Verhaftung in Granada - Schauspiel Köln
Politisch verfolgt
von Dorothea Marcus
Köln, 29. Februar 2020. Viermal in seinem Leben wurde der Kölner Schriftsteller mit türkischen Wurzeln Doğan Akhanlı verhaftet, zuletzt 2017. Während er – seit 2001 deutscher Staatsbürger – sonst meist bei der Einreise an der türkischen Grenze abgefangen wurde, veranlasste die Türkei den letzten Zugriff auf ihn per Interpol. In seinem Hotel, mit seiner Lebensgefährtin auf Kurzurlaub im spanischen Granada, wurde er frühmorgens aus dem Bett geholt und wegen eines angeblichen Raubmordes vor vielen Jahren verhaftet. Fast drei Monate durfte er Spanien nicht verlassen. Weltweit erhob sich massiver Protest, seine Sache schaffte es auf die Titelseite der New York Times.
Schriftsteller im Erinnerungskasten
Die Schlagzeile wird eingeblendet in Nuran David Calis' Inszenierung am Schauspiel Köln. Calis hat das Buch für die Bühne adaptiert, das Doğan Akhanlı über seine Verhaftungen schrieb. Auf der Bühne steht ein Haus-Quader mit grauen Wänden, großen Fenstern. Heraus ragt ein Schreibtisch, an dem der Schriftsteller sitzt: eine Art Erinnerungskasten, ein schönes Bild für die innere Imaginationsreise des Schreibenden. Ein Videobildschirm über der Szene doppelt das Bild. Drei Zeitebenen werden bereist: Akhanlıs Vergangenheit, die Gegenwart des Schriftstellers sowie die Gegenwart der Schauspieler, die (im Video) immer wieder vom Probenprozess erzählen: Murat Dikenci von seiner eigenen heftigen Sehnsucht nach der Türkei und dass er dem türkischen Taxifahrer in Köln nicht die Wahrheit über das Stück erzählen kann, welches er probt – die Community ist zerrissen zwischen flammenden Erdoğan-Verteidigern und den Gegnern und Verfolgten. Zu Probenbeginn habe Calis sie gewarnt, dass niemand von ihnen nach der Premiere je wieder in die Türkei einreisen könne, zwei türkischstämmige Mitarbeiter hätten daraufhin die Produktion verlassen, erzählt ein anderer Schauspieler.
Wer gerade Akhanlıs Alter Ego ist, wird markiert durch eine kleine runde Brille und ein Schriftstellerjacket. Als erster Ich-Erzähler – ein langer, ruhig und zurückgenommen gesprochener, wunderbarer Monolog – steigt Stefko Hanushevsky in Akhanlıs bücherhungrige Kindheit im türkischen Dorf hinab. Im Haus sieht man den Vater, der der Mutter Lesen und Schreiben beibrachte, die Mutter, die fortan stets lesend am Tisch sitzt, den Bruder, der alles Geld in Bücher investiert: "Als ich mit 12 Jahren das Dorf verließ, war ich auf all das fremde Leben vorbereitet, das dank der Romane längst Einzug in unser Dorf gefunden hatte", schreibt Akhanlı.
Verhaftung, Politisierung, Verhaftung, Folter
Mit 17 wurde er zum ersten Mal verhaftet, als er am Kiosk eine Zeitung mit rotem Stern kaufte. Auf der Bühne dreht sich das Haus der Kindheit, gibt den Blick frei auf Verhörtische. Diese erste Verhaftung, die ersten Folterungen, der erste Putsch vom 12. September 1980 machten Akhanlı zum Kommunisten. In kleinen, schlaglichtartigen Szenen wird erzählt, wie er im Krankenhaus seine spätere Frau Ayşe kennenlernt, sie vor Verfolgung schützt, indem er sie als seine Verlobte ausgibt. Im einen Moment sinken Kristin Steffen und Hanushevsky küssend auf den Tisch und sind dort im nächsten im Zigarettendampf in ihre politische Arbeit vertieft: diskutieren, Flugblätter drucken. Um sie herum fällt die Türkei in den Faschismus, und es folgt die nächste Verhaftung.
Immer wieder gehen die Schauspieler an den rechten Bühnenrand, ziehen sich aus, stehen mit schwarzer Augenbinde mit dem Rücken nackt zu uns: mehr als dieses Bild von Demütigung und Ohnmacht braucht es nicht, um jene Folter anzudeuten, die auch Akhanlı immer nur indirekt beschreibt, wenn er Ayşe täglich ans Heizungsrohr gekettet sieht und nichts über den Verbleib ihres Sohnes weiß.
