Todeskampf einer Maus

von Friederike Felbeck

Mülheim/Ruhr, 19. Mai 2017. Zwei Freundinnen leben in einer kleinen dunklen Wohnung mitten in Damaskus, die Front ist hörbar um die Ecke. Die beiden Hälften eines Ehebetts stehen in den gegenüberliegenden Ecken des Raumes, ein Rest von Privatsphäre wird durch provisorische Vorhänge markiert. Mit der Umdeutung eines Alltags beschäftigt, der längst nicht mehr von ihnen selbst, sondern von Granaten, Stromausfall und dem Mangel an warmem Wasser bestimmt wird, meistern die beiden ihr Schicksal und warten auf ihre Männer. Die eine von ihnen, Hala, wird in zwei Monaten nach Deutschland gehen. Rand, die mit einem Soldaten der syrischen Armee eine Affäre hat, fiebert dem 24stündigen Fronturlaub ihres Geliebten entgegen. Als Hala der nach drei Monaten Abstinenz aufgeheizten Wiedervereinigung ihrer Freundin mit dem Checkpoint-Soldaten Khaldoun nicht Platz machen kann, weil das Viertel unter Beschuss steht, entbrennt ein Beziehungsstreit und Eifersuchtsdrama, das vor allem um die eine Frage kreist: Bleiben oder Gehen.

Schere im Kopf

Die Aufführung beginnt mit Fernsehclips von Aufmärschen und Versammlungen, Schlagern und Wetterberichten aus einem Syrien lange vor dem Bürgerkrieg. Ein Video zeigt akribisch den Todeskampf einer Maus, die dem mörderischen Spieltrieb und dem lüsternen Jagen einer jungen Katze erliegt. Theater in Syrien war schon lange vor dem Beginn des Bürgerkriegs im Widerstand und ständigen Gefahren ausgesetzt. Autoren wie Sadallah Wannus gingen über Jahre ins innere Exil. Seine Stücke konnten lediglich im Ausland uraufgeführt werden, nicht aber am Entstehungsort selbst. Die allgegenwärtige Zensur war eine buchstäbliche Schere im Kopf der Künstler, die bereits beim Entstehen und Entwerfen von Projekten und Stücken kräftig stutzte. 

Your Love is Fire2 560 c Gianmarco Bresadola uLeinwand für Videoeinspielungen auf der Bühne von Emilie Cognard   © Gianmarco Bresadola

Eine wesentliche Rolle in der Ermöglichung von Theater und Kunst jenseits der staatlich gewollten Konstellationen übernahmen die auswärtigen Kulturinstitute: neben dem Goethe Institut waren es vor allem das Institut Français und der British Council, die vollständig die Finanzierung ermöglichten und so maßgeblich die freie Theaterszene in Damaskus gefördert und Künstler individuell unterstützt haben.

So sind denn auch die drei Gründungsmitglieder des Collective Ma'louba gut vernetzt in der europäischen Festivalsphäre und auf internationalem Parkett unterwegs. Ausgestattet unter anderem mit Fördermitteln der Kulturstiftung des Bundes und des nordrheinwestfälischen Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat das Ensemble um den Regisseur Rafat Alzakout, den Autor Mudar Alhaggi und die Schauspielerin Amal Omran nun zwei Jahre Luft, um sich zu profilieren. Weitere Aufführungen sind für das Theater im Aufbau Haus und das Performing Arts Festival in Berlin geplant, im August gastiert die Aufführung im Rahmen des Arab Showcase beim Edinburgh Fringe Festival.

Liebe, Sex und Einsamkeit

Aber an wen richtet sich diese Aufführung? Ein einheimisches Publikum? An Flüchtlinge? Die zweite Premiere im Mülheimer Theater an der Ruhr ist gut besucht mit arabischsprachigen Zuschauern, die die Pointen und Anspielungen des Stückes mit Szenenapplaus, Lachen oder einer konzentrierten Stille danken. Die Aufführung trägt boulevardeske Züge, und wie einst Noël Coward, der gegen die Bombardierung Londons seine pfiffigsten Komödien anrührte, kreist das Stück um Liebe, Sex und Einsamkeit. Die Angst, verlassen zu werden, entscheidet über die Desertion des Soldaten Khaldoun. In Deutschland werden sich Rand und Khaldoun endlich auf der Straße küssen können. Wenn er schließlich der Geliebten gegenüber klein bei gibt, und sagt: "Ich will ein Leben ohne Armee, ohne Blut, ohne Krieg!" applaudiert das Publikum. Der Autor Mudar Alhaggi schiebt gleich ein Bonmot hinterher: Im Flüchtlingslager wird Rand beim Sex auch nicht schreien können.

