenwart".
Regisseurin und Autorin Laura Foot lege "den Finger in die Wunde des rassistischen Kolonialismus", schreibt Michael-Georg Müller in der Westdeutschen Zeitung (4.9.2022). Doch die Handlung ziehe "wie ein leicht verständlicher Vorabend-Krimi" vorüber. Die Charaktere blieben "eindimensional, flach, fern von Psycho-Spannung und Rätseln". Immerhin: "Herzlicher Applaus" sei am Ende zu vernehmen, schreibt Müller.
In der Neuen Ruhr Zeitung (5.9.2022) meint Kritikerin Petra Kuiper: "Das Ensemble überzeugt, allen voran Bongile Mantsai, der den Titelhelden leise, aber glaubhaft spielt; ein frommer Mann, der Jago rückhaltlos rückhaltlos vertraut und ihm deswegen in die Falle geht." "Selbstbewusst und kernig" spiele Pauline Kästner ihre Desdemona. Regisseurin Lara Foot inszeniere "gut durchdacht, konsequent und stilsicher". Ihr "Othello" komme mit einfachsten Mitteln aus. Das Publikum quittiere das mit "starkem Applaus" im voll besetzten Haus.
Man schaue auf eine sehr alte Veranstaltung und gleichzeitig auf einen "sehr modernen" Hauptdarsteller, berichtet Michael Laages im Deutschlandfunk Kultur (2.9.2022). Das sei ein bisschen verwirrend und bringe den Abend nicht weiter. Trotzdem findet der Kritiker das auch spannend – immer dann, wenn die Figur des Othello beginne, sich ihrer Rolle zu verweigern. "Dieser Schwarze Othello ist natürlich ein ganz anderer, als ihn ein in irgendeiner Form dargestellter deutscher Schauspieler spielen könnte, weil, es ist auch immer ein bisschen seine Geschichte." Lara Foot sei keine Regisseurin, die Stücke aufbreche, sie inszeniere "im Grunde so ein bisschen wie mittelaltes, englisches Theater, alles wird gespielt, alles wird gesagt, nichts bleibt Geheimnis." Doch dadurch, dass die zentrale Figur immer wieder neue Positionen einnehme, immer wieder neu befragt werde und sich innerhalb des kolonialen Konflikt bewege, sei der Abend "eine Herausforderung", die er am Düsselsdorfer Schauspielhaus sein auch sollte, findet der Kritiker.
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Das wird es aber leider nicht, denn zu unentschieden und zu konventionell ist der Zugriff. In einem zu preisenden Bühnen- und Lichtbild, das jeder Oper zu Ehren gereichen würde, gibt es einerseits ziemlich viel Original Shakespeare in drei Sprachen, mit Nebenfiguren und detaillierten, monologischen Hinweisen auf die eigenen Absichten und Intrigen, andererseits eine sich erst im zweiten Teil des Abends zunehmend herausbildende weitere Ebene, in der sich Othello gegen die ihm zugeschriebene Rolle wehren will, aber nicht kann. Dabei agiert Bongile Mantsai zwar filmreif und facettenreich, es wird aber dennoch nicht klar, warum er handelt, wie er handelt: Getriebener oder Antreiber, Held oder Opfer oder beides? Ja, behauptet wird etwas, ich kann es nur nicht sehen.
Unglücklich ist außerdem, dass dabei die übrigen SchauspielerInnen ein bisschen sich selbst überlassen, fast schon chargierend, vor allem das Textbett liefern müssen, in dem die Regie-Idee herumliegt. Wolfgang Michalek als Jago nutzt das, um - zur Freude von Teilen des Publikums - dem Affen mal so richtig Zucker zu geben.
Kein schlechter Abend, aber lang, und letztlich unterkomplex. Freundlicher Premierenapplaus mit Standing Ovations.