Fließend wechseln die Schauspieler*innen die Rollen: grandios, wie Kristin Steffen sich von Ayşe in eine engagierte Anwältin, dann wieder in Akhanli oder in einen türkischen Polizisten verwandelt. Toll, wie sie von politischem Furor zu zweifelndem, bescheidenem Erzählen ("Schon damals fand ich keine Erklärung für die Gewalt, die man mir antat") zu realsatirischen Verhörabsurditäten wechselt. Kopflos brüllend behaupten die Verhörbeamten staatliche Autorität, und Hanushewsky als kleiner, schmächtiger Schriftsteller entlarvt die Szene, indem er die durchgeknallten Befehlsexekutierer einfach nur bedächtig betrachtet.
Eine Geschichte, die für viele steht
Die Geschichte von Akhanlıs Verhaftungen ist eine kafkaeske Odyssee mit humoresken Zügen – und traurigen Momenten, wie dem Tod des Vaters, während Akhanlı im Gefängnis saß. Es wird viel Text gesprochen an diesem kurzen Abend, nicht jeder Volte der türkischen Geschichte kann man uneingeweiht folgen. Und dennoch nimmt Calis' Inszenierung das Publikum klug und sensibel mit. Neben den langen Monologen machen die kleinen Spiel-Szenen immer wieder konkret, was Verfolgung und Exil ausmachen und welche Bedeutung es auch privat hat, als Schriftsteller davon zu berichten: etwa wenn Kirstin Steffen in Feinrippunterwäsche aus dem Hotelbett geholt wird und ihr deftiger Wutausbruch als Lebenspartnerin Akhanlıs die Situation total anschaulich macht.
Zum Schluss stehen Steffen, Hanushevsky und Dikenci nebeneinander und erzählen, dass im Januar 150 Theaterleute in Istanbul entlassen wurden, die türkische Regierung im Februar erneut 700 Haftbefehle erließ – ganz zu schweigen vom freigesprochenen und sofort erneut verhafteten Osman Kavala. Lange, nachdem das Licht ausgegangen ist, hallen die verlesenen Namen der Verhafteten nach, hinter jedem ein weiteres Schicksal.
Verhaftung in Granada
von Doğan Akhanlı
Uraufführung
Regie: Nuran David Calis, Bühne: Anne Ehrlich, Kostüme: Geraldine Arnold, Musik: Vivan Bhatti, Dramaturgie: Stawrula Panagiotaki, Künstlerische Videodokumentation: Nazgol Emami.
Mit: Murat Dikenci, Stefko Hanushevsky, Kristin Steffen.
Premiere am 28. Februar 2020
Dauer: 1 Stunde 45 Minuten, keine Pause
www.schauspiel.koeln
Nuran David Calis vertraue auf die Macht der Texte, so Stefan Keim in "Mosaik" auf WDR3 (29.2.2020). Das sei gut, "er ist auch zurückhaltend in der Gewaltdarstellung". Das drehbaren Zimmer auf der Bühne stelle das Elternhaus bis zu den vielen Gefängnissen dar. Es gehe aber nicht nur um Dogan Akhanli, "sein Schicksal sei beispielgebend für die vielen anderen, die in türkischen Gefängnissen sitzen". Calis habe in manch anderer Kölner Arbeit ein "bisschen spröde und trocken" gearbeitet. Hier tauche er zwischendurch richtig ein und lasse spielen.
"Akhanlı erzählt mit Bescheidenheit, Präzision und Humor von seinem Leben und dem Zugriff des einstigen Heimatlandes darauf, aber es ist kein Spiel – auch das macht dieser herausragend gespielte Abend deutlich", schreibt Christian Bos im Kölner Stadt-Anzeiger (2.3.2020). Die Freiheit der Kunst bedeute nicht für alle das gleiche. "Umso wichtiger ist dieser ebenso persönliche wie politische Abend."
Calis nähere sich dieser Leidensgeschichte mit ebenso viel Respekt wie Finesse, schreibt Hartmut Wilmes in der Kölnischen Rundschau (2.3.2020). "Sehr genau trifft Calis Akhanlıs Erzählton, der Selbstmitleid ebenso meidet wie hasserfüllte Revanche." Der Abend schwinge sich aus ruhigen Passagen immer wieder zu praller Dynamik auf. Der Kritiker lobt die Arbeit als "klug engagiertes Gegenwartstheater".
Ein "leiser, konzentrierter, humanistischer Abend, der die Stärke des Theaters, spielerisch von uns Menschen zu erzählen, einfühlsam und klug nutzt, um Empathie zu erzeugen und gleichzeitig auch so etwas wie politische Aufklärung oder Bewusstseinsbildung zu betreiben", ist dieses Werk für Christine Dössel in der Süddeutschen Zeitung (4.3.2020). "Akhanlıs persönlich erlebte Geschichte von staatlicher Willkür, Unterdrückung, Folter und Flucht steht pars pro toto für abertausend andere, nicht niedergeschriebene, nicht zu Gehör gebrachte Häftlings- und Flüchtlingsschicksale. Dass sie einen bewegt und nicht trocken dokumentartheatralisch belehrt, ist der sensiblen Regie von Nuran David Calis zu verdanken, der auch die Bühnenfassung erstellt hat."
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