Your Love is Fire1 560 c Gianmarco Bresadola uErklär mir, Liebe: Mohamed Alrashi und Reem Ali, hinter dem Vorhang: Amal Omran und rechts Mouayad Roumieh    © Gianmarco Bresadola

Was zunächst wirkt wie ständige Banalisierungen, ist eine unvertraute Theaterkonvention, die die Aufführung – im besten Sinne – uninteressant macht. Das durchgehende Sprachgewitter, das die Figuren miteinander verhandeln lässt, begleitet von den immer gleichen Gesten und dem zum Publikum gewandten Spiel der Schauspieler, ermüdet. Nur der Kronleuchter zittert, wenn die Granaten einschlagen, und flackert unter den Stromschwankungen. Die Figuren bleiben unberührt von dem, was sie umgibt. Vielleicht sind sie einfach zu abgebrüht, pragmatisch, resigniert.

Deutschland im Gegenlicht

Auf einer Metaebene, einer Art Stück im Stück mischt sich der Autor, das Alter Ego des 1981 geborenen Dramatikers Mudar Alhaggi, aus der Perspektive eines deutschen Flüchtlingslagers ein. Dieses Deutschland bleibt jedoch unkonkret und firmiert als ein im Gegenlicht von Suchscheinwerfern durch hohe Gitterzäune abgeschottetes Camp, in dem die Polizei regiert. Eine Videozuspielung erzählt von deutschem Alltag, der sich aus Senioren mit Einkaufsrollern, fleischigen Hunden mit reflektierendem Halsband und Fahrten mit der Berliner S-Bahn zusammensetzt. In einem monologischen Blog skizziert der Autor, gespielt von Mouayad Roumieh, tagebuchartig seine Flucht und Ankunft in Deutschland. Nach dem Seelenstriptease entkleidet er sich buchstäblich unter Ächzen und Stöhnen, so als bereite er einen doppelten Rittberger vor. Seine Nacktheit, die kaum sichtbar wird, in Syrien ein absolutes Tabu, wird zur selbstauferlegten Pflichtübung ohne dramaturgische Notwendigkeit, um in einer neuen Theaterästhetik anzukommen.

Ob das Theater an der Ruhr im beschaulichen Mülheim tatsächlich wie einst für die Protagonisten des Roma Theater Pralipe zur Wahlheimat wird, oder ob der Raffelbergpark vor allem ein Koproduktionsfüllhorn ist und das Ensemble von Berlin aus agiert, bleibt abzuwarten. Die langfristige Reibung und lokale Auseinandersetzung mit der westdeutschen Ruhrgebietsstadt – sozusagen an der Wurzel des Integrationsprozesses – wäre beiden Seiten sehr zu wünschen.

 

Your love is fire – Deine Liebe ist Feuer
von Mudar Alhaggi
In Arabischer Sprache mit deutschen Übertiteln
Übersetzung: Sandra Hetzl und Nicola Abbas
Regie: Rafat Alzakout, Bühne/Kostüme: Emilie Cognard, Videoart: Carola Schmidt, Juma Hamdo, Ton: Carola Schmidt, Licht: Jochen Jahncke, Dramaturgie: Mudar Alhaggi / Wael Kadour.
Mit: Amal Omran, Reem Ali, Mohamed Alrashi, Mouayad Roumieh

www.theater-an-der-ruhr.de
www.ruhrfestspiele.de

 

Kritikenrundschau

"Ein starker und eindrucksvoller Abend, den sich niemand, mit oder ohne Fluchterfahrung, entgehen lassen sollte", schreibt ein ungenannter Rezensent in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (23.5.2017). Das arabischsprachige Publikum gehe mit. "Vor allem, als der Satz fällt, 'Ich wünsche mir ein Leben ohne Armee, ohne Blut und ohne Krieg', brandet lebhafter Szenenapplaus auf." Für das deutschsprachige Publikum lohne der Abend sich, "weil die Gefühle, wie der Krieg die Menschen verändert, gut nachvollziehbar sind".

In der Neuen Ruhr Zeitung schreibt (19.5.2017) Steffen Tost: Es gehe um "Mut, Eifersucht und die Frage, wann man seine Heimat verlassen muss". Die drei Personen diskutierten mit für arabische Ohren "ziemlich deftigen Worten", nicht nur miteinander, auch mit dem Autor. Einmal drohe Kaldoun sogar, aus dem Stück zu desertieren. "Realistisch, ohne falsches Pathos."

 

Kommentare  
Deine Liebe ist Feuer, Mülheim: Arroganter Satz
Ich empfinde den Satz, die Nacktheit des Darstellers sei eine "selbstauferlegte Pflichtübung ohne dramaturgische Notwendigkeit, um in einer neuen Theaterästhetik anzukommen" als schlimme Arroganz, als eine oberflächliche Betrachtung von oben herab auf die armen Araber, die sich jetzt einer westlichen Kulturschickeria beweisen müssen. Schlimm! Für mich wirkte die Szene vielmehr wie ein -wegen des Tabubruchs umso tiefgreifenderes - Bild dazu, wie man sich als Flüchtling im neuen Land fühlt: aller bisherigen Gewissheiten beraubt, beobachtet, bis ins Letzte entkleidet, durchleuchtet, befragt.
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